In elf Episoden zum Glück

von | 03.02.2016 | Belletristik, Buchpranger

„Schon klar, das Leben kann ab und an und vor allem jetzt verlangen, ungestüm gelebt zu werden. Aber deswegen musst du dich doch nicht tot stellen.“

In elf Episoden begleitet der Leser von Judith Kuckarts neustem Roman „Dass man durch Belgien muss auf dem Weg zum Glück“ die zumeist ziemlich gewöhnlichen Protagonisten. Scheinbar zufällig sind die in Dresden, Berlin und Stuttgart lebenden Figuren miteinander verbunden. Wie in einem Kriminalroman begibt sich der Leser auf die Suche nach Zusammenhängen zwischen den Schicksalen der Protagonisten. Judith Kuckart, die bereits 1990 mit ihrem ersten Roman „Wahl der Waffen“ als Schriftstellerin bekannt und vielfach für ihre Romane ausgezeichnet wurde, ist in diesem Jahr für den Preis der LiteraTour Nord nominiert. Neben fünf weiteren Autoren nimmt Sie an einer Lesereise durch den Norden Deutschlands teil. Am 07.02.2016 wird sie im Café Ambiente in Bremen aus ihrem aktuellen Roman lesen.

Ein Buch wie ein Film

Kuckart, die neben ihren Romanen auch Theaterstücke schreibt und als Regisseurin tätig ist, offenbart ihre Verbindung zu Kino und Film an vielen Stellen ihres Romans. Nicht nur Anspielungen auf Filme von Hithcock, Tarkowski oder Jim Jarmusch auch Vergleiche mit Schauspielern tauchen wiederholt auf. So wird die Schauspielerin Katharina, die bereits in der ersten Episode eine wichtige Rolle übernimmt, mit der jungen Tilda Swinton verglichen. Auch der gut aussehende Klavierlehrer Joseph, der von Stuttgart nach Dresden zieht und in mehreren Episoden des Romans am Leben der Protagonisten teilnimmt, wird mit bekannten Schauspielern verglichen. Er sehe aus wie eine Mischung aus Horst Buchholz und Anthony Perkins.

Konstruierte Verbindungen

Der Roman beginnt mit der Geschichte des achtzehnjährigen VWL-Studenten Leonhard. „Leonhard war Jungfrau. Um genau zu sein, war Leonhard doppelt Jungfrau.“ Er scheut sich, das Elternhaus zu verlassen und sich eine eigene Wohnung zu suchen. Am Neujahrsmorgen liegt eine fremde Frau im Flur von Leonhards Elternhaus. Er ist allein mit der Unbekannten, Eltern und Geschwister sind über Silvester nach Belgien gefahren. Bei der Unbekannten handelt es sich um die Schauspielerin und spätere Bäckerei-Angestellte Katharina. Ihre Schwester Bea lebt mit ihrem Mann, dem Polizisten Sven nur einige Straßen entfernt. Die Schwestern sind getrennt voneinander aufgewachsen und haben daher keine enge Bindung zueinander.

Nachdem Leonhard seine Jungfräulichkeit an Katharina verloren hat, wagt er den Absprung und zieht in eine eigene Wohnung. Katharina hingegen arbeitet zusammen mit Wanda in einer Bäckerei in Berlin Charlottenburg. Wanda ist die erste Frau von Albert Abraham, der im gleichen Haus wie der ehemalige Klavierlehrer Joseph von Bea und Leonhard wohnt. Nachdem Wanda einen Hirnschlag erleidet, sind sie und Albert Abraham zufällig zur gleichen Zeit im Krankenhaus. Albert Abraham besucht den Klavierlehrer Joseph, der einen Motoradunfall hatte. Dass seine erste Frau Wanda im Krankenhaus liegt, erfährt er nicht. Verbindungen dieser Art ziehen sich durch den gesamten Roman. Die Zufälligkeit dieser Verbindungen täuscht. Die Autorin muss viel konstruiert haben, um die Geschichten miteinander zu verbinden.

Schwere Schicksalsschläge

Doch nicht nur diese scheinbar zufälligen Verbindungen zwischen den Hauptfiguren, auch die Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit, nach körperlicher Nähe und Sex nutzt Kuckart als Verbindung zwischen den Geschichten. Das Unglück über ihre eigene Kinderlosigkeit prägt die weiblichen Protagonisten des Romans. Wanda kann sich nach einem Hirnschlag und einiger Zeit im Koma nicht an den Namen ihres Mannes erinnern, die Kinderlosigkeit ist jedoch unvergessen. Katharina erfindet aus Scham Geschichten und erzählt von ihrer zehnjährigen Tochter Ronja. „Am liebsten habe sie in den letzten Monaten an Bahnhöfen Straßenmusik gemacht mit ihrer Tochter Ronja, die zehn sei, hörte Katharina sich sagen, obwohl sie gar keine Tochter hatte.“

Und auch Katharinas Schwester Bea, die mit ihrem Mann, dem Polizisten Sven, in der Bungalowsiedlung in Stattgart-Frauenkopf lebt, ist kinderlos. In dem „Fertighaus mit dem Objektnamen Flair 113“ ist „das kleinste Zimmer, kaum größer als eine Fischdose“, für ein Kind vorgesehen. Am schwersten trifft das Schicksal aber Jenny. Nachdem sich die junge Friseurin dafür entscheidet, Joseph zu verlassen, weil sie Kinder bekommen will, stirbt sie bei einem Motoradunfall.

Nicht ergreifend, aber lesenswert

Tod, Mord, Selbstmord, unglückliche Liebe und andere Schicksale reihen sich in Kuckarts Roman aneinander, doch die Unglücksfälle ergreifen mich als Leserin nicht. Es stellte sich kein Mitgefühl für die betroffenen Figuren ein. Problemlos lässt sich das Buch in einigen Stunden lesen. Auch die zuletzt nur grob angeschnittene Verhaftung des Klavierlehrers Joseph wegen Mordes an einigen seiner Schülerinnen, ist, sobald das Buch zugeschlagen und weggestellt wurde, wieder vergessen. Insgesamt scheint das Buch eine Abfolge bereits bekannter Handlungen und Schicksale zu sein. Und trotzdem macht Kuckart ihren neusten Roman durch ihre Schreibweise, die an Kinoschnitte erinnert, durchaus lesenswert.

Dass man durch Belgien muss auf dem Weg zum Glück. Judith Kuckart. DuMont Verlag. 2015.

Melanie Trolley

Melanie Trolley

Die Leidenschaft für das geschriebene Wort hat Melanie nach Bremen und dort an die Uni verschlagen. Das Studium der Germanistik hat ihr einen veränderten Blick auf Bekanntes ermöglicht, die Augen für Neues geöffnet und Begeisterung fürs Bilderbuch entfacht. Als Texterin arbeitet Melanie täglich daran, die richtigen Worte zu finden – im Beruf vorerst ohne literarische Berührungspunkte.

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