In „Die Eismacher“ erzählt Ernest van der Kwast, der niederländische Autor mit indischen Wurzeln, von der Familie Talamini, die für die italienische Tradition der Eisherstellung lebt – und von einem Mann, der lieber Gedichte liest. Während des Literaturfestivals globale° war er mit diesem Roman zu Gast in Bremen. Worteweberin Annika war dabei.
Eigene Wege einschlagen
Die Talaminis verlassen, wie so viele Familien im kleinen Tal in den Dolomiten, jedes Frühjahr Italien, um andernorts in Europa Eis zu verkaufen. In Rotterdam wird von morgens bis abends Eis hergestellt und verkauft – eine körperlich intensive Arbeit, die das Familienleben beeinträchtigt. Erst im späten Herbst verlassen die Talaminis das kleine Eiscafé und kehren zurück in die italienische Heimat. Dort nun, in der Ruhe des Winters, sind die Eismacher vor allem damit beschäftigt, zu essen, zu trinken und Kinder zu zeugen.
Zwei dieser Kinder sind der Erzähler Giovanni und sein Bruder Luca. In Kindertagen sind sie unzertrennlich, laufen immer Hand in Hand und träumen davon, das Eiscafé als Erwachsene gemeinsam weiterzuführen. Mit der Zeit aber verändern sich Träume, und so verliebt sich Giovanni in die Poesie. Er betritt eine Welt, die gegensätzlicher als das Leben der Eismacher kaum sein könnte. Statt an der Eismaschine findet man ihn bald auf allen Lyrikfestivals der Welt. Doch seine Entscheidung treibt einen Keil durch die Familie. Lange Zeit herrscht vor allem Schweigen zwischen den Brüdern, bis Luca schließlich mit einer außergewöhnlichen Bitte an Giovanni herantritt.
Während der Lesung beschreibt der junge Autor, dass er das Gefühl, die Familie zu enttäuschen, selbst gut kenne. „Für indische Mütter gibt es nur zwei Wege, die ihre Söhne einschlagen dürften: Wirtschaft oder Jura“, erzählt er. Als er nach seinem Jura-Bachelor beschloss lieber Schriftsteller zu werden, habe er damit seiner Mutter das Herz gebrochen. Solle er im kommenden Jahr nach einem Vorschlag seines Verlags mit seiner Mutter gemeinsam auf Lesereise gehen, könne er also für nichts garantieren.
Die Welt des Eis‘
Lange hat Ernest van der Kwast recherchiert, um die Leser in diesem Roman an die Welt des Eismachens einzuführen. Er beschreibt ein Leben hinter der Eiscaféfassade, das sich wohl die wenigsten Lesenden vorher so ausgemalt hätten: unstetig, arbeitsreich und aufreibend, jeden Sommer auf den kommenden Winter wartend. Sogar davon, wie genau eigentlich Eis gemacht wird, erzählt der Schriftsteller: „Auch wenn mir natürlich niemand seine Geheimrezepte verraten wollte.“ Allein schon wegen der interessanten Einblicke in das Leben der Eismacherfamilien lohnt sich die Lektüre von „Die Eismacher“.
Noch dazu ist van der Kwasts Roman enorm unterhaltsam: Für Witz ist im Roman insbesondere wegen des Vaters Giuseppe Talamini gesorgt, der sein Herz in einem herrlich skurrilen Kapitel an die Hammerwerferin Betty Heidler verliert, der eine Vorliebe für große Werkzeuge hat, seine Familie in den Wahnsinn treibt, und doch eigentlich auch nur eine weitere tragische Figur ist. Nämlich jemand, der gerne einen anderen Weg eingeschlagen hätte, sich aber anders als Giovanni nicht traute.
Von schwierigen Berufen
Warum er es all seinen Figuren so schwer mache? Nun, dafür hat der niederländische Autor ein ganz einleuchtendes Argument. Solange die Figuren ihm nicht zum Geburtstag gratulieren oder ihn auf eine Tasse Kaffee einladen, hätten sie es nicht anders verdient, scherzt er. Natürlich, so van der Kwast augenzwinkernd, ist der Beruf des Schriftstellers auch sonst nicht immer einfach. Zu Recherchezwecken sei er auf eine Eismesse (ja, so etwas gibt es!) gefahren und habe dort an einem Tag 47 Eissorten probieren „müssen“.
Manchmal scheint der Beruf der Moderatorin oder des Moderators einer Lesung aber auch nicht einfacher zu sein – jedenfalls nicht, wenn man einen Herrn van der Kwast vor sich sitzen hat. Während jedes Interviews versuchte er einmal, seinen Gesprächspartner völlig aus dem Konzept zu bringen. In Bremen unternimmt die Moderatorin Katrin Krämer den Versuch, dem Redeschwall des Autors über Brüste, wie seine Mutter ihn gestillt habe und einige andere relativ abwegige Themen Herr zu werden. Ebenso wie die Späße des Autors ist das Geplänkel der beiden an diesem Abend sehr unterhaltsam. Daraus entsteht das Bild eines sehr sympathischen Autors, vor dem man sich doch in Acht nehmen sollte: Er sei eine Raubkatze, die mit Vorliebe (Lebens-)Geschichten seiner Gesprächspartner klaue, erzählt van der Kwast. Man darf gespannt sein, welche Geschichte er als nächstes in die Finger bekommt.
Die Eismacher. Ernest van der Kwast. btb. 2016.
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