Ein Platz für Altes

von | 29.08.2021 | Buchpranger, Lieblingsbuchhandlung

Auch wenn es der Name nicht vermuten lässt: Mitten in Leipzig gibt es einen schmalen Laden, der Bücher beherbergt, die sonst schnell fehlen. Eine Empfehlung von Bücherstädter Thilo.

Es ist schwer, in diesen Zeiten über die Lieblingsbuchhandlung zu sprechen, aber es ist umso nötiger.

Meine Freunde und Verwandten konnten mein Aufatmen in diesem März nicht nachvollziehen, als ich sagte, dass ich nun endlich wieder Bücher kaufen könne. Denn in Sachsen waren die Buchhandlungen, anders als in Sachsen-Anhalt, nicht als notwendig eingestuft worden und daher geschlossen. Und weil die Landesregierung angesichts der Fallzahlen besonders hart durchgreifen wollte, war auch einfaches Abholen nicht möglich. Das bedeutete für einen Buchliebhaber, dass ich genau überlegen musste, ob ich mir das Buch doch bestelle oder ob ich mich gedulde. Da meine Schränke auch noch einige Bücher enthalten, die ich noch nicht gelesen habe, herrschte keine Not.

Als es dann endlich wieder möglich war, musste ich eine Entscheidung treffen, wo ich denn nun meine lange Liste an Titeln, die mir aufgefallen waren, besorgen wollte. Denn ich bin kein Feinschmecker (obwohl ich natürlich auch Geschmack habe – hoffe ich zumindest), sondern ein Vielfraß. Wenn ich Zeit habe, dann gehe ich in jeden Buchladen, den ich erreichen kann und ich mag sie nicht klein, sondern groß und voll. Selbstverständlich will ich auch Neues entdecken, aber ich will auch Bücher wiederfinden, von denen ich schon Gutes gehört habe oder die ich vielleicht sogar schon gelesen habe, um mir dann zu denken: „Die scheinen hier guten Geschmack zu haben, denn diesen Titel habe ich auch.“ (Ich habe ja schon angedeutet, dass ich von meinem Geschmack überzeugt bin.)

An anderer Stelle habe ich bereits erzählt, dass ich mir gerne vorher schon überlege, was ich als mein Lieblings-Wasauchimmer angebe, meine Empfehlung. Deswegen hatte ich mir auch in Leipzig eine Lieblingsbuchhandlung gesucht – immerhin gibt es in der Buchstadt auch einiges an Auswahl. Doch irgendwann musste ich diese Entscheidung wieder revidieren und davon möchte ich euch erzählen.

Damals fiel meine Wahl auf die Filiale einer kleinen Kette, die direkt neben dem Campus der Uni lag. Da ich hier oft im Hörsaalgebäude zu tun hatte, bin ich fast täglich an dem Laden vorbeigekommen und wenn ich Zeit hatte, bin ich auch hineingegangen. Durch die Lage lag der Fokus auf einem jungen, gebildeten Publikum, zu dem ich mich auch zählen würde: anspruchsvolle und engagierte Sachbücher, ein gutes Angebot an Comics und Mangas und eine große Wand mit Belletristik, die auch Platz für kleinere und unbekanntere Sachen ließ. Außerdem gab es ein Regal für Lyrik, das ich sehr mochte. Es gab auch Notizbücher, Postkarten und Hörbücher, aber das gedruckte Buch stand eindeutig im Zentrum.

Die Händlerin, die für die Belletristik verantwortlich war, und ich waren oft ziemlich auf einer Wellenlänge: Auf dem zentralen Tisch lagen fast immer Titel, die ich mir zu lesen vorgenommen hatte oder die mich interessierten. An der Wand gab es ein Segment überschrieben mit „Perlen“, wo immer zahlreiche Bücher aus unabhängigen Verlagen standen, die mich immer wieder überraschten. Irgendwann begann die Händlerin mich freudig zu begrüßen, wenn ich eintrat, denn vermutlich waren ihr meine häufigen Besuche aufgefallen – und ich bin ein einfacher Mensch und mag es, wenn man mich willkommen heißt. Später habe ich für den Podcast „Seite 37“ (möge er in Frieden ruhen, bis er wieder auferstehen darf) einen Beitrag über Buchtitel gemacht, wo ich auch mit ihr gesprochen habe. Seitdem haben wir immer eines dieser „Schwätzchen“ gehalten, haben „gequatscht“ – über alles Mögliche, aber natürlich auch über Bücher. Sie war meine Buchhändlerin – das habe ich sehr genossen.

