Ein bizarroider kleiner Roman

von | 04.08.2022 | Belletristik, Buchpranger

Schriftstellerin Françoise Sagan verwebt in „Blaue Flecken auf der Seele“ die Geschichte zweier Geschwister mit Kapiteln über ihr eigenes Schreiben. Ein kurzer Roman, locker aus dem Handgelenk geschüttelt, mit dem sich Worteweberin Annika köstlich amüsiert hat.

Ein schwedisches Geschwisterpaar in Paris im Jahr 1971: Sie sind die Hauptfiguren in Sagans „Blaue Flecken auf der Seele“ aus demselben Jahr. Die andere Hauptfigur ist Sagan selbst. Sie wechselt Kapitel über das Leben von Eléonore und Sébastien Van Milhem mit solchen über ihre eigene Person, ihre Meinungen und ihr Schreiben ab. Umso schwerer zu bestimmen, worum es in diesem kleinen, 140 Seiten starken Roman eigentlich geht, außer um die Momentaufnahme.

„Ich fange an, alles durcheinanderzuwerfen, Eléonore und mich, ihr Leben und meins, und das ist richtig so, denn es ist meine Absicht, wie der getreue Leser sehen wird, wenn er ans Ende dieses bizarroiden Textes gelangt.“ (S. 87)

Zwischen Champagner und Dosenravioli

Eléonore und Sébastien sind „Leute, für die das Leben und die Lebensfreude eine verschlissene Gewohnheit war“ (S. 85). Ihr Leben ist mondän, Arbeit hat darin keinen Platz. Beide wandern – meistens durchaus mit Vergnügen – von Gönner zu Gönnerin, haben Affären, die ihren Unterhalt finanzieren. Wenn gerade niemand da ist, um ihnen Champagner zu spendieren, leben sie eben von Dosenravioli. Allerdings sind sie inzwischen nicht mehr jung und es wird mühselig, geeignete Finanziers zu finden. Doch zum Glück haben sie einander – sie sind ein etwas seltsames, fest zusammengeschweißtes Gespann. Einen Sommer lang beobachten wir sie und erfahren, wie die Liaison zwischen Sébastien und der reichen, älteren Nora Jedelman den Lebensunterhalt der beiden sichert, wie Eléonore sich auf das junge Schauspieltalent Bruno einlässt und wie sie damit eine Tragödie auslöst.

Der Autorin über die Schulter geschaut

Wir Leser*innen sind in diesem Text ganz nah an seinem eigenen Entstehungsprozess dran. Dieser ist spontan, emotional und mitunter konzeptlos: Sagan schreibt darauf los, platziert ihre Figuren in einer Situation und beobachtet, wie sich die Handlung daraus entwickelt. Sie lässt uns Leser*innen an den Überlegungen teilhaben, wie die Geschichte weitergehen wird. Einige angedeutete Stränge laufen dabei ins Leere, weil die Autorin sie schlicht vergisst, wie sich später herausstellt.

Von diesen Überlegungen springt Sagan zu politischen Themen wie der Gender-Pay-Gap oder Abtreibungen, und zu sich selbst. Mit 17 Jahren wurde Sagan mit ihrem Roman „Bonjour Tristesse“ berühmt und stand von da an im Rampenlicht. Ihr Künstlerinnenleben, garniert mit schnellen Autos, Alkohol und mehreren geschiedenen Ehen, reflektiert sie zunehmend im Romanverlauf:

„Ich hätte gewünscht, mein Leben wäre ein langer und klassischer französischer Aufsatz: durchgehend Zitate von Proust, während der Ferien von Chateaubriand, mit achtzehn Jahren von Rimbaud, mit fünfundzwanzig von Sartre und mit dreißig von Scott Fitzgerald.“ (S. 91)

Letztendlich schlägt der Roman den Bogen zurück zur Autorin, treffen Sagan und die Van Milhems aufeinander. Dabei werden nicht alle Fäden wieder aufgenommen, aber doch die meisten. Und was liegengeblieben ist, hat uns Leser*innen zumindest unterwegs gut und intelligent unterhalten. „Blaue Flecken auf der Seele“ war für mich auch deshalb ein besonderer und außergewöhnlicher Roman, den ich gerne weiterempfehle.

Blaue Flecken auf der Seele. Françoise Sagan. Aus dem Französischen von Eva Brückner-Pfaffenberger. Wagenbach. 2022.

[tds_note]Zur Rezension von „Die dunklen Winkel des Herzens“ von Françoise Sagan.[/tds_note]

Annika Depping

Annika Depping

Als Chefredakteurin versucht Annika in der Bücherstadt den Überblick zu behalten, was mit der Nase zwischen zwei Buchdeckeln, zwei Kindern um die Füße und dem wuchernden Grün des Kleingartens im Nacken nicht immer einfach ist. Außerhalb der Bücherstadt ist Annika am Literaturhaus Bremen mit verschiedenen Projekten ebenfalls in der Welt der Geschichten unterwegs.

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