Drei mal drei macht fünfundsiebzig

von | 05.08.2020 | Buchpranger, Sach- und Fachbücher

Zum Glück hat sie damals die Krummulus-Pillen genommen, sonst hätte sich Astrid Lindgrens Pippi Langstrumpf in den 75 Jahren seit ihrem Erscheinen vielleicht nicht so gut gehalten. In „Heldin, Ikone, Freundin“ feiert ihr deutscher Verlag Oetinger das Jubiläum – und Worteweberin Annika feiert mit.

Sie stemmt ihr Pferd „Kleiner Onkel“ in die Höhe, sucht nach dem geheimnisvollen Spunk, füttert ältere Männer mit Löwenzahn, backt riesige Pfefferkuchen und schockiert regelmäßig die Erwachsenen in ihrem Dorf. Die Rede ist natürlich von Pippi Langstrumpf, deren Geschichten wohl fast jedes Kind kennt – zumindest wurden die erfolgreichen Bücher der Schwedin Astrid Lindgren bis heute in 77 Sprachen übersetzt und begeistern ihre Leserinnen und Leser seit Generationen. Den Erfolg des rothaarigen Mädchens mit den Bärenkräften würdigt der Oetinger Verlag im Coffee-Table-Book „Heldin, Ikone, Freundin“. In vielfältigen Beiträgen – von Interviews, wissenschaftlichen Beiträgen bis Anekdoten ist alles dabei – widmen sich ganz unterschiedliche Autorinnen und Autoren dem Pippi-Phänomen.

Zwischen Superman und Lillifee

Im ersten Kapitel beschäftigt sich das großformatige Buch mit der Entstehung der „Pippi Langstrumpf“-Geschichten am Krankenbett von Astrid Lindgrens Tochter Karin. Interessant sind hier vor allem die abgedruckten Originaldokumente, die die Ablehnung des Manuskripts beim Bonnier Verlag zeigen. Außerdem ist nachzulesen, was „Superman“ mit der Geburt von Pippi Langstrumpf zu tun hat und wie Astrid Lindgren den Weg zur Veröffentlichung in ihrer Geschichte über den Räuber Assar Bubbla selbst augenzwinkernd beschreibt. Dadurch, dass sich der Band aus vielen Beiträgen unterschiedlicher Autorinnen und Autoren zusammensetzt, kommt die Hintergrundgeschichte immer wieder zur Sprache. Das wirkt redundant, wenn man den Band von vorne bis hinten liest. Wer sich jedoch durch „Heldin, Ikone, Freundin“ blättert und das Buch artikelweise entdeckt, wird daran sicherlich keinen Anstoß nehmen.

Im zweiten Kapitel geht es um Pippis Rolle als unangepasste Rebellin. In kurzen Aufsätzen beschreiben Literaturwissenschaftler und -wissenschaftlerinnen hier, wie Pippi Ideale von Weiblichkeit und Heimeligkeit sabotiert, warum sie nichts mit Prinzessin Lillifee zu tun hat und warum sie so viel Chaos verursacht. Das ist sehr aufschlussreich, teilweise hat man aber das Gefühl, dass die Aufsätze auf den wenigen Seiten etwas zu viel wollen. Darunter leidet die Argumentationslogik und ein Publikum ohne wissenschaftlichen Hintergrund könnte sich zum Beispiel vom Text von Barbara Vinken schlicht überfordert fühlen. Andere, wie der Artikel über Pippis Sprache, sind hingegen sehr erhellend und gut verständlich geschrieben.

Von Pippi Långstrump bis Fifi Brindacier

Im dritten Teil widmet sich der Band Pippis Siegeszug in Deutschland: Hier wird thematisiert, wie das Buch beim damals noch ganz kleinen Friedrich Oetinger Verlag platziert wurde, es geht um Pippi in der DDR und die Illustratorin der neuen deutschen Ausgaben, Katrin Engelking, und Eva Mattes als Pippis deutsche Synchronstimme kommen zu Wort. International hingegen wird es im folgenden fünften Abschnitt, in dem Pippis Weg durch die weite Welt der Literatur beschrieben wird. So erfährt man, warum Fifi Brindacier in Frankreich lange ein Flop war und Lindgrens Geschichte in Südafrika auf Afrikaans viel besser funktionierte als auf Englisch – der Schlüssel sind natürlich neben den kulturellen Begebenheiten auch immer die Übersetzungen, die ganz unterschiedlich mit einem Text umgehen können. Nachzulesen ist auch die Geschichte der Pippi-Verfilmungen – beginnend mit einer von Astrid Lindgren verabscheuten und nie auf DVD veröffentlichten Kinoversion. Die Fernsehserie sowie die daran anschließenden Filme mit Inger Nilsson hingegen sind weltbekannt. Dass in ihnen auch der berühmte Forschungsreisende Thor Heyerdahl als Statist mitwirkte und wie die Spezialeffekte zu damaligen Zeiten umgesetzt werden konnten, davon erzählt Johan Erséus in einem interessanten Beitrag.

Abschließend widmet sich das fünfte Kapitel Pippi als Statement. Hier können Pippi-Tattoos und –Graffitis bestaunt werden, außerdem folgen persönliche Anekdoten deutscher Schriftstellerinnen. Nicht alle berichten so durchweg positiv von Pippi wie die vorigen Beiträge, was für ein Abschlusskapitel ungünstig erscheint. Da der Rest von „Heldin, Ikone, Freundin“ aber viel Spaß macht, kann man das verschmerzen – und sich den vorigen Kapiteln einfach ausführlicher widmen (das dann auch gerne immer wieder). „Jetzt wollen wir feiern, dass die ganze Villa Kunterbunt kracht!“, sagt Pippi in einer Geschichte. Eine wunderbare Art, die schwedische Superheldin zu feiern, ist ganz eindeutig das Stöbern in „Heldin, Ikone, Freundin“!

Pippi Langstrumpf. Heldin, Ikone, Freundin. Astrid Lindgren u.a. Oetinger Verlag. 2020.

 

Bücherstadt Magazin

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