Feministisch, laut und eindringlich: „Speak Up“

by Satzhüterin Pia

Das Debüt der bri­ti­schen Autorin Laura Ste­ven, „Speak Up“, ist femi­nis­tisch, laut und ein­dring­lich – jede Menge stump­fer Humor beglei­tet The­men, die har­ter Tobak und top­ak­tu­ell sind: Vic­tim bla­ming, Sluts­ha­ming und Revenge Porn. Satz­hü­te­rin Pia wagt sich mit dem Genre in unge­wohnte Gefilde und ist froh, keine 18 mehr zu sein.

Izzy O’Neill ist im letz­ten High­school-Jahr und ver­steht sich als selbst­be­stimmte Spaß-Kanone. Sie weiß, wer sie ist, hat ihren Spaß und schreibt gerne Sket­che und Comedy-Dreh­bü­cher – ihre Zukunft mag sie sich aber nicht aus­ma­len, denn es man­gelt vorne und hin­ten an Geld. Wäh­rend sie an einem Tag noch zufrie­den im Hier und Jetzt lebt, gleich zwei­mal Spaß auf einer Party hat und mit ihren bei­den bes­ten Freund:innen abhängt, wir­belt ein aus­ge­wach­se­ner Skan­dal ihr Leben bald dar­auf durch­ein­an­der. Die selbst­be­wusste und bis­sig-laute junge Frau gerät hart an die Grenze des Aus­halt­ba­ren, als erst ein Foto von ihr und dem Sena­to­ren-Sohn Vaug­han beim Sex auf einer Gar­ten­bank ver­öf­fent­licht wird, und schließ­lich ein Nackt­bild gele­akt wird. Eine fiese Web­site bie­tet Details und den Mei­nun­gen Unbe­tei­lig­ter eine Platt­form, alles ent­wi­ckelt sich zu einem aus­ge­wach­se­nen poli­ti­schen Sex­skan­dal – und Izzy trifft eine immense Woge des Has­ses, die ihr kaum Zeit zum Luft­ho­len gibt.

Cover Speak UpRevenge Porn, Sluts­ha­ming und immer wie­der Vic­tim blaming

Trot­zig hält Izzy den Kopf oben und ihre Stimme bleibt laut, aber auch an ihr gehen die ver­let­zen­den Kom­men­tare nicht ohne Wei­te­res vor­bei – sie wirkt mehr und mehr wie ein zurück­schnap­pen­des, ver­letz­tes Tier, das keine Schwä­che zei­gen will. Sie ist Opfer von soge­nann­tem Revenge Porn (Rache­porno) gewor­den, also dem rache­neh­men­den Ver­öf­fent­li­chen por­no­gra­fi­scher oder die Per­son nackt zei­gen­der Videos oder Bil­der. Sie wird von allen Sei­ten als Schlampe bezeich­net (Sluts­ha­ming), wäh­rend sie doch nur selbst­be­stimmt gehan­delt hat. Und es fin­det an allen Ecken und Enden Vic­tim bla­ming statt, hier­zu­lande bes­ser bekannt als die Täter-Opfer-Umkehr. Genau, im Grunde ist sie selbst schuld: Warum hat sie denn auch mit zwei Jungs an einem Abend geschla­fen? Warum hat sie denn auch so ein offen­bar ver­werf­li­ches Bild ver­schickt? Vaug­han, der eben­falls auf der Bank zu sehen ist und des­sen Penis­bild genauso ver­öf­fent­licht wurde, kommt ver­gleichs­weise gut dabei weg – nicht aber die junge Frau, was eine unfass­bare Dop­pel­mo­ral darstellt.

„Ich hatte mei­nen Spaß, Danny. Ich sehe nicht, wieso das eine Idio­tin aus mir macht. Wür­dest du einen der Jungs ver­ur­tei­len, weil er an einem Abend mit zwei Mäd­chen schläft?“ (S. 95)

Diese gro­ßen und schmerz­haft-schwe­ren The­men wer­den beglei­tet durch „harm­lo­sere“, wenn­gleich kei­nes­falls ober­fläch­li­che Kon­flikte, die die Geschichte abrun­den und in dem gan­zen femi­nis­ti­schen Mani­fest den Kon­takt zum Genre Jugendbuch/Young Adult hal­ten: Es gibt einen ver­schmäh­ten Love-Inte­rest – einen „Nice Guy“, und ja, auch hier zeigt das Buch Pro­ble­ma­ti­ken am Ende deut­lich auf – und eine beste Freun­din, die ver­mut­lich les­bisch ist.

