Eines Tages, Baby

von | 08.07.2014 | Belletristik, Buchpranger

Ein Stillleben, ein Nimmerland für eine Generation, die nicht erwachsen werden will, die sich nicht bewegen will.

Die Stimme einer ganzen Generation?

Vor knapp einem Jahr präsentierte Julia Engelmann ihren Poetry Slam Text „One Day“ in Bielefeld. Gewonnen hat sie an diesem Abend nicht, doch schon bald löste die Schneeballmethode in sozialen Netzwerken eine Welle der Begeisterung aus, die nicht mehr zu bremsen ist. Ihr Text „One Day“ scheint den Nerv der Zeit getroffen und auf den Punkt gebracht zu haben, was andere Gleichgesinnte fühlen und denken.

„Eines Tages, Baby, werden wir alt sein,
oh Baby, werden wir alt sein
und an all die Geschichten denken,
die wir hätten erzählen können.“

Es sind Zeilen, die einen nachdenklich stimmen, sei es in vorgetragener oder schriftlicher Form. Ein Klischee à la „Nutze den Tag!“ und „Träume dein Leben“. Sprichwörter, Zeilen, Redewendungen, die man schon zigmal gehört hat und die wohl gerade deshalb so abgestumpft klingen. Ähnlich könnte man auch das Buch „Eines Tages, Baby“ beschreiben. Denn auch wenn Engelmann das Leben anpreist, die Menschen zum Handeln motiviert, wirkt sie doch selbst etwas planlos. Was will sie selbst? Wo möchte sie mal hin? Welche Geschichten will sie eines Tages erzählen? Es ist, als begäbe sich die Autorin mit diesen Texten auf eine Art Selbstsuche. Dabei macht sie sich Gedanken über das Erwachsenwerden, über Liebe, Beziehungen, das Leben und dessen Sinn. So manches Mal denkt man beim Lesen: Ja, darüber habe ich mir auch schon mal den Kopf zerbrochen. Und doch hat man das Gefühl: da fehlt noch was.

„Die Welt ist sehr absurd,
denkt der Goldfisch fasziniert,
und so schaut er weiter zu,
was hinterm Glas passiert.“

Die Geschichte vom Goldfisch zeigt die Perspektive des Beobachters und Denkers. Der Goldfisch schwimmt in seinem Glas, betrachtet die Welt dahinter und findet die Menschen in ihrem Verhalten sehr komisch. Zum Beispiel, dass sie ihr Äußeres aufwerten wollen, obwohl sie von inneren Werten sprechen, dass sie ihre „Gesichter anmalen, um natürlich auszusehen“. Er findet es verrückt, dass Menschen vor dem Fernseher sitzen und „anderen Menschen beim Leben zugucken“. Für ihn sind die Menschen und die Welt komisch, verrückt, paradox. Doch auch wenn er kluge Gedanken äußert, steht er am Ende als doof da, nur weil er kein Langzeitgedächtnis hat. Es ist, als würde die Autorin die Gesellschaft – trotz der nachvollziehbaren Kritik des Goldfisches – verteidigen, indem sie mit den Worten abschließt: „Wenn er wüsste, was er wissen könnte von dem, was hinterm Glas abgeht.“ Armer, kleiner Goldfisch…

„Und manchmal,
wenn du innehältst für einen Augenblick,
um einmal kurz zwischen die Zeilen zu treten,
wenn statt in Gesichter du in Augen blickst,
hörst du sie flüstern,
die stillen Poeten.“

Eine Chance gibt Engelmann jedoch den stillen Poeten, den Menschen, die auf den ersten Blick vielleicht nicht wie Poeten aussehen: ein arrogantes Mädchen, ein schlechter Schüler, ein gewalttätiger Typ. Hier zählen nur die inneren Werte. Ein gleiches Recht für alle, was oftmals eher nach Wunschdenken klingt als Realität.

„Denn zwischen Bergen aus Gedanken und Flüssen,
in denen Fragen fließen,
da wo Träume so wie Tulpen
zaghaft zwischen Gräsern sprießen,
wo sich die Sonne vor die Wolken schiebt,
wo man das Herz der Welt pulsieren sieht,
da liegt – ein Stück weiter als das Nimmerland
und hinter einer Zeitraumwand –
ein Ort wie ein Stillleben.“

Die Texte sind poetisch, leicht, schwebend. Doch hin und wieder stolpert man über die ein oder andere Stelle, auch wenn man weiß, dass es sich um Poetry Slam Texte handelt. Eine beiliegende CD als Hörbuch oder Hörspiel hätte die Texte sicher noch aufgewertet, dieses erscheint jedoch erst Mitte Juli, unabhängig vom Buch. Leider erweckt diese Tatsache den Eindruck, man wolle den Hype nutzen und möglichst viel produzieren, um möglichst viel zu verkaufen.

