Gesa Schwartz im Interview

von | 22.10.2018 | #Todesstadt, Buchpranger, Im Interview, Specials, Stadtgespräch

„Geschichten und Wunder umgeben uns überall. Wir müssen nur hinsehen, und die Welt wird sich vor unseren Augen verwandeln – und wir uns mit ihr.“

Die Autorin Gesa Schwartz schreibt phantastische Romane für Erwachsene und Kinder – im neuesten, „Emily Bones“, geht es um ein junges Geistermädchen und ihre Abenteuer. Mit Worteweberin Annika hat die Autorin unter anderem über die Abenteuer der Figuren hinter geschlossenen Buchdeckeln, den Tod und das Leben im Bauwagen gesprochen.

BK: Mögen Sie sich unseren Leserinnen und Lesern kurz vorstellen?

GS: Gern. Ich wurde 1980 in Stade geboren und habe Deutsche Philologie, Philosophie und Deutsch als Fremdsprache studiert. Mein besonderes Interesse galt seit jeher dem Genre der Phantastik. Nach meinem Abschluss begab ich mich auf eine einjährige Reise durch Europa auf den Spuren der alten Geschichtenerzähler. Für mein Debüt „Grim. Das Siegel des Feuers“ erhielt ich 2011 den Deutschen Phantastik Preis in der Sparte Bestes deutschsprachiges Romandebüt. Zurzeit lebe und schreibe ich in der Nähe von Hamburg in einem Zirkuswagen.

BK: Gerade ist Ihr neuer Roman „Emily Bones – Die Stadt der Geister“ erschienen. Darin geht es ja ganz stark auch um das Thema Tod, wenn auch auf eine unterhaltsame Art und Weise. Wie kamen Sie auf das Thema?

GS: Ich suche mir meine Geschichten nicht aus, sondern es läuft umgekehrt: Die Geschichten kommen zu mir, und ihre Themen haben sie mit im Gepäck. Meist passiert das über ein Bild, das plötzlich in meinem Kopf auftaucht und mich so neugierig macht, dass ich unbedingt wissen muss, was es damit auf sich hat. So war es auch bei Emily. Welches Bild das war, werde ich aber an dieser Stelle nicht verraten, nur so viel: Es findet sich auch im Buch wieder.

BK: War das Schreiben für Sie dann auch eine Auseinandersetzung mit dem Tod?

GS: Ich stecke in all meinen Geschichten, ähnlich einem Mosaik, dessen Einzelteile hier und da aufblitzen, wenn man genau hinschaut. Insofern spielen die Themen, mit denen meine Figuren sich beschäftigen, meist auch in meinem Leben eine Rolle. Was den Tod betrifft, so wurde ich schon einige Male auf ganz verschiedene Weise mit ihm konfrontiert. Ein besonders einschneidendes Erlebnis war hier sicher der Tod meines Vaters. Ich habe eine Weile gebraucht, um zu erkennen, dass der Tod kein Feind, kein dunkler Gegner ist, sondern ein wichtiger Teil unseres Lebens und tatsächlich genau das, was der Vampir Balthasar in „Emily Bones“ über ihn sagt:

„Diese Stille ist ein Zauberer. Er spricht alle Sprachen, die je erdacht wurden, und kennt alle Tränen und jeden Traum der Welt. Seine Macht ist grenzenlos. Er urteilt nicht und ist doch der einzige Richter, vor dem tatsächlich alle gleich sind. Sein Kuss ist samtene Dunkelheit, sein Atem lindernde Ruhe, und nichts kennt solchen Trost wie die Kühle seiner Umarmung. Er ist der Anfang und das Ende. Es gibt keinen größeren Magier als ihn.“

BK: Am Ende steuert die Geschichte auf ein großes Problem zu, das die meisten Geister anfangs lieber verdrängen wollen. Mich hat das stark an die großen Probleme unserer Zeit erinnert, die ja oft auch nicht angegangen werden, zum Beispiel der Klimawandel. Inwiefern war das für Sie ein Hintergrund beim Schreiben?

GS: Ich erlebe meine Geschichten Seite an Seite mit meinen Protagonisten, so war es auch bei Emily. Insofern war ich gemeinsam mit ihr erschüttert, als sie mit der Furcht und Ignoranz der machthabenden Friedhofsbewohner konfrontiert wurde – und wie in Emily wurde auch in mir nach der ersten Enttäuschung der Wille stark, etwas dagegen zu unternehmen. Denn Sie haben Recht: Genau diese Ignoranz ist auch in unserer realen Welt für die größten Probleme verantwortlich und eines der massivsten Übel unserer Zeit. Genau so übertragbar ist aber auch die Hoffnung, die Emily immer wieder dazu treibt, ihren eigenen Weg zu gehen, und das Bewusstsein, dass es nicht so bleiben muss, dass jeder Einzelne Verantwortung übernehmen und etwas verändern kann, dass es das Gute in der Welt gibt – und zwar nicht irgendwo dort draußen, sondern in uns allen.

