Kartografie der Literatur

von | 19.08.2019 | Buchpranger, Sach- und Fachbücher

Eine Karte verleiht einem Fantasy-Roman noch einen extra Hauch von Magie. Eigentlich nicht notwendig, aber faszinierend und nicht selten ein Hingucker am Beginn oder Ende des Buches. Zeilenschwimmerin Ronja freut sich immer, wenn sie auf einer Karte den Weg der Protagonisten nachvollziehen kann.

Huw Lewis-Jones ist ‚kartophil‘ – ich erhebe keinen Gültigkeitsanspruch für dieses Wort – und hat das Glück, sich auch in seinem Beruf als Historiker und Autor immer wieder mit Karten verschiedenster Art auseinander setzen zu können. In „Verrückt nach Karten – Geniale Geschichten von fantastischen Ländern“ beschränken er und die 23 anderen Autor*innen sich auf literarische Karten. Ein vielseitiges und umfangreiches Gebiet, das noch längst nicht ausreichend kartiert ist.

Nach einem anfänglichen, kurzen Einblick in die allgemeinere Historie von Karten durch den Herausgeber, kommen im ersten Teil des Sammelbandes Autor*innen zu Wort, die von ihren persönlichen Beziehungen zu Karten berichten. Manche waren schon immer fasziniert von ihnen, andere mussten sie erst noch lieb gewinnen. Doch in einem sind sie sich alle einig: Eine Karte hilft bei der Entwicklung einer Geschichte ungemein und kann sogar – wie Reif Larsen, Autor von „Die Karte meiner Träume“, berichtet – wesentliche Auswirkungen auf den Erzählstil haben.

„Karten sind für mich Wunder. Dafür gibt es einen simplen und recht peinlichen Grund. Mein Orientierungssinn ist grottenschlecht. Ich muss Routen als Abfolge von Anweisungen lernen, wie ein Computerprogramm. Es gelingt mir wohl nicht, eine anständige Karte meiner Umgebung im Kopf auszubauen. Bei mir winden sich die Straßen, die Flüsse zappeln, Häuser hüpfen und Städte teleportieren sich. Karten sind die magischen Artefakte, die ich benutze, um die Geografie zum Stillstand zu bringen.“ – S. 103 (Frances Hardinge)

Natürlich sind die Klassiker der Fantasy dabei, wenn es um Karten geht: J. R. R. Tolkiens „Herr der Ringe“, C. S. Lewis‘ „Chroniken von Narnia“ und Ursula K. LeGuins „Erdsee“. Über die Karten vom Herrn der Ringe und des kleinen Hobbits berichtet zum Beispiel Daniel Reeve, der am Set der Verfilmungen für eben diese Karten und die gesamte Kalligraphie zuständig war. Einen ähnlichen Einblick in die Arbeit hinter den Filmkulissen gibt auch Miraphora Mina, die für die Harry-Potter-Filme unter andrem die Karte des Rumtreibers entworfen hat.

Anschließend folgen hauptsächlich Beiträge von Illustrator*innen (manche von ihnen gleichzeitig auch Autor*innen), die Karten selbstverständlich aus einer anderen Perspektive beleuchten. Häufig entsteht die Karte erst auf Grund einer Geschichte. Dass es auch anders herum funktionieren kann, zeigt Chris Riddell, der mit einer Zeichnung den Grundstein für „Die Klippenland-Chroniken“ legte.

„Keine Karte kann eine perfekte Wiedergabe der Realität sein, sie ist nur eine Darstellung. Jede Karte ist eine Interpretation einer Welt, eine Erfindung, der Traum einer möglichen Wirklichkeit.“ – S. 58 (Huw Lewis-Jones & Brian Silby)

Dieser großformatige Sammelband mit zahlreichen, hochwertigen Farbdrucken ist besonders empfehlenswert für alle bibliophilen Leseratten dort draußen, die immer gerne etwas über die Entstehung von Büchern erfahren und eine Schwäche für hübsch illustrierte Werke haben. Und wenn mir diese Anmerkung gestattet ist: Es riecht auch ganz hervorragend.

Verrückt nach Karten – Geniale Geschichten von fantastischen Ländern. Herausgeber: Huw Lewis-Jones. Übersetzung: Hanne Henninger. WBG Theiss. 2019. Erhältlich in der Buchhandlung deines Vertrauens. // Wer noch mehr über literarische Orte erfahren möchte, kann auch einen Blick in den „Atlas literarischer Orte“ werfen.

 

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