Eine inszenierte Welt: „Das Theater von nebenan“

von | 11.06.2019 | Bilderbücher, Buchpranger

In Sonja Danowskis neuem Werk „Das Theater von nebenan“ dreht sich alles um Theater, Spiel und Freundschaft. Ein Buch voller Bühnenbilder und puppenhafter Protagonisten in einer Welt, die es nicht gibt. Zeichensetzerin Alexa ist nicht überzeugt.

Die Geschwister Pia und Pablo lieben das Puppentheater über alles. Ihre Handpuppen sind kleine Kunstwerke, liebevoll bemalt und gekleidet. Jede Puppe hat einen Namen und bringt bestimmte Eigenschaften mit. Die wichtigsten Handpuppen in diesem Buch sind die Gärtnerin Linda, der Zwerg Zucchino und der Koch Estragon.

Als die Geschwister den neuen Nachbarsjungen Ricky kennenlernen, wendet Pablo seinem großen Hobby den Rücken zu. Denn Ricky mag keine Puppen und spielt lieber mit Autos. Dass Pablo keine Zeit mehr für das Puppentheater und für seine Schwester hat, stimmt Pia traurig. Aber es ändert sich alles, als Ricky krank wird.

Ein (Rollen-)Spiel

„Das Theater von nebenan“ verknüpft verschiedene Kinder-Themen: Das (Rollen-)Spiel wird zu einem zentralen Ereignis, durch das Freundschaften entstehen können. Dabei wird das Vorurteil aufgegriffen, dass Puppen nur etwas für Mädchen seien und Autos für Jungs. Im Schlüsselmoment ändert sich diese Sichtweise und Ricky beginnt, das Puppentheater wertzuschätzen.

Wertschätzung ist etwas, das nebenbei – insbesondere durch die Bilder – zum Thema gemacht wird. Während die Geschwister liebevoll mit ihren Handpuppen umgehen und sie pflegen, tritt Ricky beim Rückwärtsgehen auf eine Puppe und denkt sich nichts weiter dabei.

Auf Distanz

Trotz der thematisierten Konflikte, die mit Emotionen der Protagonisten verbunden sind, berührt die Geschichte nicht. Dies ist einerseits der einfachen, sehr nüchtern-sachlichen Sprache geschuldet und andererseits der Darstellung der Charaktere, deren Gefühle nicht sonderlich zum Ausdruck kommen. Bild und Text halten dadurch eine Distanz zu den Rezipienten aufrecht, die unüberwindbar ist.

Im Prinzip hätte der Text, der kaum weitere Informationen gibt, auch weggelassen werden können. Die Handlung kann allein anhand der Illustrationen erschlossen werden. Diese füllen fast die kompletten Doppelseiten aus, sind detailreich und mit vielen unterschiedlichen Farbnuancen und Schattierungen gestaltet. Dadurch wirken die Bilder wie aufwendig gemalte Gemälde.

Inszenierte Welt: Bühnenbilder

Die Bilder erscheinen in der Anordnung der Bildelemente aber vor allem inszeniert und erinnern an Bühnenbilder: der Blick auf die Protagonisten, ihre Haltung, die Perspektive, aus der ein Raum dargestellt wird, aber auch die Idylle, in der sich die Geschichte abspielt, und die Darstellung der Natur, der viel Platz eingeräumt wird.

Inmitten dieser Bilder stehen drei Kinder, deren Gesichter sich sehr ähneln, puppenhaft und daher unecht wirken. Dieser Eindruck des Inszenierten spiegelt sich nicht nur im Äußerlichen, sondern auch in den irritierenden Handlungen der Kinder. Würden sich Kinder wirklich so verhalten wie in diesem Buch dargestellt? Zu perfekt erscheinen sie – ihr Auftreten, ihr Aussehen, ihre Handlungen – und die Welt, in der sie leben, um die Realität abzubilden.

