Keine toten Vögel

von | 02.08.2016 | Belletristik, Buchpranger

„Tote Vögel singen nicht“ ist der sechste und mitreißendste Band der Flavia-Reihe. Bücherhorterin Claudia warnt: Lesen der Rezension auf eigene Gefahr, hier wird einiges verraten, was selbst der Klappentext noch vertuschen will!

Die Heimkehr von Harriet de Luce

Flavia versteht die Welt nicht mehr, denn selbige wird ihr unter den Füßen weggerissen. Mit der Nachricht, dass ihre Mutter gefunden wurde, hat ihr Vater die drei Schwestern im letzten Band schockiert. Nach zehn Jahren der Ungewissheit, was in den Bergen von Tibet geschehen ist, hat man ihre Mutter Harriet im Jahre 1951 endlich gefunden. Zehn Jahre des leisen Hoffens, dass sie vielleicht doch wieder zurückkehren und Buckshaw wieder ein fröhliches Zuhause werden könnte.

Alles wird mit dieser Nachricht zerschlagen. Am Tag der Rückkehr durchschreitet Harriet de Luce nicht selbst Buckshaws Tore … sie wird in einem mit dem Union Jack behängten Sarg nach Hause gebracht – in einem eigens für sie bereitgestelltem Zug und einer Schar von Uniformierten. Ganz Buckshaw ist anwesend, als Flavia und ihre Familie starr das Prozedere über sich ergehen lassen. Sogar Tante Felicity ist uniformiert, wie Flavia verwirrt feststellt. Das ist aber nicht die einzige beunruhigende Erfahrung, die Flavia an diesem Morgen macht. Denn niemand Geringeres als der ehemalige Premierminister Winston Churchill ist anwesend und wechselt ein paar Worte mit ihrem Vater – und ihr selbst. Zudem spricht sie ein Fremder an, sie solle ihrem Vater dringend ausrichten, das Nest des Colchicus und der Wildhüter seien in Gefahr…

Flavia versteht nichts davon, aber ihr wird klar, dass sich ihr Leben von nun an ändern wird. Noch bevor sie weitere Überlegungen anstellen kann, wird der fremde Mann vor den abfahrenden Zug gestoßen und verstirbt noch vor Ort.

Ungebetene Gäste auf Buckshaw

Nachdem ihre Mutter in ihrem Boudoir aufgebahrt wurde, sieht sich Flavia nicht nur der Verzweiflung ihres innerlich gebrochenen Vaters gegenüber. Lena, die Cousine ihrer Mutter, von der sie zuvor noch nie etwas gehört hat, zieht mit ihrer urigen Tochter Undine auf Buckshaw ein, um an der bald stattfindenden Beerdigung teilzunehmen. Flavia hat mit Undine ganz schön zu kämpfen, denn sie scheint reichlich frei erzogen worden zu sein – und ist dazu leider noch ziemlich intelligent. Dabei will Flavia nur eins: Ihre Mutter im größten Experiment der Geschichte wieder zum Leben erwecken.

Der dramatische Höhepunkt der Reihe

Dieser Band treibt die Dramatik, die sich in Flavias Familiengeschichte verbirgt, auf die Spitze und die Rahmenhandlung nimmt endlich den Hauptteil der Geschichte ein. Bradley weiß, wie man gute Geschichten erzählt, und hier merkt man das ganz besonders. Alle bisherigen Geschehnisse dienen als Vorbereitung auf diesen Band und die Eröffnung des großen Geheimnisses um Harriets Schicksal.

Nach dem abrupten Ende des letzten Bandes und der Ankündigung, man habe Harriet gefunden, hofft man als Leser natürlich auf das Beste. Für die Familie, die nur mehr aus einem fragilen Konstrukt besteht, die davor steht, alles zu verlieren, was sie kennt und liebt.

Auf den ersten Seiten spielt Bradley geradezu mit dieser Hoffnung, nur um dem Leser den Sarg quasi auf dem Servierteller zu präsentieren. Es ist eine regelrechte Qual, die orientierungslose Flavia zu begleiten – gefangen in den Konventionen, in der Rolle der würdevoll trauernden Tochter. Als Kind, das sie schon fast nicht mehr ist, versteht sie schon so vieles, aber auch umso weniger … Und immer wieder tritt ihre Beziehung zum Vater in den Vordergrund, die einfach nur als herzzerreißend zu bezeichnen ist. So viel hinter Masken in Schach gehaltenes Leid, so viel Liebe.

Und dann wäre da noch Flavias Entschluss, ihre in Trockeneis verwahrte Mutter für ihren Vater wiederzuerwecken. Dieser Entschluss und die Wirrungen um den Toten am Bahngleis führen sie in die Luft – und zu eigenen Ermittlungen, mit denen sie in die Vergangenheit ihrer Mutter vordringt. Und endlich werden Geheimnisse gelüftet, die nur für Flavia allein bestimmt sind…

„Tote Vögel singen nicht“ ist unbedingt zu empfehlen, wenn man die ersten Flavia-Bände gelesen hat. Diese sollte man auch kennen, da in diesem Band viele Andeutungen aus ihnen erklärt werden. Man sollte allerdings Taschentücher bereit halten.

„The Dead in Their Vaulted Arches“ erschien 2014 beim Orion Verlag. Penhaligon veröffentlichte den Band 2015 im Hardcover, Blanvalet Anfang 2016 im Taschenbuch.

Flavia de Luce – Tote Vögel singen nicht. Alan Bradley. Übersetzung: Gerald Jung, Katharina Orgaß. Blanvalet. 2016.

Weitere Rezensionen zur Reihe:

 

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