Ach ja, der Hype…
Während es früher um Können ging, geht es heute um Konsum. Das Internet bietet einem da scheinbar unbegrenzte Möglichkeiten, sich öffentlich zu präsentieren. Sicherlich ein Grund, weshalb unsere Gesellschaft so etwas wie den Hype braucht. Dinge müssen gehyped werden, um aus der ununterbrochenen Reizüberflutung hervorzustechen. Um besser verkauft zu werden. Um ein Gesprächsthema zu bieten. Meistens geht es dabei gar nicht mehr um Talent, sondern um die Geschichte, das Märchen dahinter. Den Hype um diese junge Frau kann sich kaum einer erklären, wissen doch viele, dass es neben ihr noch unzählige andere Poetry Slammer gibt, die es mindestens genauso gut können. Oder besser.

Julia Engelmann sei – laut radiobremen.de – „Die Stimme einer ganzen Generation“. Ich hoffe sehr, dass es nicht so ist. Denn das würde bedeuten, dass Nichtstun ein Lebensgefühl geworden ist, dass man sich mit Anfang zwanzig der Verantwortung entziehen kann, weil man keine Lust auf Erwachsenwerden hat. Dass man die Beobachterrolle einnimmt und nur Dinge tut, auf die man Lust hat, weil das das „wahre Leben“ ist. Ein Stillleben, ein Nimmerland für eine Generation, die nicht erwachsen werden will, die sich nicht bewegen will. In „One Day“ fordert Engelmann einen dazu auf zu leben, etwas zu tun! Nur schade, dass sie sich selbst in anderen Texten dieses Buches widerspricht, indem sie es für völlig in Ordnung hält, nichts zu tun. Zu der hier beschriebenen Generation möchte ich jedenfalls nicht gehören, auch wenn ich aufgrund meines Alters (25 Jahre) wohl dazuzähle. Aber mal schauen, welche Geschichten ich erzählen werde. Eines Tages…

Alexa

Titel: Eines Tages, Baby; Autorin: Julia Engelmann; Verlag: Goldmann; Erscheinungsjahr: 2014

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

3 Kommentare

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    Nein, ich glaube nicht, dass Julia Engelmann für eine ganze Generation spricht. Denn diese eine Generation gibt es nicht. Ihrer Generation, der Generation des Bildungsbürgertums, steht die Generation der jungen Menschen gegenüber, die keine Chancen bekommen, deren Geschichte schon längst ab-geschrieben ist. Und selbst wenn wir bei Engelmanns Generation bleiben, halte ich diese für sehr beweglich, kreativ, verantwortungsbewusst. Ihr Text mag uns alle angesprochen haben, nicht nur die Jungen, denn sie wissen (noch) nicht wie es sich anfühlt, wenn diese Prognose eintrifft, im Gegensatz zu uns Alten, aber sie spricht definitiv nicht für alle. Das zeigt doch schon Dein Text hier und die große Gemeinde junger BloggerInnen, die sich so vielfältig, auch kritisch, einbringen.

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      Jawohl!
      Bin altersmäßig Teil dieser Generation, und leider auch ein winzig bisschen faul und orientierungslos. Das Büchlein kauf ich mir aber nicht. Kann kostenlos spannendere Sachen in den Kritzelbüchern von Freundinnen lesen. Muss auch nicht lesen, was einem in Popsongs um die Ohren gehauen wird.
      Besten Gruß
      Ole F.

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        Meine beiden Söhne sind jetzt 31 und 35 Jahre jung. Der Ältere wusste in Deinem Alter ganz genau, wie sein Lebensplan aussehen wird und hat sich strikt daran gehalten. Es war so eine Art Zweijahresplan. Abi, Studium plus Ausbildung, Karriere, Verlieben, Verloben, Heiraten, Kind (ein wunderbares Mädchen), Haus, noch ein Kind (ein wonneproppiger kleiner Bengel), glücklich (das ist er auch wirklich). Der Jüngere war so voller Ideen und Ideale, hatte überhaupt nichts am Hut mit Karriere. Im Studium (ohne wirkliche Zukunftsperspektive) überraschte ihn die Liebe. Kind eins folgte schnell Kind zwei (die beiden sind sooooo süß, ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es sie nicht geben könnte), alles geriet aus den Fugen. Bachelor geschafft, kurz vor dem Master Studium geschmissen, Neuanfang. Du siehst, Orientierungslosigkeit trifft 50% der jungen Generation 😉

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