Diver­si­tät in allen Ecken

Eine große Stärke des Buches ist die Diver­si­tät, die über­all zu fin­den ist, mit der sich das Buch aber nicht unnö­tig brüs­tet. Ganz selbst­ver­ständ­lich ist die Lieb­lings­leh­re­rin mit einer Frau ver­hei­ra­tet, die beste Freun­din Nepa­le­sin (und ver­mut­lich les­bisch), die neue Freun­din Meg sitzt im Roll­stuhl und der Schwarm ist Schwarz, wäh­rend Izzy selbst Voll­waise ist und mit ihrer unkon­ven­tio­nel­len Groß­mutter in hoff­nungs­lo­ser Armut lebt.

Immer wie­der blit­zen andere poli­ti­sche und gesell­schaft­li­che The­men auf. Izzy hat bei­spiels­weise ver­schie­den große Brüste, was tri­vial erschei­nen mag, aber ein tabui­sier­tes Thema dar­stellt. Oder Ras­sis­mus, zum Bei­spiel durch die betrof­fene beste Freundin:

„Das ist so, als wenn ich über Ras­sis­mus rede. Dann ver­lange ich auch nicht, dass ein ein­zi­ger Wei­ßer sei­nen magi­schen Pri­vi­le­gien-Zau­ber­stab schwingt und ein ein­zel­nes Sym­ptom lin­dert. Was ich damit sagen will: Ich möchte vor allem, dass der sys­tem­im­ma­nente Ras­sis­mus ver­schwin­det. Ich will ein Heil­mit­tel, kein Pflas­ter. […] Aber eine Menge rei­cher, wei­ßer Jungs wird das nie kapie­ren. Bei denen dreht sich alles immer nur um sie. Und warum auch nicht? His­to­risch betrach­tet, ist es doch immer um sie gegan­gen.“ (S. 226)

Oder auch sub­ti­lere Pro­ble­ma­ti­ken, wie unge­woll­ter Kör­per­kon­takt oder schlicht­weg der respekt­volle Umgang mit den Wün­schen und Gefüh­len anderer:

„Ich über­lege, sie zu umar­men, ent­scheide mich aber dage­gen, weil unge­frag­ter Kör­per­kon­takt sie nervt. Obwohl ich wie eine Haus­katze bin, die bei jeder Gele­gen­heit Kör­per­kon­takt sucht, muss ich ihre Wün­sche respek­tie­ren.“ (S. 201)

Ein paar Über­set­zungs­pro­bleme gehen auf Kos­ten des Wit­zes, das ist ver­zeih­lich, wenn es auch schö­ner hätte gelöst wer­den kön­nen. Wort­spiele wie „thirsty“ für durs­tig und begie­rig funk­tio­nie­ren jeden­falls nicht allein mit dem deut­schen Begriff „durs­tig“. Oder die Refe­renz an einen Song der Guns n‘ Roses: „Oh, du armes Kind“ klingt eben nicht wie „Sweet Child o‘ mine“. Es hat mich an Serien wie die Gilm­ore Girls erin­nert, die eben­falls mit viel Witz und pop­kul­tu­rel­len Anspie­lun­gen arbei­ten, die nicht sel­ten durch die Über­set­zung ver­lo­ren gehen.

„Speak Up“ ist als Blog aus der Sicht von Izzy geschrie­ben, die sich an uns Leser:innen wen­det. Ihre stre­cken­weise über­zo­gene Art wird sicher­lich nicht den Geschmack aller Leser:innen tref­fen – sobald ich mich drauf ein­ge­las­sen hatte, kam ich damit tat­säch­lich sehr gut klar. Die Erzähl­stimme wirkt wahn­sin­nig authen­tisch und sym­pa­thisch, merkt man doch schnell, wie viel Schmerz durch Izzys laute und humor­volle Art ver­deckt wird. Die Stärke, die sie immer wie­der beweist, ist beein­dru­ckend, aber ihr Schmerz ebenso deut­lich zu spü­ren. Das Buch ist unter­halt­sam, wirkt authen­tisch und behan­delt wich­tige und ernste The­men auf eine reflek­tierte Art, wenn auch mit jeder Menge bis­sig-selbst­iro­ni­schem und oft­mals plat­tem Humor.

„Speak up“ ist defi­ni­tiv eine emp­feh­lens­werte Lek­türe – nicht nur, aber vor allem – für junge Frauen.

Speak Up. Laura Ste­ven. Über­set­zung: Hen­ri­ette Zelt­ner Shane. Droe­mer HC. 2020.

Weiterlesen

Leave a Comment

Diese Seite verwendet Cookies. Mit der Nutzung unserer Website erklärst du dich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. OK Erfahre mehr