Jeder stirbt für sich allein

von | 19.06.2014 | Stadtgespräch

Bremen – Hans Falladas Roman „Jeder stirbt für sich allein“ fand bereits großen Anklang unter Lesern. Nun ist das Werk als Drama in der bremer shakespeare company (Theater am Leibnizplatz) auf der Bühne zu sehen.

Die Geschichte spielt im Jahre 1940. Es herrscht Krieg, die Nazis beherrschen Deutschland. Als zwei in Berlin lebende Eheleute von dem Tod ihres Sohnes hören, beginnen sie einen Widerstand. „Der Führer hat mir meinen Sohn ermordet!“, schreiben sie auf Postkarten und verteilen sie an Orten, an denen Menschen fündig werden können. Dass sie sich damit einer großen Gefahr aussetzen, ist ihnen bewusst, und doch sind der Schmerz des Verlustes und der Wunsch etwas gegen den Krieg tun zu müssen viel höher. Anna und Otto Quangel (Sarah Plutschinski, Oliver Rusanov) erzählen ihre wahre Geschichte und bringen die Gefühle authentisch zum Ausdruck. Ihr Widerstand bildet den roten Faden der Geschichte und ist auf der Bühne immer mal wieder in kleinen Szenen zu sehen.

Die Hintergrundgeschichte wird zwischen den einzelnen Szenen von Georg Elser (Günther Schneider) erzählt, ein weiterer Widerstandkämpfer, der zu Lebzeiten den Hitlergruß verweigerte und Bombenanschläge gegen Hitler plante. Am 8. November 1939 setzte er seine Pläne in die Tat um. Allerdings scheiterte das Attentat daran, dass Hitler den Saal 13 Minuten früher verließ als vorgesehen. „Ich habe den Krieg verhindern wollen“, äußerte sich Elser 1939. Günther Schneider spielte seine Rolle überzeugend und machte deutlich, wie gut durchdacht der Anschlag gewesen ist. In einer Szene beschreibt er bis ins kleinste Detail was er geplant und wie er die Bombe angebracht hat. Nach dem gescheiterten Attentat, äußert er den Gedanken, dass der Krieg wohl einen anderen Verlauf genommen hätte, wäre alles nach Plan verlaufen. So aber endete sein Widerstand mit der Festnahme. Am 9. April 1945, kurz vor dem Ende des zweiten Weltkrieges, ermordete der SS-Oberscharführer Theodor Bongartz Georg Elser durch einen Genickschuss.

„Der Tod kommt aus Deutschland“, schreibt DIE ZEIT im Dezember 2013. Der erste Weltkrieg, 1914, der zweite Weltkrieg, 1939. Man fragt sich: was kommt als nächstes? Während die Gesellschaft heutzutage in Gleichgültigkeit badet, sich in Sicherheit wähnt und die Weltkriege als vergangene, geschichtliche Ereignisse betrachtet, schickt Deutschland Soldaten ins Ausland aus und exportiert Waffen in Krisengebiete. In Hans Falladas Roman wird aufgezeigt, dass sich nicht alle Menschen belügen lassen, die bitteren Absichten hinter der Fassade erkennen und dagegen ankämpfen. Trudel Baumann (Ann-Katrin Steffen) tritt dabei mit voller Energie auf, im Rücken eine Widerstandgruppe, die sich genauso wie sie für den Frieden einsetzt. Schließlich ist Trudel diejenige, die Otto auf die Idee bringt, etwas gegen den Krieg zu tun. „Wir könnten ihre Maschinen zerstören!“, sagt sie voller Selbstbewusstsein. „Wir könnten ihre Plakate abreißen!“ Ihre wilde Art, der Ton in ihrer Stimme, die aufrechte angriffslustige Haltung wecken den Wunsch in einem, sich neben sie zu stellen und zu unterstützen. Der Höhepunkt der Geschichte der Widerstandgruppe endet mit dem Aufhängen der Plakate: „Jedes Wort das aus Hitlers Munde kommt ist LÜGE.“ Daraufhin wird Trudel festgenommen.

Seite an Seite gegen den Krieg, dann kann man wirklich etwas bewirken, glaubt man. Die Protagonisten in diesem Stück wirken jedoch, trotz ihres selbstbewussten, mutigen Charakters, verloren. So mancher kämpft, aber die meisten sind Einzelgänger. Otto Quangels Zellengenosse Dr. Reichardt sagte dazu: „Es wäre natürlich hundert Mal besser gewesen, wir hätten einen Mann gehabt, der uns gesagt hätte: So und so müsst ihr handeln, das und das ist unser Plan. So haben wir alle einzeln handeln müssen, und einzeln sind wir gefangen, und jeder wird für sich allein sterben müssen. Aber darum sind wir doch nicht allein, darum sterben wir doch nicht umsonst. Umsonst geschieht nichts auf dieser Welt, und da wir ohne rohe Gewalt für das Recht kämpfen, werden wir am Schluss doch die Sieger sein.“

Das Drama, das Mittwoch Premiere feierte, löst bei den Zuschauern ein Wechselbad der Gefühle aus. Trotz des ernsten Themas wird mit Komik nicht gespart, sodass man sich so manches Mal fragt, ob es in diesem Stück so angebracht ist. Nazis, die als „Clowns“ und nicht ernst zu nehmend dargestellt werden – wie realitätsnah ist der Nationalsozialismus noch? Werden wir in fünfzig Jahren überhaupt noch mit der Ernsthaftigkeit des Themas umgehen können? Gegen das Vergessen setzen sich in diesem Stück vor allem die Kinder vom Bullenhuser Damm (Theater AG Gesamtschule Ost) ein. In erdrückender, dunkler Atmosphäre, angeleuchtet von blauem Licht, stehen sie mit dem Rücken zum Publikum auf der Bühne. Einzeln tritt jedes Kind nach vorne und erzählt die Geschichte eines KZ-Opfers. Kinder, die ihre Eltern verloren haben, die in Gaskammern starben. Der Ton ihrer Stimme und ihr Auftreten lösen Mitgefühl aus, man spürt einen Kloß im Hals, einige Zuschauer haben Tränen in den Augen. Das letzte Kind, das sich vorstellt, bittet die Zuschauer, sie und all die anderen Opfer des Krieges nicht zu vergessen. Dann zieht es, genauso wie die anderen Kinder zuvor, die Schuhe aus, stellt sie ins Licht der Bühne und verlässt diese. Gemeinsam gehen sie aus dem Saal und hinterlassen eine bedrückende Stimmung.

Begleitet wird das Theaterstück mit Percussion (Christian Hiltawsky) und Akkordeon (Florian Oberlechner), mal laut, mal leise, stets die Geschichte unterstützend. Die Live-Musik wirkt unharmonisch, anders, und gerade deswegen passend zum Stück. Und auch wenn das Stück holprig und verwirrend begann, ab der zweiten Hälfte überzeugen die Schauspieler mit Können und Talent, sodass man nach drei Stunden Aufenthalt zufrieden nach Hause gehen kann.

Alexa

Spielplan:
18.06. | 11.00 Uhr und 19.30 Uhr
19.06. | 19.30 Uhr
20.06. | 19.30 Uhr
21.06. | 19.00 Uhr
14 EUR| erm. 8 EUR

Eine Kooperation mit der Theaterwerkstatt der Hochschule Bremen.
Weitere Informationen unter: www.shakespeare-company.com

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