Dann hat sie eine Auszeit genommen, was ganz wunderbar für sie war. Aber es war danach etwas weniger mein Laden. Nicht nur wegen der „Schwätzchen“. Unter den „Perlen“ entstand eine Front aus Beige und Pastell – zigmal dasselbe Buch (ich glaube, es ist wirklich gut, jedoch einfach nicht mein Geschmack). Ich bin dennoch weiterhin gerne hingegangen, bis es wirklich schlimm wurde: Eine noch größere Kette kaufte die Läden auf, genauer gesagt die größte Kette, deren Namen ich an dieser Stelle nicht nenne. Das hat natürlich alles durcheinandergewirbelt. Am Anfang waren zwar immer noch die gleichen Bücher da, aber die unerwarteten Sachen standen nun im Regal, wie Überreste aus einer anderen Zeit und auch die Mitarbeiter:innen wirkten auf einmal so gedrückt, gehetzt – denn jetzt war es wirklich ein Geschäft. Ich war nun schon sehr lange nicht mehr da.

Glücklicherweise habe ich schon vorher einen anderen Laden gekürt: die Connewitzer Verlagsbuchhandlung.

Entgegen ihrem Namen liegt dieser Laden nicht in dem bunten Viertel im Süden der Stadt, sondern mitten im Zentrum in einer Nebenstraße bei der berühmten Nikolaikirche. Ein von Büchern gesäumter Schlauch öffnet sich in die Fassade. Wenn ich hineingehe (ich fürchte, offiziell ist es der Hintereingang), liegen dort einige schöne Bilderbücher und besondere Graphic Novels. Rechts findet sich in einem Regal vermutlich das gesamte Programm des (sehr guten) Secessionsverlages. In der Mitte steht ein langer Tisch, auf dessen linker Hälfte Sachbücher und auf der rechten Romane dicht an dicht ausgelegt sind. Am anderen Ende werden die jüngsten Empfehlungen präsentiert. An der rechten Regalwand stehen die gebundenen Bücher, auf der linken die Taschenbücher. Es gibt wieder einen ganzen Schrank nur mit Lyrik und einen Tisch mit feministischen Themen.

Das Besondere an diesem Laden ist, dass er auch die Backlist pflegt. Hier steht nicht nur das neueste Buch dieses geschätzten Autors oder dieser geschätzten Autorin, sondern noch zahlreiche Bücher, die bereits vorher erschienen sind. Für mich ist das ein Zeichen gegen die Schnelllebigkeit, gegen Halbwertszeit. Gute Literatur ist keine Mode: Diese Saison ist violett und die nächste gelb. Gute Romane behalten ihren Wert auch nach fünf, zehn oder 20 Jahren. Ja, es gibt auch den Zeitgeist und Literatur, die dem entspricht – das ist gut so. Aber es gibt eben noch viel mehr Bücher, die darüber hinaus gehen. Wie bereits gesagt, mag ich es auch sehr, Bücher in Läden wieder zu entdecken. In diesem Laden freue ich mich, dass dieses eine Buch immer noch dasteht, das vielleicht schon vor langer Zeit mal mein Interesse geweckt hatte oder noch ungelesen in meinem Schrank steht. Das zeigt mir: Es ist noch nicht zu spät, es zu lesen.

In diesen Zeiten komme ich leider nicht so gut zum Stöbern, weil ich ein schlechtes Gewissen bekomme, wenn ich zu lange in dem kleinen Raum stehe. Stattdessen schicke ich ständig Mails mit Buchbestellungen. Ich mag es, wie unkompliziert und ohne große Bedingungen es abläuft. Es gibt keine Kundenkonten, keine webbasierten Bestellmasken, keine offizielle URL, sondern ein Standard-Mail-Hoster. Ich merke einfach, in diesem Geschäft geht es um Bücher und nicht ums Geschäft.

Fotos: Bücherstädter Thilo

[tds_note]Ein Beitrag zur Themenreihe Lieblingsbuchhandlung. Ihr habt auch eine Lieblingsbuchhandlung und möchtet sie beim Bücherstadt Kurier vorstellen? Dann schreibt uns eine eMail an info[at]buecherstadtkurier.com – wir freuen uns über eure Beiträge![/tds_note]

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