Große Bilder – ein Plädoyer für den deutschen Stummfilm

von | 12.05.2020 | #1920erlesen, Filme, Filmtheater

Wann genau die Geburtsstunde des Mediums Film zu verzeichnen ist, darüber lässt sich streiten. Klar ist jedoch: Nach der Entwicklung der Bewegtaufzeichnung (Kinematographie) hat sich viel getan. Die Anfänge waren nicht nur schwarz-weiß, sondern vor allem eins: stumm. Taucht mit Erzähldetektivin Annette in die faszinierende Welt des deutschen Stummfilms ein.

Der Expressionismus im Film

Anfang des 20. Jahrhunderts boomt die Filmwirtschaft. Besonders in Europa liegt das Hauptaugenmerk auf einer besonders kunstvollen und ausdrucksstarken Ästhetik. Als erster expressionistischer Film gilt „Das Cabinet des Dr. Caligari“ von Robert Wiene. Die verworrene Handlung zeigt den Insassen einer Irrenanstalt, der vom traurigen Schicksal des unter einer Schlafkrankheit leidenden Cesare berichtet. Dabei bleibt stets offen, in welcher Beziehung er zu diesem steht und ob er nicht vielleicht die Geschichte seiner eigenen Krankheit erzählt. Die Doppeldeutigkeit der Geschehnisse manifestiert sich in den verzerrten, bedrohlichen Kulissen. Sie verstärken die beängstigende, alptraumhafte Atmosphäre des Werkes.

Ursprünglich war Fritz Lang als Regisseur vorgesehen, der jedoch aufgrund anderer Verpflichtungen verzichten musste. Nur wenig später bescherte ihm der Zweiteiler „Dr. Mabuse, der Spieler“ den internationalen Durchbruch. In die Filmgeschichte ging er jedoch mit seiner monumentalen Dystopie „Metropolis“ ein. Zu Recht gilt das fast 2 ½-Stunden dauernde Epos als Science-Fiction-Klassiker. Heute sind die gigantischen Bauten der Stadt, das Elend der unter Tage hausenden Arbeiter sowie die Idee der menschenechten Maschine Maria wichtige Referenzpunkte. Bei seinen Zeitgenossen kam die Verbindung aus elementarer Gesellschaftskritik und technischen Spielereien hingegen nicht gut an.

Ein Horrorklassiker

Auch um Friedrich Wilhelm Murnau kommt man in der Geschichte des frühen Films nicht herum. Sein Name ist besonders mit dem Horrorklassiker „Nosferatu, eine Symphonie des Grauens“ verbunden. In ebenso langsamen wie tiefschürfenden Bildern werden die gequälten Seelenzustände der dämonischen Hauptfigur Graf Orlock wunderbar in Szene gesetzt. Murnaus Werk ist eines der ersten Vertreter des Horrorfilms und in seiner visuellen Gestaltung wichtiger Vorreiter des Genres.

Eine nach dem Regisseur benannte Stiftung ist verantwortlich für Restauration und Erhalt vieler Meilensteine der Filmgeschichte – nicht zuletzt der bereits genannten Werke. Auch die Rekonstruktion des von E.A. Dupont inszenierten Dramas „Varieté“ ist ihr zu verdanken. Hier liegt das Augenmerk auf einer realistischen Darstellung der gezeigten Gesellschaftsschichten und Milieus, gepaart mit einer virtuos umgesetzten Innensicht der Hauptperson Boß Huller. Besonders beeindruckend ist der Einsatz der „entfesselten Kamera“. Lange Zeit konnten nur mit einem festen Stativ oder bestenfalls von einem sich bewegenden Fahrzeug aus gefilmt werden. In „Varieté“ ist das Gerät hingegen an einer Trapez-Schaukel befestigt und suggeriert die Sicht eines sich im Flug befindlichen Akrobaten.

Es gibt vieles zu entdecken

Selbstredend sind die genannten Titel nur einige Beispiele einer riesigen Fülle sehenswerter Werke. Und natürlich nimmt die Bedeutung des Films nicht ab, als dieser schließlich über Ton verfügt. Ein Blick auf die Anfangszeit lohnt sich für jeden cineastisch Interessierten. Die Erzählweise in Stummfilmen ist eine völlig andere, die Schauspieler müssen ungleich intensiver reagieren. Ihre Mimik und Gestik müssen gemeinsam mit Kulissen und passenden Bildeinstellungen all das transportieren, was mittlerweile über Sprache wiedergegeben wird. Mit welchen Mitteln dies gelingt, lässt Zuschauer auch heute noch staunend zurück. Stummfilme lassen die Liebe zum Medium Film wieder aufleben. Und wer möchte sich nicht gerne dem Zauber der bewegten Bilder hingeben?

  • Das Cabinet des Dr. Caligari. Regie: Robert Wiene. Drehbuch: Carl Mayer u.a. Mit W. Krauss, C. Veidt. Universum Film. Deutschland. 1920.
  • Dr. Mabuse, der Spieler. Regie: Fritz Lang. Drehbuch: Fritz Lang. Mit R. Klein-Rogge, A. Egede-Nissen u.a. Universum Film. Deutschland. 1922.
  • Metropolis. Regie: Fritz Lang. Drehbuch: Thea von Harbou. Mit G. Fröhlich, B. Helm u.a. Universum Film. Deutschland. 1927.
  • Nosferatu, eine Symphonie des Grauens. Regie: F.W. Murnau. Drehbuch: Henrik Galeen. Mit M. Schreck, G. Schröder. Universum Film. Deutschland. 1922.
  • Varieté. Regie: Ewald André Dupont. Drehbuch: Ewald André Dupont. Mit E. Jannings, L. De Putti. Universum Film. Deutschland. 1925.

[tds_note]Nähere Informationen zu den genannten und vielen weiteren Werken findet ihr hier.

Der Text erschien zuerst in unserer Ausgabe BK 24 zum Thema Frühjahrsputz. Jetzt erscheint er in der Themenwoche #1920erlesen. Zu allen Beiträgen der Themenwoche geht es hier.[/tds_note]

Bilder: Universum Film

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