Es macht wütend!

von | 12.01.2017 | Belletristik, Buchpranger

Michel Houellebecqs Romane liegen in fast allen Buchhandlungen aus. Besonders „Unterwerfung“ wurde in der Presse hoch und runter besprochen. Zeilenschwimmerin Ronja wollte das Buch eigentlich nie lesen, aber Bildungsinstitutionen führen manchmal auch an Orte, an die man nie gehen wollte.

So viel vorweg: „Unterwerfung“ ist ein Roman. Das ist das Schmeichelhafteste, was ich über dieses Buch sagen kann, will und werde.

Frankreich in einigen Jahren: Ein Universitätsprofessor, dessen Name völlig irrelevant ist (nennen wir ihn also einfach den Typ), verfolgt die Wahlen. Am Ende bildet eine muslimische Bruderschaft die Regierung. Was danach geschieht, lässt sich in etwa so zusammenfassen: Stell dir vor, das gesamte politische und gesellschaftliche System eines Landes wird innerhalb weniger Monate umgekrempelt und keinen interessiert’s.

Als meine Professorin uns gesagt hat, wir müssten dieses Semester „Unterwerfung“ lesen, meinte sie: „Ich mag den Roman auch nicht. Aber ich muss eingestehen, dass er wenigstens gut geschrieben ist.“ Wenigstens etwas, dachte ich mir und habe die Lektüre dennoch so lange vor mir hergeschoben wie es ging. Und dann musste ich auch noch feststellen: Es ist nicht gut geschrieben. Es ist auch nicht schlecht geschrieben. Durchschnitt trifft es perfekt. Damit käme ich gut klar, wenn der Inhalt mich nicht so abstoßen würde.

Punkt 1: Glaubwürdigkeit

Frankreich wird von der muslimischen Bruderschaft komplett verändert. Das Bildungssystem, der Alltag, das Familienleben … Alle Frauen laufen plötzlich nur noch in weiten Klamotten rum oder sind gänzlich verhüllt. An den Universitäten und Schulen unterrichten nur noch Muslime und die restlichen Dozenten konvertieren oder werden rausgeworfen. Frauen werden aus dem Arbeitsleben verdrängt usw. Über den Aspekt, wie der Islam hier dargestellt wird, möchte ich mich nicht weiter auslassen. (Allerdings erscheint mir der Vorwurf der Islamophobie, der Houellebecq gemacht wird, nicht gänzlich abwegig.) Stattdessen möchte ich auf etwas anderes hinweisen: Solche gravierenden Veränderungen in einer Gesellschaft rufen – so sollte man doch annehmen – Proteste, Aufstände und Ähnliches hervor.
Es gibt nur zwei Stellen in diesem Roman, an denen so etwas geschieht. Aber diese Taten beziehen sich vielmehr auf die Wahlergebnisse als auf das, was danach geschieht. Alle Veränderungen werden nicht nur ohne Widerworte hingenommen, sondern auch ausgeführt. Das erscheint mir alles andere als realistisch. Und noch dazu überaus unspektakulär und langweilig.

Punkt 2: Die Hauptfigur

Der Universitätsprofessor alias der Typ ist ein Unsympath. Er wechselt ständig seine Freundinnen und scheint außer für sich selbst für niemanden Gefühle zu haben. Sowohl seine Mutter als auch sein Vater sterben und während er wenigstens noch auf die Beerdigung seines Vaters geht, denkt er nicht mal darüber nach, das Grab seiner Mutter zu besuchen. An einer anderen Stelle (während der „Unruhen“ nach der Wahl) steigt er an einer Tankstelle, die kurz zuvor überfallen wurde, einfach über die Leiche der Kassiererin, nimmt sich ein Sandwich und geht, ohne die Polizei oder einen Krankenwagen anzurufen. Aber als ihm bewusst wird, dass er für den Moment keine Sexualpartnerin hat, heult er stundenlang.

Noch dazu ist dieser Typ völlig passiv. Alles, was er tut, tut er auf den Rat anderer Leute hin. Jemand sagt: „Eröffne ein Konto im Ausland.“ Und das macht er. Jemand anderes empfiehlt ihm, eine Weile die Stadt zu verlassen. Auch das macht er. Dann verliert er seine Arbeit, aber er beschwert sich nicht. Er nimmt es einfach hin und tut rein gar nichts (außer verschiedene Escort-Services „auszuprobieren“ und über Dinge zu philosophieren, die größtenteils gar nichts mit dem politischen Geschehen zu tun haben), bis ihm am Ende sein Job wieder angeboten wird und er zum Islam konvertiert (um sich a) seinen Job zu sichern und b) mehrere Ehefrauen zu haben).

Punkt 3: Das Frauenbild

Während alle großen Medienhäuser abwechselnd anklagend oder verteidigend für und gegen Houellebecqs Darstellung des Islam plädieren, finden sich nur wenige Artikel über das Frauenbild im Roman. Nicht nur wechselt der Typ seine „Freundinnen“ (diese Bezeichnung ist in diesem Fall völlig ungeeignet) regelmäßig, es geht ihm bei allen Beziehungen nur ums Körperliche (inklusive derber Wortwahl in ebensolchen Szenen). Darüber hinaus äußert er gegenüber einer Kollegin völlig ohne Scham die Meinung, dass er Frauen eigentlich nicht in der Berufswelt sieht. Was es noch schlimmer macht: Seine Kollegin stört es nicht. Später verdrängt die neue Regierung Frauen tatsächlich aus allen Berufen und – wieder einmal! – stört es niemanden! Die Frauen machen einfach mit: Ziehen sich protestlos an den Herd zurück und lassen sich verheiraten, wie es den Herren gefällt! Wie nicht anders zu erwarten, ist das dem Typ sehr recht.

Diesen Roman lesen zu müssen, war eine Zumutung. Wie man dieses Buch als Satire lesen kann (diese Behauptung ist in manchen Feuilletons aufgetaucht), ist mir schleierhaft. Genauso kann ich nicht verstehen, worauf sich der Erfolg dieses Romans gründet. Warum ist „Unterwerfung“ von den Bestsellerlisten jetzt deutschlandweit (und in anderen Ländern vermutlich auch) auf die Theaterbühnen gesprungen? Nur weil es gerade „den Puls der Zeit“ trifft? Wie traurig.

Alles, was bei mir nach dieser Lektüre bleibt, ist Unverständnis und großer Ärger über die vergeudete Zeit und die Ungerechtigkeit der Bestsellerlisten.

Unterwerfung. Michel Houellebecq. Übersetzung: Norma Cassau & Bernd Wilczek. Dumont Verlag. 2015.

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