Eine Reise ohne Wiederkehr

von | 22.12.2016 | Belletristik, Buchpranger

Das Verschwinden der Mörserschiffe HMS Terror und HMS Erebus 1846 war und bleibt bis heute ein großes historisches Rätsel. Auch in den Medien wurde sich dieses Geheimnisses angenommen. Mit dem Roman „Terror“ aus Dan Simmons‘ Feder liegt eine weitere Umsetzung des Themas vor. Bücherhorterin Claudia begeistert sich für geheimnisvolle und schaurige Abenteuer und hat sich daher eingehend mit dem Roman beschäftigt.

Es ist tiefe Nacht, als Crozier an Deck des Schiffes tritt, um seinen üblichen Kontrollgang durchzuführen. In seinen aus mehreren Schichten bestehenden Kaltwetterplünnen frierend, lässt er seinen Blick zum wiederholten Male über die zu mehreren Fuß dickem Eis erstarrte, endlose Wasseroberfläche kreisen.
Ungeachtet der 45 Grad Minus mit fallender Tendenz geht er seiner Pflicht nach. Diese Nacht scheint niemals enden zu wollen und der arktische Winter kein Ende zu nehmen. Seit dem Einsetzen des Frosts 1846 hat sich das Schiff nicht einen Zentimeter bewegt, denn die Arktis ist unerbittlich in ihren Bemühungen, sie alle umzubringen. Sie einen nach dem anderen auszuhungern, in den Wahnsinn zu treiben oder in Gestalt eines riesigen weißen Ungeheuers zu reißen, das sich von unten in den Schiffsrumpf zu bohren versucht.

Francis Rawdon Moira Crozier ist der Kapitän des Mörserschiffes HMS Terror und hat den Befehl über eine Mannschaft von 62 Mann, die einer 129-köpfigen Expedition zur erstmaligen Durchfahrung der Nordwestpassage in der Antarktis angehört. Zusammen mit ihrem Flaggschiff HMS Erebus und Sir John Franklin als Kapitän und Leiter der Unternehmung sollen die beiden modernsten Schiffe ihrer Zeit im Auftrag der Royal Navy als erste diesen sagenumwobenen Weg nach Asien aufdecken. Die Schiffe verschwinden, und mit ihnen ihre Besatzungen. Keiner der Männer wird je wieder lebend gesehen.

Das Verschwinden der modernsten Schiffe ihrer Zeit

Die Expedition löste in den nachfolgenden Jahren mehrere Suchaktionen aus und gilt bis heute als ein höchst interessantes Forschungsthema. Bis in die 1980er Jahre untersuchte man die entdeckten Überreste der Expedition, um zu rekonstruieren, was damals geschehen sein mochte. Erst 2014 wurde das Wrack der auseinandergebrochenen Erebus gefunden, während das der Terror noch immer verschwunden bleibt. Insofern widmet sich Dan Simmons in „Terror“ erneut historischen Ereignissen und schmückt diese auf gekonnte Art und Weise aus.
Dem Zeitgeist und der Situation entsprechend beschreibt Simmons die Umgebung und die Herkunft der Charaktere. Er beschränkt sich dabei nicht nur auf die beiden Schiffe und unzählige Fachbegriffe aus der Schifffahrt Großbritanniens und Irlands. Auch das Leben und die Mythologie der Inuit spielen gegen Ende des Romans eine große Rolle.

Aus wechselnden Perspektiven von unterschiedlichen Männern beider Mannschaften wird der Überlebenskampf der Gruppe geschildert. Eine besondere Position nehmen vor allem Crozier und der Assistenzarzt Harry D.S. Goodsir von der Erebus ein, aus deren Sicht besonders oft und weit bis zum Ende des Romans noch berichtet wird. Im Falle von Goodsir in persönlich gestalteten Tagebucheinträgen, die von der Schreibweise sogar an die damalige Zeit angepasst wurden, um noch einmal mehr ein Gefühl von Authentizität zu erzeugen. Simmons hält sich dabei an die soweit bekannten historischen Fakten. So entsprechen die Namen der Männer der überlieferten Mannschaftsaufstellung in den Musterungsrollen von 1845. Auch die im Roman beschriebene Reiseroute bis zum endgültigen Stillstand der Schiffe vor King-William Land entspricht der Forschungsmeinung aufgrund der, zugegebenermaßen dürftigen, Quellenlage.

Wirklich gute Unterhaltung für verschneite Winterabende

Der Roman zählt mehr als stattliche 900 Seiten und man mag sich angesichts der Handlungsgrundlage wundern, ob Simmons die Seiten sinnvoll genutzt oder den Roman künstlich in die Länge gezogen hat. Die Geschichte erzählt zunächst mal in täglichen, mal wöchentlichen Abständen von den Geschehnissen auf den Schiffen. Die wichtigsten Charaktere werden eingeführt und mit einer jeweils nachvollziehbaren eigenen Geschichte vorgestellt – jeder hat eine Vergangenheit, die nicht nur den Charakter selbst, sondern auch sein weiteres Handeln überzeugend wirken lässt. Die Beziehungen und die Rangordnung innerhalb der Mannschaften wird verdeutlicht: Die Leser haben relativ schnell ein Bild davon, wie das alltägliche Zusammenleben der Männer abgelaufen sein muss und erhält nebenher noch Auskünfte über den Aufbau der Schiffe und die unterschiedlichen Rangpositionen an Bord.

Nichts davon wirkt hier fehl am Platz oder aufgeblasen. Man liest vielmehr mit wachsendem Interesse weiter und kann sich sehr gut in die Geschichte einfühlen. Durch die unheimliche weiße Bestie, die er immer wieder im Dunkeln um die Schiffe streifen und näherkommen lässt, verschärft Simmons die Situation noch und zieht die Spannungsschraube immer wieder in gebührenden Abständen an. Die Gefahr ist nicht immer sichtbar und liegt auch nicht immer im Fokus der Handlung. Denn die größten Probleme erwachsen im Endeffekt doch aus dem Inneren der Mannschaften und den Gegebenheiten an Bord im Zusammenspiel mit der Grausamkeit der Natur…

Simmons legt mit „Terror“ einen ausgereiften historischen Abenteuerroman vor, der eine Prise Horror und Mythologie beinhaltet. Der historische Hintergrund und die Wahrscheinlichkeit, dass einige Dinge wirklich so wie geschildert abgelaufen sein könnten, verleihen dem Roman noch einmal das gewisse Etwas. Den geneigten Lesern steht ein Abenteuer bevor, das sie selbst im warmen Sessel frösteln und um das Schicksal der Mannschaften bangen lassen wird.

Terror. Dan Simmons. Aus dem Amerikanischen von Friedrich Mader. Heyne. 2008. 

Bücherstadt Magazin

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

2 Kommentare

  1. Avatar

    Eins meiner absoluten Lieblingsbücher! Hat man erst einmal den Einstieg durch die anfangs verwirrenden Zeitsprünge geschafft, lässt es einen nicht mehr los. Die Kombination von historischen Fakten und Horror- bzw. Mystery-Anleihen gelingt Simmons fantastisch. Eindeutige Empfehlung für all diejenigen, die ebensolche Genres mögen.

    Kleiner Tipp: „Drood“ von Dan Simmons – Hat mir sogar noch besser gefallen.

    Danke für die Buchvorstellung.

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  2. Avatar

    Macht Lust aufs Lesen! Ich mag genau so ein Setting und die Mischung aus Geschichte, Horror und Mystery klingt nach einem textuellen Leckerbissen.
    Das Buch werde ich mir vormerken. Guter Artikel!
    Danke!

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