Ein Wiener Spuk-Spaziergang (Teil 1) #Todesstadt

by Wortklauberin Erika

Manch­mal, wenn Wort­klau­be­rin Erika und Stadt­be­su­che­rin Annu, die von Beruf Frem­den­füh­re­rin ist, durch den Wie­ner Ers­ten Bezirk spa­zie­ren, lau­fen ihnen die absur­des­ten Gestal­ten über den Weg. Folgt ihnen für einen Spuk-Spa­zier­gang mit lite­ra­ri­schen Andeu­tun­gen durch das Wie­ner Stadtzentrum.

Stau­bige Geis­ter im „ers­ten Haus“

Wir begin­nen den Spa­zier­gang bei der Staats­oper, dem „ers­ten Haus“ der Ring­straße. Mitte des 19. Jahr­hun­derts wurde die Wie­ner Ring­straße als Pracht­straße, wie sie bis heute besteht, ange­legt; vor­her stan­den an ihrer Stelle die Stadt­mauer und Befes­ti­gungs­an­la­gen der Wie­ner Innen­stadt. Die Oper wurde 1869 fer­tig­ge­stellt. Es gibt einige Gerüchte rund um die Reak­tio­nen der Wie­ne­rin­nen und Wie­ner auf das Gebäude: Weil die Oper eben­erdig zugäng­lich ist und nicht auf einem Sockel steht, wie kurz dar­auf in der Archi­tek­tur in Mode kam, wurde sie als „ver­sun­kene Kiste“ bezeich­net. Die bei­den Archi­tek­ten, Sicards­burg und van der Nüll, wur­den Opfer von Spott­ver­sen wie die­sem:

„Der Sicards­burg und van der Nüll,
Die haben beide kei­nen Styl!
Grie­chisch, gotisch, Renaissance,
Das ist denen alles ans!“

Selbst Kai­ser Franz Joseph I., der den Platz für das Bau­werk aus­ge­sucht und die Oper in Auf­trag gege­ben hat, soll den Bau kri­ti­siert haben. Dies hatte unvor­her­ge­se­hene Kon­se­quen­zen. Man mun­kelt, van der Nüll habe sich wegen der Kri­tik des Kai­sers im April 1868 erhängt, sein Kol­lege und Freund Sicards­burg starb nur zwei Monate spä­ter. Nach die­sem Vor­fall soll Kai­ser Franz Joseph sich gehü­tet haben, seine Mei­nung öffent­lich kund zu tun: statt­des­sen habe er zum berühm­ten „Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut“ gegrif­fen, wann auch immer man ihn nach sei­ner Ein­schät­zung zu etwas fragte.

Die Geis­ter von van der Nüll und Sicards­burg sol­len bis heute als „stau­bige Gestal­ten“ in der Oper umher­ir­ren und Zuschauer wäh­rend Vor­stel­lun­gen erschre­cken: „Die selt­sa­men Wesen […] saßen in einer der nicht voll besetz­ten Rei­hen und lausch­ten nach vorne gebeugt gespannt und mit fas­zi­nier­tem Gesichts­aus­druck der Musik. Sie flim­mer­ten irgend­wie, als wären sie einem uralten Schwarz-Weiß-Film ent­stie­gen, und waren über und über mit Staub bedeckt“ (Has­mann 2017: 59).

Die Freund­schaft zwi­schen van der Nüll und Sicards­burg geis­tert übri­gens bis heute sehr unver­staubt durch die Lite­ra­tur, manch­mal auch als mehr als Freund­schaft. Vivien Shot­well haben die bei­den Archi­tek­ten zu einer Lie­bes­ge­schichte inspi­riert, und auch Jaros­lav Rudiš hat in sei­nem Roman „Win­ter­bergs letzte Reise“ auf eine Bezie­hung zwi­schen ihnen angespielt.

