Ein Lieb(ido)haber der Literatur

von | 13.10.2016 | Kreativlabor

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Sigmund Freud wäre am 07. Mai 2016 160 Jahre jung geworden. Dies gibt Wortklauberin Erika die richtige Gelegenheit, um sich mit ihm und seiner Liebe zur Literatur zu beschäftigen.

Sigmund Freud – Vater der Psychoanalyse, Schrecken der weiblichen Hysterie, Liebhaber der Literatur – war ein vielseitiger Mensch. Die schiere Unmenge an Abhandlungen und Briefen, die er Zeit seines Lebens verfasst hat, gibt nur einen vagen Einblick davon. Er beschäftigte sich neben seinen diversen Studien zu Krankheiten auch mit Kunst und Literatur. Dabei streifte er etwa in „Der Dichter und das Phantasieren“ auch die Frage, was denn die treibende Kraft für das literarische Schaffen sei.

Ein Freu(n)d der Literatur

Freud war fasziniert von Literatur und dem literarischen Schaffen an sich. Bereits Texte wie die „Traumdeutung“ zeugen von seiner eigenen Affinität zur deutschen Sprache. Er gibt darin viele Beispiele von Träumen, die er erzählerisch ansprechend gestaltet. Freud erklärt seine Theorien häufig anhand von Beispielen aus dem literarischen Werk des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die von seiner breiten Kenntnis der zeitgenössischen Literatur zeugen.
Ein Paradebeispiel hierfür ist etwa die 1930 erschienene Abhandlung „Das Unbehagen in der Kultur“: Der Text spielt viele verschiedene Aspekte der Kultur und Kultivierung des Menschen durch, verständlich gemacht durch eine ganze Reihe von Beispielen aus der Weltliteratur. Freud zitiert mit Vorliebe Heinrich Heine und Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller und Marc Twain.

Freudianisch interpretiert

Doch Freud belässt es nicht dabei, literarische Zitate als Illustrationen seiner Erklärungen zu verwenden. Angespornt durch ein Gespräch bei einer der Psychologischen Mittwochsgesellschaften analysierte er den Roman „Gradiva“ von Wilhelm Jensen nach psychoanalytischem Modell. Dieser Roman ist bis heute vor allem wegen Freuds Interpretation bekannt. Der Vater der Psychoanalyse las unter anderem auch russische Autoren wie Dostojewski, den er selbst zu einem der größten Literaten erklärte, die jemals gelebt haben. Diese Aussage lässt sich im Aufsatz „Dostojewski und die Vatertötung“ nachlesen.
Sein Ansatz zur Literaturinterpretation, bei dem er Verbindungen zum Leben des Autors zieht, ist in der Literaturwissenschaft inzwischen nicht mehr gebräuchlich. Nichtsdestotrotz stellen Freuds theoretische Konzepte bis heute den Grundstock für die psychoanalytische Strömung in der gesamten Kulturwissenschaft dar, worauf Theoretiker wie Jacques Lacan und Roman Jakobson aufbauen.

Freud und der Film?

Freud hielt nicht viel vom Film, wenngleich er Kunst und Literatur sehr schätzte. So erklärte er in einem Brief an Sándor Ferenczi im August 1925, „die Verfilmung läßt sich sowenig vermeiden wie – scheint es – der Bubikopf, aber ich lasse mir selbst keinen schneiden“. Es erscheint umso kurioser, dass die Psychoanalyse gerade in der Filmwissenschaft seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts großen Einfluss ausübt. Filme lassen sich lesen wie der Traum, und Freuds Instrumentarium wurde wiederbelebt, allerdings nicht in der Anwendung der Psychoanalyse wie er sie in seinen Analysen von Literatur und Kunst vorgeführt hat.

Freud und die Literatur

Wenngleich Sigmund Freuds Einstellungen zu Kunst und Literatur heute durchaus mit anderen Augen betrachtet werden, so stellen sie doch einen interessanten Teil aus Freuds Oeuvre dar, der gründlich aufgearbeitet und kommentiert wurde. Freud selbst tritt gerade in diesem Teil seines Lebenswerkes, in dem er sich mit Literatur und Kunst beschäftigt, als ein Literaturliebhaber sondergleichen auf, der es versteht, sich diese etwa in Form von Beispielen nutzbar zu machen. Zugleich geht seine Neugier darüber hinaus, und er kann sich auch dem Blick auf den Urheber der Kunst nicht verweigern.
Ob er ihnen wohl etwas neidisch war?

Sigmund Freud: Bildende Kunst und Literatur. Studienausgabe Band X. Frankfurt am Main: Fischer, 2001 [1969] / Freud an Ferenczi, 14.8.1925, zitiert nach Freudmuseum Wien: Psychoanalyse und Film. Zugriff auf www.freud-museum.at zuletzt am 09.05.2016.

Psychologische Mittwochs-Gesellschaften
Sigmund Freud versammelte ab 1902 seine Schüler und Interessierte an der Psychoanalyse im Zuge von wöchentlichen Treffen um sich. Diese psychologischen Mittwochs-Gesellschaften diskutierte im Wartezimmer von Freuds Praxis in der Berggasse in Wien das Konzept der Psychoanalyse und damit zusammenhängende Themen.

Illustration: Buchstaplerin Maike

Bücherstadt Magazin

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