Eine Schifffahrt, die ist lustig

von | 28.05.2021 | Buchpranger, Sach- und Fachbücher

Mark Twain ist heute vor allem für „Tom Sawyer und Huckleberry Finn“ bekannt. Doch zu seinen Lebzeiten war sein erfolgreichstes Buch ein ganz anderes: „Die Arglosen im Ausland“ – ein Reisebericht. Zeilenschwimmerin Ronja wollte wissen, was diesen so besonders macht.

Mark Twains „Die Arglosen im Ausland“ enthält gekürzte und bearbeitete Reisebriefe, die der junge Autor ursprünglich für eine Zeitung über seine Schiffsreise ins Heilige Land schrieb. Mit „Unterwegs mit den Arglosen“ liegt nun zum ersten Mal eine Übersetzung der Originaltexte vor.

Der junge Twain auf Reisen

Es ist keine Übertreibung vom Verlag, von „kauzigen, komischen und ziemlich Respektlosen Reportagen“ zu sprechen. Twains satirischer Stil ist bekannt. Wie man an den vorliegenden Reportagen jedoch sieht, war er in seinen jungen Jahren noch etwas ungeschliffen. Während ich bei der einen Formulierung schmunzeln musste, rief die nächste ein tiefes Stirnrunzeln hervor. In manchen Briefen wirkt er trotz aller scharfzüngiger Äußerungen einsichtig, in anderen dagegen etwas überheblich. Manchmal zollt er den fremden Kulturen, denen er auf der Reise trifft, großen Respekt – aber manchmal ist er auch aus heutiger Sicht nicht unbedingt politisch korrekt.

„In den Zeitungsartikeln plaudert noch der ungehobelte Komödiant von der Westküste, dessen Scherze nicht immer stubenrein waren – der junge, ungeduldige, schlecht bezahlte, manchmal respektlose und mitunter betrunkene Samuel Clemens […].“ (S. 509)

Tatsächlich befürchtete ich vor der Lektüre, es könnte bei der stark beworbenen Bissigkeit der Texte noch viel schlimmer sein. Aber ich hätte Twain mehr Vertrauen entgegenbringen sollen. Auch wenn er mir zwischenzeitlich durch die Texte etwas fremd geworden ist, hat mich spätestens das Nachwort von Alexander Pechmann wieder mit Twain versöhnt. Neben einigen Hintergrundinformationen wird darin auch deutlich, dass Twain trotz aller boshaften Bemerkungen über seine Mitreisenden mit vielen von ihnen doch gut klarkam.

(Fast) Niemand ist vor Twain sicher

Satire, Übertreibung und auch reine Flunkerei sind in den Artikeln nicht immer eindeutig auszumachen. Es gibt beispielsweise einen „Mitreisenden“, den Twain einfach erfunden hat, wie aus dem Nachwort hervorgeht. Wie es sich für Reiseberichte gehört, sind jedoch immer zahlreiche Fakten enthalten, die vielleicht nachfolgenden Reisenden helfen könnten – von Sehenswürdigkeiten, über Währungen und Warnungen vor Betrügereien.

Aus Twains Berichten geht auch hervor, dass sich in über 150 Jahren Tourismus nicht viel geändert hat – außer dass es mehr geworden ist. Auch Twain musste schon den Markusplatz in Venedig begehen, die Grabungsstätte in Pompeji durchwandern, die Hagia Sofia im heutigen Istanbul und natürlich das Grab von Jesus Christus in Jerusalem besuchen. Twain beschwert sich oft über die „betrügenden, lügenden“ Führer, die zahllosen Bettler, die ihnen hinterherlaufen, und Quarantäneregeln, die es ihnen (eigentlich) verboten, in Griechenland von Bord zu gehen. Gleichzeitig ist er sich aber auch dem Auftreten seiner Reisegruppe (unangenehm) bewusst:

„Einer unserer Passagiere wollte einem Verkäufer erklären, er werde vielleicht wiederkommen […]: ‚Allong – re tay trankeel – maybe ve com Moonday.‘ Und dieser Verkäufer, ein waschechter Franzose, musste doch tatsächlich nachfragen, was das bedeuten solle. Es kommt mir manchmal so vor, als gebe es einen Unterschied zwischen dem Pariser Französisch und dem Quaker City[1]-Französisch.“ (S. 94)

Über die Ausgabe

Schon im Grundsatz ist diese Ausgabe natürlich hoffnungslos bibliophil. Mit Leineneinband, Lesebändchen und (gut riechendem) Qualitätspapier wäre das Buch schon schön. Doch Ausgaben in der Reihe mare-Klassiker sind zusätzlich noch durch einen sehr stabilen Schuber geschützt – auch deshalb haben mare-Klassiker einen durchaus stolzen Preis (44 Euro für „Unterwegs mit den Arglosen“). Das ist natürlich nichts für jeden Geldbeutel.

Auf Grund der Art der Texte, aber auch des Preises, empfehle ich „Unterwegs mit den Arglosen“ vor allem Twain-Begeisterten, Freund*innen von (humoristischen) Reiseberichten, historisch Interessierten und stark bibliophilen Leser*innen – eine solche Investition sollte sich schließlich lohnen.

Unterwegs mit den Arglosen. Mark Twain. Übersetzung: Alexander Pechmann. Illustration: Truman W. Williams. mareverlag. 2021.

[1] Quaker-City war der Name des Raddampfers, mit dem die Gruppe reiste.

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