Eine blut­rüns­tige Gräfin

Der Spa­zier­gang führt links an der Oper vor­bei in die Opern­gasse. Wir las­sen den Ring hin­ter uns, kom­men vor­bei am Mahn­mal gegen Krieg und Faschis­mus und gehen auch am Thea­ter­mu­seum vor­bei und wei­ter ent­lang der Augus­ti­ner­gasse. Num­mer 12 ist unschein­bar, doch das Zuhause einer rea­len Vam­pir­ge­schichte. Erz­sé­bet Báthory, eine Grä­fin aus Trans­syl­va­nien, lebte Mitte des 16. Jahr­hun­derts zeit­weise in die­sem Haus, das als „Unga­ri­sches Haus“ bekannt ist. Dort sowie in ande­ren Besit­zun­gen ihres Man­nes soll sie junge Dienst­mäd­chen in ihren Haus­halt auf­ge­nom­men haben, um sie bru­tal zu Tode zu quä­len. Sie soll rund 600 Mäd­chen und junge Frauen ermor­det haben. Die „Blut­grä­fin“, wie sie genannt wird, soll ihre Taten, als man sie 1611 in der heu­ti­gen Slo­wa­kei vor Gericht stellte, ohne Beden­ken zuge­ge­ben haben – und wurde dafür im Turm­zim­mer der Burg Čach­tice ein­ge­mau­ert. Die Geschichte der sadis­tisch ver­an­lag­ten Grä­fin ist so sagen­um­wo­ben wie schwam­mig: Viel­leicht hat die Osna­brü­cker Dark-Metal-Band Nacht­blut sie des­halb im Lied „Die Blut­grä­fin“ auf­ge­nom­men.

Eben­falls mit dem Mythos der Vam­pire ver­bun­den ist Gerard van Swie­ten. Der Arzt und Wis­sen­schaft­ler des 18. Jahr­hun­derts war Leib­arzt und Bera­ter Maria The­re­sias, die ihn nach Mäh­ren schickte, um dort Vam­pir-Gerüchte zu über­prü­fen. In Mäh­ren unter­suchte er die Lei­chen mit wis­sen­schaft­li­chen Metho­den, konnte jedoch keine Beweise für die Exis­tenz der Unto­ten fin­den. Ein Jahr­hun­dert spä­ter ver­wen­dete Bram Sto­cker den Nie­der­län­der als Vor­bild für sei­nen Roman­hel­den Abra­ham van Hel­sing im Roman „Dra­cula“. Van Swie­ten ist in der Augus­ti­ner­kir­che begraben.

Gruf­ten voll Her­zen und trau­ri­gen Witwen

Nicht viel wei­ter liegt der Ein­gang zur Augus­ti­ner­kir­che: Wir tre­ten in die Kir­che hin­ein, bewun­dern das Chris­ti­nen­denk­mal und ver­wei­len. Wenn man dort vor dem Grab­mal oder vor dem Altar genau hin­hört, hallt ein Schluch­zen ans Ohr. Die Wie­ne­rin­nen und Wie­ner mun­keln, es seien zwei unglück­li­che Frauen aus dem Hause Habs­burg. Marie-Antoi­nette, die Frau von Louis dem XVI., und Marie-Louise, die Frau Napo­leon Bona­par­tes, sol­len beide in der Augus­ti­ner­kir­che getraut wor­den sein. Ihre Ehen waren nicht glück­lich, und die jun­gen Frauen betrau­ern dies anschei­nend bis heute.

Doch nicht nur schluch­zende Geis­ter oder Vam­pir­jä­ger sind in der Augus­ti­ner­kir­che anzu­tref­fen, auch ein Kurio­sum der Fami­lie Habs­burg: In der Kir­che lie­gen unter der Lore­to­ka­pelle in der Herz­gruft die ein­bal­sa­mier­ten Her­zen von 54 Mit­glie­dern der Fami­lie in metal­le­nen Urnen. Ihre ein­bal­sa­mier­ten Kör­per lie­gen nicht weit von der Augus­ti­ner­kir­che ent­fernt in der Kapu­zi­ner­gruft, die namens­ge­bend für einen von Joseph Roths berühm­tes­ten Roma­nen ist.

In der Hof­burg spukt es habsburgerisch!

