„Germanistik? Und was macht man dann damit?“

von | 06.11.2016 | Kreativlabor

germanistik_pia

„Ich studiere Germanistik, aber nicht auf Lehramt. Sondern auf Taxifahrer“, so einmal ein Kommilitone am Anfang meines Bachelorstudiums – passend zu der ultimativen Killerfrage, die wohl besonders Germanisten mehr als einmal im Freundeskreis, in der Familie und eigentlich von jedem gefragt werden: „Und was macht man dann damit?“ – Von Satzhüterin Pia

Es gibt eigentlich nur zwei Reaktionen auf den Satz „Ich studiere Germanistik“: „Oh Gott!“ und „Oh, cool!“ Ich hatte schon beide häufig und kann gar nicht genau sagen, ob eine der beiden überwiegt. So oder so gibt es Unmengen von Vorurteilen, die allerdings nicht nur das Studium der Germanistik für sich beanspruchen darf: Informatiker sind alles Kellerkinder, die nur vor ihrem überdimensionierten Hyper-PCs sitzen. Philosophen tragen ausschließlich Schlabberlook und Maschinenbaustudierende Karohemden. Und BWL studiert man eh nur, wenn man sonst keine Ideen oder Talente hat. Vielleicht ist ja sogar jedes Studienfach mit der eingangs gestellten Frage gestraft, mal häufiger, mal seltener. Aber bleiben wir mal bei der Germanistik, denn sie gehört auf jeden Fall in die Kategorie „häufiger“.

„Ein Germanistikstudium kann doch jeder schaffen.“ Wirklich? Zuerst einmal müssen angehende Germanistikstudierende ein Latinum oder ausreichend Kenntnisse in zwei lebenden Fremdsprachen vorweisen können. Aber noch viel wichtiger: Man muss die Sprache lieben, viel und gerne lesen wollen, Sicherheit in Grammatik und Rechtschreibung mitbringen – erst mit den Grundlagen braucht man hier gar nicht anzufangen, die müssen bereits sitzen – und keine Angst vor der ganzen Bandbreite an Texten in deutscher, aber durchaus auch mal englischer Sprache haben. Vorurteile zeigen letztendlich nur, dass die- oder derjenige keine Ahnung hat, was im Studium vermittelt wird.

Germanistik – was für ein Studium ist das eigentlich???

„Im Germanistikstudium liest man gemütlich auf dem Sofa Bücher und plaudert anschließend bei einer Tasse Tee darüber.“ So jedenfalls sieht ein Germanistikstudium nicht aus. „Es ist wie in der Schule: dem Autor irgendwelche Intentionen in den Mund legen“ – nein, auch das ist nicht korrekt. Die Germanistik beschäftigt sich mit mittelalterlicher Literatur und Sprache (Mediävistik), mit der Sprachwissenschaft (Linguistik) und mit der deutschen Hochliteratur (Literaturwissenschaft). Aber auch mit Literatur, die man nicht sofort auf dem Schirm hat: Trivialliteratur, nicht-deutschsprachige Literatur und sogar Filmen und Musik.
Überhaupt sind Medien wichtiger als mancher annehmen mag, obwohl ein Germanistikstudium nicht mit dem Studium der Journalistik zu verwechseln ist! Besonders zu Anfang sortieren einige ProfessorInnen und DozentInnen gerne etwas akribischer aus, denn die Zahl der Studienanfänger ist nicht eben gering. Klausuren, besonders auch E-Klausuren, gibt es viele in den ersten Semestern, die schlichtweg die Grundlagen in Literaturwissenschaft, Linguistik und Mediävistik abfragen.

Und zuletzt noch: Es gibt nicht nur ein „richtiges“ Deutsch – unterschiedliche Dialekte, Jugendsprachen und so weiter zeigen eine nicht zu verachtende Vielfalt auf, ganz abgesehen von den unterschiedlichen Stufen der Sprachentwicklung, die bei mediävistischer Betrachtung aufgezeigt werden.

Nach diesem Blick auf die Themenfelder eines Germanistikstudiums dürfte die eigentliche, wirklich elementare Hürde ziemlich deutlich sein: Man muss die Sprache in all ihren Facetten lieben. Du hast die vier Bücher von „Twilight“ an einem Wochenende durchgelesen? Qualifiziert dich noch lange nicht für ein Germanistikstudium! Du gehst Freunden und Familie auf den Geist, indem du ihre Grammatik verbesserst oder du wirst als erstes gefragt, wenn es um die Prüfung von Zeichensetzung im Bewerbungsanschreiben geht? Dann dürftest du hier perfekt aufgehoben sein!

Abstrakt und perspektivlos?

Zwar mag all das etwas abstrakt – im Gegensatz zu einer Tischlerlehre zum Beispiel – und auch aussichtslos klingen, aber so perspektivlos ist das Studium dann doch nicht. Wirklich nicht! Denn immerhin ist die heutige Gesellschaft mehr denn je auf Sprache und Kommunikation ausgelegt. Beides spielt eine elementare Rolle bei Büchern, im Fernsehen, Radio oder Internet und auch auf deinem Smartphone. Im Grunde also überall, wo bestimmte Inhalte einer gewissen Zielgruppe vermittelt werden sollen. Nur für eine Sparkassenwerbung, in der der neueste fürchterliche Jugendslang breitgetreten wird, benötigt man sicher kein Studium der Germanistik… Aber das ist noch ein anderes Thema.

