Kann ich Kafka mögen? Oder: Ein Kinderbuch hilft mir über ein Schultrauma

von | 25.11.2020 | Buchpranger, Kinder- und Jugendbücher

Drei Mal musste ich „Die Verwandlung“ von Franz Kafka in der Schule durchkauen. Das ist einfach zu oft, um die Erzählung wertschätzen zu können. Ich konnte Kafka in dieser Zeit absolut nicht ausstehen. Vor der Lektüre von Juliane Sophie Kaysers „Franz und die Puppe auf Reisen“ habe ich nie darüber nachgedacht, ob er mir vielleicht als Person sympathisch sein könnte. – Von Zeilenschwimmerin Ronja

Lilli spielt im Park mit ihrer Puppe Pauline. Nachdem sie Pauline schlafen gelegt hat, folgt sie einigen Schmetterlingen. Doch plötzlich fällt ihr auf: Sie hat Pauline ja ganz vergessen! Lilli sucht und sucht, kann sie jedoch nicht wiederfinden. Schließlich gibt sie weinend auf. So wird sie von Franz gefunden, der genau weiß, wie er Lilli trösten kann. Tag für Tag bringt er ihr einen Brief von Pauline, in denen sie von ihren Abenteuern berichtet.

Ein Mädchen, das im Park von einem fremden Mann angesprochen wird: Da schrillen natürlich alle Alarmglocken. In dieser Geschichte zu Unrecht. Gerade deshalb weisen Autorin und Verlag am Ende darauf hin, dass im Kontext des Buches Kindern noch einmal erklärt werden sollte, warum sie niemals mit Fremden mitgehen dürfen.

Abseits dieses ernsten Hinweises ist „Franz und die Puppe auf Reisen“ eine putzige Geschichte. Wir haben als Kind vermutlich alle mal etwas verloren, das uns wichtig war. Die Freude ist groß, wenn man es wiederfindet. Wenn nicht, dann bleibt die Frage: Was macht die Puppe/der Teddybär jetzt? Ausgerechnet Franz Kafka erkennt das kindliche Bedürfnis nach einer Antwort auf diese Frage. Das bricht mit meinem Bild von dem Mann, der für seine düsteren Geschichten berühmt ist.

Doch tatsächlich beruht Juliane Sophie Kaysers Erzählung auf wahren Begebenheiten. Die Briefe, die Kafka für ein Mädchen schrieb, das seine Puppe verloren hatte, gelten als verschollen. Um dennoch etwas von Kafka einzubringen, hat Kayser Zitate aus seinen Tagebüchern im Text eingebaut. Kleine Details, die sich eher an Erwachsene richten. Aber bei einem Buch für Leseanfänger*innen kann gern auch etwas für die Erwachsenen dabei sein, die vielleicht doch noch mal ein Stückchen vorlesen.

Mit großer Schrift, einfacher Sprache und großflächigen Illustrationen ist „Franz und die Puppe auf Reisen“ für Kinder ab 6 Jahren gedacht. Zwei Urkunden (für Erstleser*innen und Schulanfänger*innen) gibt es auch dazu.

Franz und die Puppe auf Reisen – Lilli und der Mann im Mond. Juliane Sophie Kayser. Mit Illustrationen von Graham Rust. Tomorrow’s Classics. 2020. Erhältlich in der Buchhandlung eures Vertrauens.

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

2 Kommentare

  1. Avatar

    Hi Ronja,
    du hast mich richtig zum Lachen gebracht mit deiner originellen Rezension meines neuen Kinderbuchs.
    Falls ich dir tatsächlich über das Schultrauma hinweg helfen konnte, so liegt das an meinen Genen, mein Vater war nämlich ein Trauma-Therapeut;) Viel Spaß noch beim Zeilenschwimmen. Ich kriege täglich Buchbestellungen von Buchhandlungen aus ganz Deutschland. Und das liegt auch an euch Buchbloggern. Danke!

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    • Zeilenschwimmerin Ronja

      Hallo Juliane,
      freut mich, dass ich dich zum Lachen bringen konnte! Ich wünsche dir weiterhin ganz viele Bestellungen. Vielleicht werden ja auch anderswo noch ein paar Schultraumata durch dein Buch gelöst. 😉
      Viele Grüße,
      Ronja

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