Hast du dir nie gewünscht, ein Mann zu sein?

von | 21.10.2022 | Belletristik, Buchpranger

Eine Wohngemeinschaft von vier jungen Frauen, die als Sekretärinnen arbeiten und sich den harten Arbeitsalltag durch ein fröhliches Miteinander erleichtern: Elin Wägner schildert in „Die Sekretärinnen“ das Los vieler Frauen rund um die Jahrhundertwende (nicht nur) in Schweden und legt damit einen feministischen und unterhaltsamen Roman vor. – Von Worteweberin Annika

Elisabeth hat einen Job in einer Anwaltskanzlei ergattert. Ein Glück, denn ihre Eltern sind verstorben und es gibt einen jüngeren Bruder. Sie zieht zu Eva, Baby und Emmy in eine kleine Wohnung und taucht in den Alltag arbeitender Frauen ein – sie verdienen deutlich weniger als ihre männlichen Kollegen, arbeiten oft härter und sind tagtäglich deren lüsternen Blicken ausgesetzt.

„‚Der große Unterschied ist der‘, erklärte ich, ‚dass ein Sekretär, der müde von seinem Arbeitstag kommt, einfach ausgeht und ein paar Scheinchen für sein Vergnügen ausgibt. Eine Sekretärin in derselben Situation bleibt zu Hause und nimmt Aspirinpulver.‘“ (S. 56-57)

Statt von trockenem Brot zu leben, könnten die Sekretärinnen auch einfach heiraten, schon hätten sie ausgesorgt. Stattdessen organisieren die Frauen einen Protest – mit dem sie im Jahr 1908 natürlich (leider!) nicht durchkommen können. Bleibt doch nur die Ehe, wenn sich denn die richtigen Heiratskandidaten finden? Ihrem Tagebuch vertraut Elisabeth ihre Überlegungen zur Arbeit, zur Liebe und den Rechten als Frau an, ehrlich, humorvoll und leichtfüßig.

„‚Hast du dir nie gewünscht, ein Mann zu sein?‘
‚Doch. Frauen dürfen wir ja nicht sein.‘“ (S. 56)

Neben den Problemen der Zeit lernen wir die vier Frauen, ihre Sorgen und Träume kennen. Sie werden von Elisabeth sehr sympathisch geschildert und sind mir beim Lesen schnell ans Herz gewachsen. Dafür ist das Buch dann viel zu schnell vorbei: Plötzlich verlässt die Protagonistin Stockholm und nur aus einem nachgeschobenen Brief erfahren wir noch ein klein wenig darüber, wie es weitergeht. Schade, denn ich hätte gerne mehr von den vier Frauen gelesen!

Elin Wägners Roman erschien 1908. Dennoch liest er sich in der Übersetzung von Wibke Kuhn spielerisch modern und wirkt kein bisschen verstaubt. „Die Sekretärinnen“ ist ein schwedischer Klassiker, den es sich wiederzuentdecken lohnt!

Die Sekretärinnen. Elin Wägner. Aus dem Schwedischen von Wibke Kuhn. Ecco. 2022.

Annika Depping

Annika Depping

Als Chefredakteurin versucht Annika in der Bücherstadt den Überblick zu behalten, was mit der Nase zwischen zwei Buchdeckeln, zwei Kindern um die Füße und dem wuchernden Grün des Kleingartens im Nacken nicht immer einfach ist. Außerhalb der Bücherstadt ist Annika am Literaturhaus Bremen mit verschiedenen Projekten ebenfalls in der Welt der Geschichten unterwegs.

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