Die Wissenschaft der Drachen

von | 09.06.2018 | Belletristik, Buchpranger

Vor einigen Monaten tauchte Marie Brennans „Die Naturgeschichte der Drachen“ wie aus dem Nichts vor Zeilenschwimmerin Ronja auf und riss sie gleich mit weg. Jetzt konnte sie natürlich die Hände nicht vom zweiten Teil der Reihe lassen.

Im diesem Band ihrer Memoiren nimmt Lady Trent ihre Leserschaft auf eine weitere Forschungsreise mit. Neben den Gewissensbissen, die ihr die gesellschaftlichen Zwänge ihrer Heimat bereiten, wird sie in der Hitze von Bayembe noch von einigen anderen Unannehmlichkeiten geplagt. Aber nichts wird Lady Trent, zu diesem Zeitpunkt noch Mrs. Camherst, von den Drachen fernhalten, für deren Erforschung sie eine so weite Reise auf sich genommen hat. Um jedoch überhaupt in die gefürchteten Sümpfe von Mouleen und zu den Moulischen Sumpfwyrmen zu gelangen, muss sie sich allerdings erst mit Diplomatie abmühen. Als sie endlich die Wälder von Mouleen betritt, ahnt sie weder, welche bahnbrechenden Entdeckungen sie machen wird, noch welche politischen Verstrickungen sie erwarten.

Was „Lady Trents Memoiren“ so packend macht, sind nicht vordergründig die zahlreichen gefährlichen Situationen, in die sie gerät, sondern vor allem Brennans trocken-humorvolle Art, davon zu berichten und ganz nebenbei auch noch ganze Kulturen und Gesellschaftsstrukturen und natürlich die Natur, insbesondere Drachen, zu beschreiben. Lady Trent als Ich-Erzählerin spart nicht mit Selbstkritik, ist erquickend offen und legt neben ihrer grenzenlosen Begeisterung für Drachen auch erfreulichen Respekt gegenüber anderen Kulturen an den Tag. Sie ist ein wirklich starker, weiblicher Charakter: Sie weiß, was sie will und wie sie es am besten erreicht, in gefährlichen Situationen kann sie sich sehr gut selbst helfen (auch ohne Gewalt), und widersetzt sich gesellschaftlichen Normen, wenn sie sie für unsinnig hält. Dennoch ist sie – und das ist ihr sehr wohl bewusst – nicht frei von ihrer Erziehung oder den Erwartungen ihrer Familie und der Gesellschaft. Die Auswirkungen dessen spürt sie durch diese Expedition ganz besonders.

„Weil ich noch nicht damit fertig bin, meine Memoiren zusammenzustellen, kann ich nicht sicher sagen, ob dies, der zweite Band in der Reihe, der mit dem meisten Klatsch von allen wird. […] Aber dieser Band kann es damit aufnehmen, weil es während jener Jahre war, dass ich mit einer Anschuldigung der Unzucht und des Hochverrats und dem Status als schlechteste Mutter in ganz Scirland widerfand. Das ist einiges mehr, als den meisten Frauen in ihrem Leben gelingt, und ich gebe zu, dass ich auf eine abartige Art stolz auf diese Leistung bin.“ (S. 8)

Der Aufbau der Welt ist geprägt von einer kulturwissenschaftlichen Herangehensweise. In all den Details, den Besonderheiten der verschiedenen Kulturen und Religionen, den sozialen und politischen Strukturen, den Erwähnungen verschiedener Sachbücher – die (innerhalb der literarischen Welt) zu verschiedensten Themen erschienen sind –, und Hinweisen auf eine lange Historie, lassen sich die Begeisterung, das Fachwissen und der Realismus erkennen, mit der Brennan die Welt von Lady Trent errichtet hat. Die Informationsbrocken werden jedoch nie zu viel oder gar langweilig, sondern wecken im Gegenteil eher Neugier.

Ebenfalls ein großer Pluspunkt ist die Art, wie Fremdsprachen hier dargestellt werden. Wiederholt verweist Lady Trent darauf, dass sie selbstverständlich in einer anderen Sprache und wesentlich gebrochener gesprochen habe, als es hier wiedergegeben sei. Damit umgeht Brennan nicht nur geschickt alle Schwierigkeiten, die sich mit ausgedachten Sprachen ergeben (Störung des Leseflusses und Unsicherheiten bezüglich der Aussprache), sondern greift damit auch auf ein stilistisches Mittel zurück, das zur zeitlichen Verortung von „Lady Trents Memoiren“ passt. Diese entspricht nämlich – eine schöne Abwechslung im Genre Fantasy – dem, was in der Realität die Kolonialzeit ist.

Parallel zu den Expeditionen, die Lady Trent bisher gemacht hat, entwickelt sich auch ein romanübergreifendes Rätsel, vielleicht auch eher eine Verschwörung, das lässt sich momentan noch nicht sagen. Lady Trents Leben ist jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt schon spannend und verspricht, den Andeutungen in diesem Band nach, auch weiterhin spannend zu bleiben. Als kleinen Bonus gibt es auch noch ein paar wunderschöne Illustrationen zu sehen.

Auch wenn die Handlung ohne Vorkenntnisse verständlich ist, ist es unbedingt empfehlenswert, zuvor „Die Naturgeschichte der Drachen“ gelesen zu haben. Und das nicht nur, weil der erste Teil genauso gefällig geschrieben ist wie dieser.

„Aber ich versichere Ihnen, dass ich all diese Dinge überlebt habe. Wahrscheinlich werden Sie es auch überleben von ihnen zu lesen.“ (S. 8)

Der dritte Band von Lady Trents Memoiren erscheint schon im Juli und trägt den Titel „Die Reise der Basilisk“.

Der Wendekreis der Schlangen – Lady Trents Memoiren 2. Marie Brennan. Übersetzung: Andrea Blendl. Cross Cult. 2018. Erhältlich in der Buchhandlung eures Vertrauens.

 

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