Er nannte sie Kunstfee – sie nannte ihn Homo Faber

von | 19.06.2015 | Belletristik, Buchpranger

Walter Faber ist Ingenieur. Er glaubt weder an Gott, noch an das Schicksal. Vielleicht glaubt er ein wenig an die Technik. Aber nur ein wenig. Deshalb kommt er zunächst nicht auf die Idee, dass die Begegnung mit der jungen Sabeth, die etwa halb so alt ist wie er und ihn an eine lang vergangene Flamme aus Studentenzeiten erinnert, Zufall sein könnte. – Von Wortklauberin Erika

Sabeth möchte von Paris nach Rom und Griechenland, und nachdem sich die beiden zufällig in Paris nochmals begegnen – dabei handelt es sich um ein inszeniertes zufälliges Treffen, weil sie Walter nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte – beschließen sie, gemeinsam den Weg zurückzulegen. Sabeth erzählt viel von ihrer Mutter, die Archäologin ist und zwei Ehen hinter sich hat, und Walter verdrängt erfolgreich den Gedanken daran, dass ihre Mutter doch ident mit seiner alten Flamme aus Studentenzeiten sein könnte. In Griechenland angekommen, ist für Walter Faber klar, dass er nicht mehr von Sabeths Seite weichen möchte. Sie jedoch wird bei einem Ausflug an den Strand von einer Schlange in die linke Brust gebissen und stirbt – nicht am Schlangenbiss, sondern an einer Schädelfraktur, die von den Ärzten übersehen wurde.

Walter Faber ist Ingenieur. Er glaubt nicht an Gott, sondern an die Formeln, die die Welt bedeuten. Als er nach einer Reise wieder zurück nach Athen kehrt, wird er vor die Diagnose Magenkrebs gestellt. Der Bericht endet mit den Worten: „08.05 Uhr. Sie kommen.“ Ist es Schicksal, dass die Schlange wie eine biblische Figur an den griechischen Strand direkt auf Sabeth zugekrochen kam und sie dennoch an anderen Verletzungen stirbt? Ist es bloßer Zufall, dass sich Walter und seine „Kunstfee“ Hanna, die alte Liebe aus Studentenzeiten, nochmals aufeinandertreffen? Diese Fragen bleiben dem Leser überlassen.

Die Thematik des „Homo Faber“ erinnert stark an das archaische Motiv der unwissenden Inzucht, wie man sie bereits im altgriechischen „Ödipus“ wiederfindet, was nicht zuletzt an dem Hauch von Schicksal liegt, der durch die literarische Tradition hindurchzuwehen scheint.

Homo Faber. Ein Bericht, Max Frisch, Suhrkamp, 1977; mehr über das Buch erfahrt ihr morgen (20.06.15) ab 11 Uhr bei den Feuilletönen: www.feuilletoene.de/live.

 

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