BK: Die Protagonistin im Roman fragt sich, was eigentlich mit einer Geschichte passiert, wenn sie nicht gelesen wird. Was glauben Sie selbst?

GS: Dieser Gedanke wurde einst von Michael Ende aufgeworfen, der einen großen Einfluss auf mein Schreiben hat, vor allem durch seine philosophischen Texte und seine Warnung vor der Zivilisationswüste, in der wir uns inzwischen alle befinden. Eine abschließende Antwort lässt sich auf die Frage vermutlich gar nicht geben, denn sie hängt meines Erachtens auch immer von der Geschichte ab, über die man gerade spricht. Was meine Geschichten betrifft, bin ich ganz sicher, dass die Figuren jede Menge Abenteuer erleben, sobald sich die Buchdeckel schließen. Ich mag den Gedanken, dass die Buchstaben manchmal vielleicht ganz schön Mühe haben, noch rechtzeitig wieder an ihren angestammten Platz zurückzusprinten, wenn man das Buch aufschlägt.

BK: Und wird es tatsächlich für Emily und ihre Freunde weitergehen? Haben Sie eine Fortsetzung geplant?

GS: Eine Fortsetzung habe ich derzeit nicht geplant, aber ich kann mir gut vorstellen, noch einmal in Emilys Welt zurückzukehren, wenn sie mit der ihr eigenen Vehemenz an meine innere Schreibzimmertür klopft. Denn wie sagte eine Figur in einem meiner anderen Bücher einmal: „Alles ist möglich – eines Tages.“

BK: Was glauben Sie, warum gruseln wir uns gerne?

GS: Das hängt vermutlich mit dem freien Spiel der Fantasie zusammen, dem wir in unserem Alltag nicht immer den Raum geben können, den es braucht. Es lässt uns auf spielerische Weise neue Erfahrungen sammeln, treibt uns an unsere Grenzen oder auch darüber hinaus und führt uns damit zu größerer innerer Stärke. In Konfrontation mit unseren Ängsten lernen wir immer wieder aufs Neue, was eigentlich in uns steckt, und wie wir anfänglich scheinbar Unüberwindbares dann doch bezwingen können. Und dann ist es natürlich auch ein Abenteuer. Der Nervenkitzel macht Spaß, es ist spannend, unheimliche Situationen durchzustehen, sofern wir uns ihnen freiwillig aussetzen und in dem Bewusstsein, dass alles gut für uns ausgehen wird, z.B. in der Geisterbahn – oder eben bei der Lektüre eines gruseligen Buchs.

BK: Wie war das bei „Emily Bones“ – das Buch richtet sich ja an Kinder ab zehn. Wie viel Grusel darf man denen zumuten?

GS: Ich glaube ja daran, dass es für jede Geschichte genau eine Möglichkeit gibt, sie zu erzählen – einen einzigen richtigen Weg. Wenn man ihr und ihren Figuren zuhört, wird sie nicht auf Abwege kommen. So ist es auch bei Emily gewesen. Insofern habe ich mich während des Schreibens nie gefragt, ob dieses oder jenes für Kinder zumutbar ist oder nicht, sondern einfach genau hingehört, was die Geschichte aus sich selbst heraus gefordert hat.

„Emily Bones“ ist natürlich hin und wieder gruselig, immerhin spielt die Geschichte hauptsächlich auf einem Friedhof, inklusive einiger mehr oder minder düsterer Bewohner. Aber Grusel darf nie zum Selbstzweck werden. Er ist für mich dann gelungen, wenn er dazu dient, meine Figuren – und damit auch meine jungen Leser – über sich selbst hinauswachsen zu lassen, innere Stärke zu entwickeln und eigene Grenzen auszuloten. Und nicht selten lehrt er uns, dass die Dinge oder Wesen, vor denen wir Angst haben, in Wahrheit gar nicht zum Fürchten sind. So lernt auch Emily, dass es nicht der Schein ist, der zählt, sondern das, was dahinter steckt. Diese Erfahrung ist meines Erachtens gerade in der heutigen Zeit so wichtig wie selten zuvor.

BK: Sie sind nach dem Studium ein Jahr lang durch Europa gereist. Was haben Sie auf der Reise erlebt?