Konkrete Jobperspektiven mögen auf den ersten Blick nur bei Lehramtsstudierenden deutlich sein, auf den zweiten bieten sich für „berufsorientierte“ Germanistikstudierende jedoch weit mehr Möglichkeiten. Nur hängt dies eben von der jeweiligen Person ab, denn ganz allgemein gesprochen bereitet das Studium natürlich nicht auf einen bestimmten Beruf vor. Das lässt sich nicht abstreiten. Ein entsprechendes Zweitfach, die Wahlen vom Studienschwerpunkt (neuere deutsche Literaturwissenschaft, Linguistik oder Mediävistik), Belegung von bestimmten Seminaren und Erwerbung von weiteren Zusatzqualifikationen – durch all das können sich in ganz unterschiedlichen Branchen Jobmöglichkeiten entwickeln.

Ja, ihr wollt es noch konkreter, ich weiß!

Journalismus – denn man muss keine Journalistenschule besuchen oder „irgendwas mit Medien“ studieren, um in diesem Bereich Fuß zu fassen. Tatsächlich ist das Germanistikstudium eine häufige Wahl für diejenigen, die gerne „in‘ Journalismus“ möchten. Und nicht wenige Seminare mit medialem Schwerpunkt können auch im Germanistikstudium belegt werden.

Verlagsarbeit – denn wo ist die Sprache bitte wichtiger als in Büchern und Magazinen? Das Verlagswesen bietet hierbei viele Möglichkeiten, wenn es auch ein schwieriges Berufsfeld sein mag. Von der anderen Seite betrachtet, wollen natürlich auch viele Germanistikstudierende Autorin oder Schriftsteller werden. Zugegebenermaßen ein ebenso schwieriges Berufsfeld, aber natürlich nicht unmöglich!

Bildung und Weiterbildung: Das kann zum Beispiel von Hochschul- und UniversitätsdozentInnen bis zu Erwachsenenbildung reichen.

TexterIn: Ein sehr breites Feld, wie geschaffen für Germanisten! Ob Texte für ein Theater oder doch ein Museum, für kleinere oder größere Firmen, ganze Städte oder Landkreise, irgendwie können überall mal professionelle Texter gebraucht werden, die Werbetexte, Imagebroschüren oder Slogans formulieren. Apropos kleinere und größere Firmen…

…die Öffentlichkeitsarbeit – das ist ein besonders großes und lukratives Feld der Germanisten. Besonders größere Unternehmen haben so eine Abteilung. Vom Krankenhaus und der Universität über Produktionsfirmen bis hin zu Dienstleistern – geht es um die Präsentation in der Öffentlichkeit, sind Germanisten mit entsprechenden Zusatzqualifikationen gern gesehen.

Weiterhin kann man uns in Unternehmens- und Medienberatung finden, in der Tourismus- und Werbebranche (besonders mit Kulturwissenschaft oder Medienästhetik im Zweitfach) oder auch in Bibliotheken und so weiter.

„Was macht man dann damit?“ – „Vieles.“

Schwammig scheinende Jobperspektiven kannst du also einfach als ein Pool aus zahllosen Möglichkeiten sehen, denn wichtig ist, was du daraus machst. Allerdings zeigt mein Text, wie schwierig es ist, eine knappe Antwort auf die Frage „Und was macht man dann damit?“ zu geben. Also sag ich meistens nur: „Vieles.“ Wenn die Frage konkreter wird, nämlich was ich denn damit machen will, so ist die Antwort im Laufe meines Studiums und der Vermehrung von möglichen Perspektiven komplizierter geworden. Dann gibt es eben nur für die eine Antwort, die es wirklich interessiert.

Bild: Satzhüterin Pia

Bücherstadt Magazin

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

6 Kommentare

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    Super Text! Diese nervigen, weil in aller Regel unüberlegten oder zumindest nicht wirklich interessierten Fragen á la „Was macht man denn damit?“ kenne ich auch zur Genüge. Mehr als einmal habe ich auch den scheinbar ausgesprochen beliebten Taxifahrer-Witz zu hören bekommen.

    In gewisser Weise ist meine Kombination aus Philosophie und Geschichte vielleicht noch schwieriger zu fassen, als die Sprachwissenschaft Germanistik. Aber was im Text so toll beschrieben wird, gilt wohl für alle Geistes- und Kulturwissenschaften: Schwammige Jobperspektiven bedeuten eine Unzahl spannender Möglichkeiten und viel Entscheidungsfreiheit bei der Berufswahl. Und eines trifft wohl auf uns alle zu: Wir lieben, was wir machen!

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      Ja! Wir lieben, was wir machen! Ich möchte sogar behaupten, dass jemand, der ein auf den ersten Blick perspektvloses Studium einschlägt und absolviert, dies mehr liebt, als diejenigen, die meinetwegen das berühmte BWL wählen. Ausnahmen gibt es immer, aber es braucht schon eine andere Motivation, zum Beispiel Leidenschaft und Hingabe um sich für die meisten Geisteswissenschaften zu entscheiden.

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    Ich kenne jemanden, der Skandinavistik und jemanden, der Slawistik studiert hat. Da wäre diese Frage schon berechtigter.

    In der Retrospektive hätte ich wohl auch Germanistik studieren sollen. Na ja … hinterher ist man immer klüger.

    Schöner Artikel.

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      Was studierst du denn?
      Und danke 🙂

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    Als ich damals mit dem Studium anfing, sagte ein Dozent zu uns Erstsemestern: „Wer hier sitzt, weil er gern liest, kanngleich wieder gehen.“ Ich finde das noch heute sehr treffend, denn Germanistik ist viel mehr als das.

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      Ja, das kenne ich! Ich habe mal ein Tutorium gehalten – der Dozent zum Seminar (Einführung in die Lit.wis.) hat geradeheraus gesagt, dass er vieles schwieriger gestalte um die „Ich lese gerne“-Fraktion auszusortieren. Ein bisschen radikaler, als nur darauf hinzuweisen^^

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