Ein Lieb(ido)haber der Literatur

by Bücherstadt Kurier

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Sig­mund Freud wäre am 07. Mai 2016 160 Jahre jung gewor­den. Dies gibt Wort­klau­be­rin Erika die rich­tige Gele­gen­heit, um sich mit ihm und sei­ner Liebe zur Lite­ra­tur zu beschäftigen.

Sig­mund Freud – Vater der Psy­cho­ana­lyse, Schre­cken der weib­li­chen Hys­te­rie, Lieb­ha­ber der Lite­ra­tur – war ein viel­sei­ti­ger Mensch. Die schiere Unmenge an Abhand­lun­gen und Brie­fen, die er Zeit sei­nes Lebens ver­fasst hat, gibt nur einen vagen Ein­blick davon. Er beschäf­tigte sich neben sei­nen diver­sen Stu­dien zu Krank­hei­ten auch mit Kunst und Lite­ra­tur. Dabei streifte er etwa in „Der Dich­ter und das Phan­ta­sie­ren“ auch die Frage, was denn die trei­bende Kraft für das lite­ra­ri­sche Schaf­fen sei.

Ein Freu(n)d der Literatur

Freud war fas­zi­niert von Lite­ra­tur und dem lite­ra­ri­schen Schaf­fen an sich. Bereits Texte wie die „Traum­deu­tung“ zeu­gen von sei­ner eige­nen Affi­ni­tät zur deut­schen Spra­che. Er gibt darin viele Bei­spiele von Träu­men, die er erzäh­le­risch anspre­chend gestal­tet. Freud erklärt seine Theo­rien häu­fig anhand von Bei­spie­len aus dem lite­ra­ri­schen Werk des aus­ge­hen­den 19. Jahr­hun­derts, die von sei­ner brei­ten Kennt­nis der zeit­ge­nös­si­schen Lite­ra­tur zeugen.
Ein Para­de­bei­spiel hier­für ist etwa die 1930 erschie­nene Abhand­lung „Das Unbe­ha­gen in der Kul­tur“: Der Text spielt viele ver­schie­dene Aspekte der Kul­tur und Kul­ti­vie­rung des Men­schen durch, ver­ständ­lich gemacht durch eine ganze Reihe von Bei­spie­len aus der Welt­li­te­ra­tur. Freud zitiert mit Vor­liebe Hein­rich Heine und Johann Wolf­gang von Goe­the, Fried­rich Schil­ler und Marc Twain.

Freu­dia­nisch interpretiert

Doch Freud belässt es nicht dabei, lite­ra­ri­sche Zitate als Illus­tra­tio­nen sei­ner Erklä­run­gen zu ver­wen­den. Ange­spornt durch ein Gespräch bei einer der Psy­cho­lo­gi­schen Mitt­wochs­ge­sell­schaf­ten ana­ly­sierte er den Roman „Gra­diva“ von Wil­helm Jen­sen nach psy­cho­ana­ly­ti­schem Modell. Die­ser Roman ist bis heute vor allem wegen Freuds Inter­pre­ta­tion bekannt. Der Vater der Psy­cho­ana­lyse las unter ande­rem auch rus­si­sche Autoren wie Dos­to­jew­ski, den er selbst zu einem der größ­ten Lite­ra­ten erklärte, die jemals gelebt haben. Diese Aus­sage lässt sich im Auf­satz „Dos­to­jew­ski und die Vater­tö­tung“ nachlesen.
Sein Ansatz zur Lite­ra­tur­in­ter­pre­ta­tion, bei dem er Ver­bin­dun­gen zum Leben des Autors zieht, ist in der Lite­ra­tur­wis­sen­schaft inzwi­schen nicht mehr gebräuch­lich. Nichts­des­to­trotz stel­len Freuds theo­re­ti­sche Kon­zepte bis heute den Grund­stock für die psy­cho­ana­ly­ti­sche Strö­mung in der gesam­ten Kul­tur­wis­sen­schaft dar, wor­auf Theo­re­ti­ker wie Jac­ques Lacan und Roman Jakobson aufbauen.

Freud und der Film?

Freud hielt nicht viel vom Film, wenn­gleich er Kunst und Lite­ra­tur sehr schätzte. So erklärte er in einem Brief an Sán­dor Feren­czi im August 1925, „die Ver­fil­mung läßt sich sowe­nig ver­mei­den wie – scheint es – der Bubi­kopf, aber ich lasse mir selbst kei­nen schnei­den“. Es erscheint umso kurio­ser, dass die Psy­cho­ana­lyse gerade in der Film­wis­sen­schaft seit der zwei­ten Hälfte des 20. Jahr­hun­derts gro­ßen Ein­fluss aus­übt. Filme las­sen sich lesen wie der Traum, und Freuds Instru­men­ta­rium wurde wie­der­be­lebt, aller­dings nicht in der Anwen­dung der Psy­cho­ana­lyse wie er sie in sei­nen Ana­ly­sen von Lite­ra­tur und Kunst vor­ge­führt hat.

Freud und die Literatur

Wenn­gleich Sig­mund Freuds Ein­stel­lun­gen zu Kunst und Lite­ra­tur heute durch­aus mit ande­ren Augen betrach­tet wer­den, so stel­len sie doch einen inter­es­san­ten Teil aus Freuds Oeu­vre dar, der gründ­lich auf­ge­ar­bei­tet und kom­men­tiert wurde. Freud selbst tritt gerade in die­sem Teil sei­nes Lebens­wer­kes, in dem er sich mit Lite­ra­tur und Kunst beschäf­tigt, als ein Lite­ra­tur­lieb­ha­ber son­der­glei­chen auf, der es ver­steht, sich diese etwa in Form von Bei­spie­len nutz­bar zu machen. Zugleich geht seine Neu­gier dar­über hin­aus, und er kann sich auch dem Blick auf den Urhe­ber der Kunst nicht verweigern.
Ob er ihnen wohl etwas nei­disch war?

Sig­mund Freud: Bil­dende Kunst und Lite­ra­tur. Stu­di­en­aus­gabe Band X. Frank­furt am Main: Fischer, 2001 [1969] / Freud an Feren­czi, 14.8.1925, zitiert nach Freud­mu­seum Wien: Psy­cho­ana­lyse und Film. Zugriff auf www​.freud​-museum​.at zuletzt am 09.05.2016.

Psy­cho­lo­gi­sche Mittwochs-Gesellschaften
Sig­mund Freud ver­sam­melte ab 1902 seine Schü­ler und Inter­es­sierte an der Psy­cho­ana­lyse im Zuge von wöchent­li­chen Tref­fen um sich. Diese psy­cho­lo­gi­schen Mitt­wochs-Gesell­schaf­ten dis­ku­tierte im War­te­zim­mer von Freuds Pra­xis in der Berg­gasse in Wien das Kon­zept der Psy­cho­ana­lyse und damit zusam­men­hän­gende Themen.

Illus­tra­tion: Buch­stap­le­rin Maike

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