Für Kinder eher ungeeignet

„Das Theater von nebenan“ spiegelt im Grunde genau das: Theater. Die Welt ist eine Bühne, die Protagonisten sind leblose Puppen – das hat nichts mit der Realität zu tun. Aber genau diese suchen Kinder in Büchern: Wenn nicht in der dargestellten Welt (denn diese kann schließlich auch fiktiv/magisch sein), so zumindest in den Protagonisten, in denen sie sich wiederfinden können. Durch Handlungen, die ihnen vertraut sind, oder Emotionen und Dialoge. Das Perfekte jedoch irritiert nur und es stellt sich die Frage, welchen Sinn ein Bilderbuch hat, das sich an Kinder richtet, wenn es die Kinder nicht in deren Lebenswelt abholt. Nur Themen aufzugreifen, die Kinder interessieren (könnten), reicht nicht aus, um als „Kinderbuch“ durchzugehen.

Das Theater von nebenan. Sonja Danowski. Bohem. 2019.

 

Bücherstadt Magazin

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

3 Kommentare

  1. Avatar

    Interessant, ich hätte nie gedacht, dass man das Buch auch so schlecht finden kann. Wir planen gerade eine Veranstaltung dazu und so bin ich auf diesen Beitrag gestoßen. Wir hier sind total begeistert vom ‚Theater von nebenan‘, auch bei den Kindern in der Lesegruppe kommt es super an. Uns alle hat die Geschichte mit ihren kunstvollen Illustrationen sehr berührt. Zum Glück sind Geschmäcker verschieden. Ich kann nur allen empfehlen, sich selbst einen Eindruck von diesem besonderen Bilderbuch zu verschaffen.

    Mit besten Grüßen,
    Tina aus der Kinderbibliothek

    Antworten
    • Zeichensetzerin Alexa

      Liebe Tina, vielen Dank für deinen Kommentar! Ich teile absolut deine Meinung: Jede und jeder sollte sich stets einen eigenen Eindruck verschaffen, da – wie du schon geschrieben hast – Geschmäcker unterschiedlich sind und die Wahrnehmung eines Werkes stets subjektiv ist. Ich habe in der Kita die Erfahrung gemacht (ich „teste“ in der Regel jedes Bilderbuch, das ich rezensiere, mit Kindern, denn auf diese können Bücher schließlich eine gänzlich andere Wirkung haben als auf mich), dass die Kinder schnell vom Inhalt gelangweilt waren, da der Spannungsbogen fehlt und sie sich in den Figuren nicht wiedererkennen konnten. Da ist es natürlich sehr interessant zu lesen, dass das Buch bei den Kindern in eurer Lesegruppe anders angekommen ist. Herzliche Grüße!

      Antworten
  2. Avatar

    Liebe Alexa,
    vielen Dank für deine nette Antwort. Es kommt sicher auch auf das Alter der Kinder an. Die Kinder in unserer Lesegruppe sind zwischen 5 und 10, wir laden auch öfters ganze Grundschulklassen zu uns in die Bibliothek ein. Neben der Handlung der Geschichte, die sehr viel Gesprächsstoff zu bieten hat, geht es uns beim gemeinsamen Betrachten der Bilderbücher auch um die Illustrationskunst. Das hat gar nicht so viel mit Geschmack zu tun, ob man nun lieber Comic oder Realismus mag, es geht uns darum, die Kinder an die verschiedensten Stilrichtungen heranzuführen. Kunstvoll erstellte Gemälde wie im Theater von Nebenan sind auf dem Bilderbuchmarkt eine Seltenheit. Die Kinder staunen über die wunderbaren Details und sind fasziniert von der märchenhaften Atmosphäre. Das ist eine surreal schöne Welt, in die man gern abtaucht. Auch in Hinblick auf die Kunst im Bilderbuch hätte ich es Schade gefunden, die Rezension unkommentiert stehen zu lassen, denn ausgefallene Bücher, die nicht dem kommerziellen Schema entsprechen verdienen eine besondere Würdigung.
    Weiter alles Gute und viel Freude am Lesen,
    Tina

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