Edgar Allan Poe – der Meister des Phantastischen und Erfinder der Detektivromane

von | 14.11.2021 | Belletristik, Buchpranger

Es ist später Abend, der Raum ist dunkel und Kinder drängen sich um einen Tisch. In der Mitte liegt ein Buch und am Kopfende sitzt die Lehrerin. Sie leuchtet mit einer Taschenlampe in das Buch und beginnt zu lesen: „Die Folter“ von Edgar Allan Poe. Geschichtenbewahrerin Michaela mochte schon als Kind Gruselgeschichten und auf dieser Klassenfahrt lernte sie Edgar Allen Poe kennen.

Edgar Allan Poe schrieb vor allem Kurzgeschichten, die heute in Anthologien veröffentlicht werden. Seine Geschichten beschreiben die Urängste des Menschen. Angst vor dem Unerklärlichen, davor, gefoltert zu werden, einen qualvollen Tod zu erleiden oder lebendig begraben zu werden. Zu Lebzeiten Edgar Allan Poes war eine hundertprozentige Feststellung des Todes nämlich noch nicht möglich. Die Angst der Menschen, lebendig begraben zu werden, war also durchaus berechtigt.

Auch durch aufgeladene Schuld und Reue dicht am Wahnsinn zu sein oder die Grenze zu überschreiten, ist oft sein Thema. Und auch Tiere spielen bei Poe immer wieder eine unheimliche Rolle.

„Das Verräterische Herz“

Der namenlose Protagonist beteuert im ersten Satz, nicht wahnsinnig zu sein. Doch ist er es, denn ein anderes Motiv für den Mord, den er begeht, gibt es nicht. Und auch der Wahnsinn ist es, der ihn den Mord gestehen lässt.

„Der schwarze Kater“

Der einst liebenswürdige und tierfreundliche Erzähler verfällt dem Alkohol und dem damit einhergehenden Wahnsinn. Er gibt dies zu, denn er empfindet Reue. Ein schwarzer Kater ist zunächst sein bevorzugtes Haustier, dem er nach jahrelangem, immer stärkerem Alkoholkonsum Schlimmes antut. Ein anderer schwarzer Kater besiegelt sein Schicksal.

„Der Untergang des Hauses Usher“

Der Erzähler wird von seinem Jugendfreund Roderick Usher gebeten, ihn auf seinem Schloss zu besuchen. Er soll ihn aufheitern, da Usher sich in einer düsteren Stimmung befindet. Seine Schwerster Lady Madeline ist sterbenskrank, sie leidet an Katalepsie, bekannt als Starrsucht, eine neurologische Erkrankung, bei der eine Körperhaltung ungewollt lange einbehalten wird. Sie betrifft vor allem Menschen, die an Schizophrenie leiden. Er selbst ist Melancholiker und leidet unter Angstzuständen. Nachdem Lady Madeline stirbt, bahrt Roderick Usher sie mit Hilfe seines Freundes in der Gruft des Schlosses auf. Melancholie und Angst verwandeln sich in Wahnsinn und in einer stürmischen Nacht glaubt der Erzähler, ebenfalls den Verstand zu verlieren. Doch es ist nicht Wahnsinn, der ihn aus dem Haus fliehen lässt, sondern die Realität. Und so schrecklich die Wahrheit ist, sie rettet ihm das Leben.

„Die Scheintoten“

Der Erzähler berichtet von Menschen, die lebendig begraben wurden, bevor er seine eigene Geschichte erzählt. Er verfällt nicht dem Wahnsinn, doch er hat Angst und seine Gedanken kreisen ständig um das Thema scheintot zu sein und lebendig begraben zu werden. Seine Ängste sind verständlich, denn er leidet an Katalepsie und erlitt schon öfter todesähnliche Zustände. „Man kann in der Tat kaum einen Kirchhof umgraben, ohne Skelette in Stellungen zu finden, die zu den grauenvollsten Mutmaßungen führen müssen.“

Der erste Detektivroman der Literaturgeschichte: „Der Doppelmord in der Rue Morgue“

In Paris werden eine Frau und ihre Tochter grausam ermordet. Doch wie konnte der Mörder fliehen? Die Wohnung liegt im vierten Stock und die Türen und Fenster sind von innen verriegelt. Die Befragungen der Zeugen helfen auch nicht weiter.

Der Erzähler und sein Freund C. Auguste Dupin nehmen sich des Falls an. Dupin wird als intelligenter, fantasievoller und analytisch denkender Mann beschrieben. Er ist ein genauer Beobachter und Menschenkenner. Mit diesen Fähigkeiten gelingt es ihm, den Fall zu lösen.

Mit dem Ermittler C. Auguste Dupin erschuf Edgar Allan Poe den ersten Detektivroman der Literaturgeschichte. Er lässt Dupin und seinen Freund noch in zwei weiteren Geschichten ermitteln. Mit dem neuen Genre inspirierte Poe viele Schriftsteller, unter anderem Sir Arthur Conan Doyle zu Sherlock Holmes.

Düstere Geschichten

Die Geschichten von Edgar Allan Poe sind nicht übersinnlich. Der Wahnsinn, die Halluzinationen und die Angst liegen in den Figuren selbst. Er weiß düstere Atmosphären zu beschreiben, in die man beim Lesen hineingezogen wird. Man spürt die kühle Luft der Gruft, hört das klägliche Mauzen der Katze und meint in die angstverzerrten Gesichter der Protagonisten zu schauen. Ich finde, es sind die richtigen Geschichten an stürmischen Herbstabenden.

Bis heute wird Edgar Allan Poe gelesen und viele seiner Geschichten wurden verfilmt und als Hörspiele vertont. Die Gruppe The Alan Parsons Project veröffentlichte 1976 das Album „Tales of Mystery and Imagination – Edgar Allan Poe“, in dem einige der Geschichten Poes musikalisch umgesetzt wurden. Bis heute inspiriert Edgar Allan Poe zahlreiche Künstlerinnen und Künstler.

Phantastische Erzählungen. Edgar Allan Poe. Übersetzung: Hedda Moeller-Bruck und Hedwig Lachmann. Illustrationen: Leo Leonhard. Parkland Verlag. 1996.

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