Die Augus­ti­ner­kir­che selbst ist Teil des Gebäu­de­kom­ple­xes der Hof­burg, in dem die Öster­rei­chi­sche Natio­nal­bi­blio­thek, die Schatz­kam­mer der Habs­bur­ger sowie wei­tere Museen unter­ge­bracht sind. Der Gebäu­de­kom­plex war bis zur Auf­lö­sung der Mon­ar­chie nach Ende des Ers­ten Welt­krie­ges im Jahr 1918 die Kai­ser­re­si­denz der Habs­bur­ger. Der Gebäu­de­kom­plex ist über fünf Jahr­hun­derte in die­ser Funk­tion gewach­sen und birgt einige Spuk­ge­schich­ten in sich. So soll Kai­ser Rudolf II. die Schatz­kam­mer manch­mal in blaues Licht hül­len, Karl VI. häu­fi­ger über der Kup­pel des Prunk­saals der Natio­nal­bi­blio­thek schwe­ben und Rudolf, der Sohn der berühm­ten Kai­se­rin Sisi, nach sei­nem Selbst­mord noch durch seine ehe­ma­lige Woh­nung spuken.

Selbst Stadt­be­su­che­rin Annu hatte schon ein­mal in der Hof­burg die Begeg­nung mit dem Über­sinn­li­chen, als sie im Schmink­zim­mer von Kai­se­rin Sisi war. Oder war das dann doch nur ein Schat­ten eines Besu­chers des Sisi Muse­ums? Laut Anton Lang­ers Volks­ro­man, der 1870 erschien, begeg­net man in der Hof­burg gele­gent­lich einer wei­ßen Frau. Vor allem den Kai­sern soll sie gerne erschien sein: Trug sie dabei weiße Hand­schuhe, ver­kün­dete sie eine Geburt, hatte sie aber schwarze Hand­schuhe an, was es das Zei­chen für einen bevor­ste­hen­den Todes­fall in der Familie.

Hit­ler und der Heldenplatz

Geht man durch die Hof­burg zum Ring, gelangt man auf den Hel­den­platz, den Vor­platz der Hof­burg. Hier hat sich 1938 ein sehr rea­ler Spuk abge­spielt: Adolf Hit­ler ver­kün­dete am 15. März 1938 den Anschluss Öster­reichs an das natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Deutsch­land. Nehmt euch die Zeit, euch neben das Rei­ter­stand­bild inmit­ten des Plat­zes zu stel­len, in Rich­tung der Natio­nal­bi­blio­thek zu bli­cken und euch Ernst Jandls „wien: hel­den­platz“ anzu­hö­ren: Das Gedicht fängt die Atmo­sphäre von damals auf schau­rige Weise ein.

1988 ver­ur­sachte der öster­rei­chi­sche Schrift­stel­ler Tho­mas Bern­hard mit dem Stück „Hel­den­platz“ übri­gens einen Skan­dal: Die kri­ti­sche Hal­tung, die er mit dem Stück gegen­über dem öster­rei­chi­schen Umgang mit sei­ner NS-Ver­gan­gen­heit ein­nahm, brachte ihm die Beschimp­fung „Nest­be­schmut­zer“ ein. Den­noch war die­ser Text ein wich­ti­ger Bei­trag zur Neu­re­fle­xion der öster­rei­chi­schen Rolle im Natio­nal­so­zia­lis­mus nach dem Anschluss 1938. Öster­reich hat sich näm­lich bis etwa Mitte der Acht­zi­ger als ‚Opfer‘ des Natio­nal­so­zia­lis­mus charakterisiert.

Wie es wei­ter­geht, erfahrt ihr am 28.10.19 im zwei­ten Teil des Bei­trags „Ein Wie­ner Spuk-Spa­zier­gang“. In die­sem fin­det ihr auch eine Lite­ra­tur­liste, die sich auf beide Teile bezieht. // Ein Bei­trag zum Spe­cial #Todes­stadt. Hier könnt ihr alle Bei­träge lesen. // Mehr über Annu und ihre Füh­run­gen könnt ihr hier erfah­ren: www​.tours​-with​-annu​.at

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