Flucht nach vorne: Parada

von | 12.08.2018 | #Kunterbunt, Filme, Filmtheater, Specials

LGBTQ im Balkan – kein leicht verdauliches Thema. Der Film „Parada“ wagt die Flucht nach vorne und präsentiert das Thema derbe, witzig, grenzüberschreitend, aber vor allem unendlich klischeehaft. Gelungen? – Von Satzhüterin Pia

So viele Facetten wie beim Film „Parada“ kommen Kinogängern nicht so häufig vor die Augen. Wo soll ich also anfangen? Beim Inhalt oder den Figuren? Dem Humor oder all den Klischees? Der … markanten Sprache? Oder den vielen Details und (politischen) Referenzen? Eins ist klar: „Parada“ zeigt sich facettenreich wie die LGBTQ-Community selbst – begonnen beim Inhalt und einigen Figuren.

Radmilo und Mirko könnten nicht glücklicher sein – aber auch kaum unterschiedlicher in der Auffassung, wie sie ihr Leben als schwules Paar in Serbien gestalten wollen. Homophobie zeigt sich jederzeit und überall und vor allem nicht leise. Gefährliche Übergriffe auf schwule und lesbische Personen sowie Sachbeschädigungen kommen tagtäglich vor.

Radmilo ist Tierarzt und eine sanfte Seele, die gerne unter dem Radar bleibt und Provokationen vermeiden möchte. Hochzeitsplaner Mirko (oh, da haben wir ja schon unser erstes Klischee!) geht dagegen auf’s Ganze und organisiert nebenbei die Pride Parade für Schwule und Lesben in Belgrad mit. So werden die beiden ebenfalls Zielscheibe übergriffiger Rechtsradikaler und anderer homophober Vertreter der Spezies homo sapiens. Auch die Stadtverwaltung legt Mirko und seinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern einige Hürden in den Weg. Wer zum Beispiel soll den Teilnehmenden der Parade die eigene Sicherheit gewährleisten? Niemand will den Job …

Und so kommt der Kriegsveteran Limun ins Spiel – seines Zeichens homophobes Arschloch, Chef einer Securityfirma sowie verlobt mit Biserka, Schönheitssalonbesitzerin und optisch die eigene beste Kundin (hallo Klischee Nummer zwei!). Biserka möchte unbedingt Mirko für die Planung ihrer Hochzeit mit Limun gewinnen … während ihr Verlobter sich wenig begeistert zeigt, wenn man es so ausdrücken möchte: Er schlägt den schwulen Hochzeitsplaner zusammen. Die Hochzeit droht zu platzen. Doch die protzige Biserka hat in der Beziehung eindeutig die Hosen an und stellt Limun vor vollendete Tatsachen. Es entsteht also eine interessante Zusammenarbeit, die zwischenzeitlich in einen regelrechten Roadmovie ausartet, als Limun sich mit Radmilo auf den Weg durch die restlichen ehemaligen Republiken Jugoslawiens macht, um Verbündete aufzustöbern. Natürlich – und hier folgt Klischee Nummer drei – in einem kleinen, bonbonrosa Auto.

Bei den komischen Situationen durch das rosa Auto und deren Insassen bleiben die Roadmovie-Elemente nicht stehen – auch politische Referenzen kommen nicht zu kurz, wenn Limun und Radmilo alte Gangster-Kumpels aus Verbrecherzeiten Limuns überreden, beim Schutz der Homosexuellen zu helfen. Besonders die im Land stationierten US-Soldaten bekommen ihr Fett weg, nehmen wir etwa die Nebenhandlung mit einem muslimischen Drogendealer, dessen beste Kunden US-Soldaten sind.

Bei all den Klischees, Übertreibungen, all den Gags und komischen Figuren, driftet „Parada“ doch nie ins Lächerliche ab. Aber warum eigentlich nicht? Ein schwuler Hochzeitsplaner, ein prolliger Homophob mit Skinhead-Sohn und übertrieben protziger Verlobten – es könnte ewig so weitergehen. Der serbische Regisseur und Drehbuchautor Srđan Dragojević macht sich diese Archetypen, diese klischeehaften Figuren (und vor allem ihre alles andere als politisch korrekte Sprache) zunutze, wie er in einem Interview mit SPON erzählte: „Als studierter klinischer Psychologe glaube ich, dass man […] sie im Sinne von positiver Manipulation dazu einsetzen kann, Vorurteile abzubauen.“ Die ernsten Elemente – und damit spreche ich besonders vom Ende des Films – bringen die Zuschauenden in die Realität zurück, stoßen uns mit der Nase wieder auf den bitteren Hintergrund der lustigen und bunten Geschichte.

Der reichliche, vor allen Dingen reichlich grenzüberschreitende und schwarze Humor funktioniert – auch weil der Film überraschend aus einer Nische herausprescht: Es ist keiner dieser westlichen Mainstream-Filme, die einfach nicht ohne den üblichen Gutmensch-Pathos auszukommen scheinen.

„Parada“ schlug 2011 bombastisch ein. Die Tragikomödie war in Europa – auch in den Balkanstaaten – immens erfolgreich, was aufgrund des Themas überraschte. Dragojević nennt es eine bewusste, künstlerische Entscheidung, den Film nicht als bierernste Arthouse-Produktion umgesetzt zu haben – so „hätte man den Film in ein selbstgeschaffenes Ghetto gesteckt“, erzählt Dragojević in dem Interview mit SPON anlässlich der Berlinale 2012. „Parada“ schaffte hier den Publikumspreis der Panorama-Reihe. Ich sage: Recht so!

Parada. Regie & Drehbuch: Srđan Dragojević. Darsteller: Nikola Kojo, Miloš Samolov, Goran Jevtić u.a. Serbien, Kroatien, Slowenien, Mazedonien, Montenegro. Neue Versionen Filmverleih. 2011. 115 Minuten. FSK 12.

Bilder: Neue Versionen Filmverleih

 

Ein Beitrag zum Special #Kunterbunt. Hier findet ihr alle Beiträge.

 

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