Ein Vampir mit Anstand

von | 26.10.2021 | #Todesstadt, Kreativlabor, Specials

Die Todesstadt wäre ohne Vampire einfach nicht vollständig. Deshalb haben sich Büchertänzerin Michelle, Geschichtenbewahrerin Michaela, Geschichtenerzähler Adrian, Satzhüterin Pia  und Zeilenschwimmerin Ronja zusammengesetzt, um eine Geschichte zu erzählen, die diesen schaurig-wunderbaren Kreaturen würdig ist. Ob die Geschichte einen würdigen Abschluss findet oder hier vielleicht die Hilfe von euch geneigten Leser:innen gebraucht wird? Lest selbst!

Er schlug sich die Hände vor die Augen. „Arrggghh!“ Das grelle Funkeln und Glitzern vor ihm fraß sich regelrecht in seine Netzhaut. Nataniel sank auf die Knie, panisch flehend, er wolle nicht erblinden. Mit der Zeit ließ das Funkeln und Glitzern nach. Auch wenn er sich vor den Folgen fürchtete, wollte Nataniel Gewissheit. Langsam öffnete er die Augen und was anfangs verschwommen war, ließ ihn mit jedem Augenblick des Aufklarens mehr und mehr den Atem stocken. Er sollte abstoßend sein und von Kopf bis Fuß ganz schwarz gekleidet, stattdessen trug er Weiß. Seine Haut schillerte in bunten Farben und erinnerte Nataniel an diesen Regenbogenfisch aus dem Lieblingsbuch seiner kleinen Schwester.

„Guten Tag“, sagte der Vampir und ließ den leblosen Körper auf den Boden fallen, den er bis eben fast wie in einer liebevollen Umarmung gehalten hatte. „Kann ich Ihnen helfen?“

„Nun ähm … ja, wie soll ich sagen …“, stammelte Nataniel und rang um Fassung. Vor dem schillernden Blutsauger wollte er tunlichst seine Furcht verbergen. „Ähem …“, räusperte er sich. „Favorisieren Sie eigentlich eine bestimmte Blutgruppe?“, kam es mit einem leichten Lächeln aus ihm heraus. Er verfluchte sich innerlich. Zwei Jahre hatte es gedauert, bis er die Spur eines Vampirs entdeckt hatte. Und noch einmal sieben Monate bis er ihn gefunden hatte. Doch nun, wo er endlich vor ihm stand, schlotterten ihm die Knie und der schöne Text, den er sich überlegt hatte, war einfach verpufft. Er hatte cool und abgeklärt wirken wollen. Stattdessen stammelte er sich eine Frage über Blutgruppen zusammen. Peinlich.

Noch immer kniff Nataniel geblendet die Augen zusammen, aber es wurde langsam besser. Nun erkannte er auch das süffisante Grinsen im Gesicht des Vampirs. „Es ist wohl wie bei einem guten Wein – die Traube ist entscheidend. Oder auch: Das Auge isst mit.“ Zufrieden blickte er auf den leblosen Körper vor sich hinab. Nataniel folgte seinem Blick. Vor ihren Füßen lag eine junge Frau, vielleicht nur wenige Jahre jünger als Nataniel. Ihre wallenden goldblonden Locken erstreckten sich strahlenförmig, einer Sonne gleich, neben ihrem Kopf auf dem Boden. Wie sie so dalag, erinnerte sie ihn an Marilyn Monroe. Nur mit Blutspritzern in vereinzelten Strähnen ihres Haars und zwei runden Bissspuren am Hals.

„Faszinierend, nicht wahr?“, hauchte der Vampir plötzlich sehr dicht neben Nataniels linkem Ohr. Er zuckte zusammen und wich zurück. „Verzeihen Sie.“ Der Vampir trat ebenfalls einen Schritt zurück und leckte sich geistesabwesend einen Blutstropfen von der Hand. „Eine unhöfliche Angewohnheit von mir. Ein derartiges ungebetenes Eindringen in ihre persönliche Sphäre ist vollkommen unangebracht. Schließlich hatte ich nicht vor, Sie zu beißen.“

Das Blut in Nataniels Adern pulsierte mit jedem Wort des Vampirs zunehmend, aber er musste die Contenance wahren, um aus dieser Begegnung noch wichtige Informationen für seine Vampirforschung zu erlangen. Er schaute ihm direkt in die kalten Augen und lächelte. „Durchaus. Wirklich faszinierend! Besonders die präzise Platzierung des Bisses an der Halsschlagader!“, erwiderte er in einem fachlichen Tonfall und rückte dabei seine schwarze Brille zurecht.

„Halten sie mich für einen Barbaren?“ Der Vampir klang verärgert und das Letzte, was Nathaniel wollte, war einen Vampir zu verärgern.

„Entschuldigung, ich wollte Sie keinesfalls kränken.“

„Natürlich gibt es Vampire, die weder Anstand noch Manieren besitzen. Die reißen die Arteria carotis auf. Dann sähe es hier aus wie in einem Schlachthaus. Mit solchen Vampiren haben wir nichts zu tun“, erklärte der Vampir arrogant.

„Natürlich nicht. Ihr schillert ja auch bunt“, dachte Nathaniel.

Langsam verengte der Vampir die Augen noch weiter, fixierte sein menschliches Gegenüber, ohne zu blinzeln. „Ja“, sagte er gedehnt und offenbarte damit, dass ihm Nataniels Gedanken nicht verborgen blieben. „Wir haben eine besondere Haut. Aber“, und damit nähert er sich bedrohlich, „wir haben diese nicht umsonst.“ Er blieb dicht vor Nataniel stehen, der inzwischen deutlich entmutigt wirkte. „Möchten Sie einmal erleben, was es mit unserer schillernden Haut auf sich hat?“, fragte der Vampir süffisant grinsend und mit eisernem Atem.

„Ähm …“ Nathaniel brach der kalte Schweiß aus. „Ähm … ja?“ Er wich – möglichst unauffällig, wie er hoffte – einen Schritt vor dem Vampir zurück.

„Nun, wenn das so ist …“ Das Grinsen des Vampirs verblasste und ein Ausdruck tiefer Konzentration trat an seine Stelle. Plötzlich riss er sich das Hemd vom Körper und der dunkle Raum erstrahlte wie im funkelnden Licht dutzender Discokugeln. Kleine Regenbögen tanzten mit jeder Bewegung des Vampirs über die Wände. „Glitzer für alle!“, schrie dieser, packte Nathaniel und wirbelte ihn in einem flotten Walzer durch den Raum. Während sich alles um Nathaniel drehte, sodass ihm schwindelig wurde, fragte er sich, wo diese Musik plötzlich herkam …

[tds_info]Ja, wo kommt diese Musik nur her? Warum hat sich Nataniel auf die Suche nach einem Vampir gemacht? Ist „Glitzer für alle“ wirklich Sinn und Zweck des vampirischen Glitzerns? Wir haben keine Ahnung! Aber vielleicht wisst ihr ja mehr? Ihr seid herzlich eingeladen, diese Weiterschreibgeschichte aus unserer Redaktion fortzuführen und uns das Ergebnis an kreativlabor[at]buecherstadtkurier.com zu schicken. Wir freuen uns schon darauf, eure Einsendungen zu lesen und einen Teil zwei von „Ein Vampir mit Anstand“ zu veröffentlichen.[/tds_info]

[tds_note]Ein Beitrag zum Special #Todesstadt. Hier findet ihr alle Beiträge.[/tds_note]

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

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