GS: Da könnte ich Bücher füllen, um diese Frage zu beantworten, und selbst dann wäre ihr vermutlich nicht Genüge getan. Ich bin an Orten gewesen, die ich mir nicht hätte vorstellen können, zum Beispiel am Tor zur Unterwelt in Griechenland, in einer einsamen Schlucht, in der es so still war, dass ich die Flügelschläge eines Vogels hören konnte, auf einem nächtlichen Platz in Lissabon, auf dem Menschen der unterschiedlichsten sozialen Schichten miteinander getanzt haben, wortlos und mit einem Lächeln. Ich habe Geschichten gehört, die so einzigartig, fantastisch, wunderbar sind, dass ich sie für immer als funkelnden Schatz in mir bewahren werde, von den Menschen, die mir begegnet sind, ganz zu schweigen. Und ich habe etwas gelernt, das ich nie wieder vergessen werde: Geschichten und Wunder umgeben uns überall. Wir müssen nur hinsehen, und die Welt wird sich vor unseren Augen verwandeln – und wir uns mit ihr.

BK: Ihre Bücher sind ja auch sonst mit, ich sage mal zwielichtigen, Gestalten bevölkert: Gargoyles, der Sohn von Luzifer, Drachen… Woher kommt Ihr Interesse daran?

GS: Ich stelle die These auf: Es gibt keine lebendigen Figuren, die nicht in irgendeiner Weise auch zwielichtig sind – ob nun in einer Buchwelt oder in unserer realen Wirklichkeit. Das, was auf den ersten Blick düster und unheimlich erscheint, ist oft gerade das Gegenteil, und das scheinbar Schöne birgt nicht selten schreckliche Abgründe. Diese Vielschichtigkeit ist mir wichtig, und sie spiegelt sich in all meinen Geschichten. Meine Gargoyles sind keine finsteren Dämonen, sondern liebende, sehnsüchtige, empfindsame Geschöpfe, mein Teufelssohn ist vor allem anderen ein Junge, der seinen Weg sucht, sich selbst treu bleiben will und dabei bereit ist, sich selbst für seine Freunde zu opfern, und meine Drachen tragen mehr Poesie in sich als Feuer und Rauch. Und da sind wir auch schon bei einem meiner Leitwörter: Poesie. Sie verbirgt sich oft gerade dort, wo wir sie nicht erwarten, und nicht selten ist es besonders das zunächst Fremde, bedrohlich oder seltsam Erscheinende, das die größten Wunder für uns bereit hält.

BK: Was für Bücher lesen Sie denn eigentlich selbst gerne?

GS: Auch hier könnte ich lange erzählen und würde trotzdem kein Ende finden, deshalb sage ich: Am liebsten lese ich spannende Geschichten. Dabei lasse ich mich weder von Genregrenzen noch von Altersempfehlungen beschränken. Zwei meiner Lieblingsbücher sind „Der Spiegel im Spiegel“ von Michael Ende und „Wer die Nachtigall stört“ von Harper Lee.

BK: Sie werden wahrscheinlich sehr oft danach gefragt, aber: Wie kommt es, dass Sie in einem Zirkuswagen leben? Und wie ist das so?

GS: Nach meiner Europareise stand ich vor der Entscheidung, mich an einem Ort niederzulassen, fand aber den Gedanken einer Wohnung seltsam beengend, nachdem ich ein Jahr lang vollkommen frei herumgefahren war. Bei Gesprächen mit Freunden kam dann die Idee des Zirkuswagens auf, die mich nicht mehr losgelassen hat, und so habe ich mich entschlossen, das Experiment zu wagen. Und ich finde es ganz wunderbar. Ich liebe es, dem Regen zuzuhören, wenn er auf das Dach prasselt, ich mag das Knistern im Ofen im Winter und es gibt kaum etwas Schöneres, als rings herum Bücher zu haben, die sich bis zur Decke stapeln. Auch mein Zirkuswagen ist ein Teil meines Konzepts – ein Stück Poesie in der Wüste unserer Welt.

BK: Dann habe ich noch unsere beiden typisch bücherstädtischen Fragen: Wenn Sie ein Buch wären, welches wäre das dann? Und aus welchem Grund?

GS: Ich wäre vermutlich ein Buch mit leeren Seiten, weil meine Geschichte noch erzählt werden muss.

BK: Und gibt es eine Frage, die Sie sich schon immer für ein Interview gewünscht haben? Was würden Sie antworten?

GS: Ja, es gibt immer wieder neue Fragen, die ich mir wünsche. Aber ich werde sie nicht verraten. Denn auch Interviews sind Geschichten und damit Abenteuer – und sie wären langweilig, wenn man schon wüsste, wann was passiert.

[tds_note]Ein Beitrag zum Special #Todesstadt. Hier findet ihr alle Beiträge.[/tds_note]
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