Die Suche nach dem Sinn der Worte

von | 19.11.2018 | Belletristik, Buchpranger

Anfang dieses Jahres ist ein liebevoll gestaltetes Buch erschienen: „Der Wortschatz“, der Debüt-Roman von Elias Vorpahl. Zusammen mit dem Wort, das seine Bedeutung vergessen hat, begibt sich Zeichensetzerin Alexa auf eine fantastische Reise und Sinnsuche.

Wenn wir sprechen, denken wir meist gar nicht lange darüber nach, welche Wörter wir wählen. Manchmal vergessen wir Wörter und ihre (tiefere) Bedeutung. Das ist, wenn man ernsthaft darüber nachdenkt, ganz und gar fürchterlich – vor allem, weil ein Wort, wie jenes in Vorpahls Buch „Der Wortschatz“, nur existieren kann, wenn es gedacht, ausgesprochen oder aufgeschrieben wird. Sonst vergessen auch Wörter, welchen Sinn sie tragen.

„Die Welt der Sprache ist stets im Wandel. Manche Worte, die heute an der Oberfläche des Flusses treiben, werden in hundert Jahren vergessen sein. Wisst ihr, der Sprachfluss hat keine Mündung. Jahrelang dachten wir, dass wir irgendwann irgendwo ankommen würden. Aber das stimmte nicht. Der Fluss fließt immer weiter. Es sind bloß andere Worte, die an seiner Oberfläche treiben.“ (S. 74)

Allein beim Schreiben dieses Textes wird das eine Wort hinter das nächste gesetzt, verschoben, gelöscht, wieder hingeschrieben – manche Wörter werden nur gedacht und finden keinen Weg aufs weiße digitale Blatt. Sie schwirren irgendwo zwischen Gedanke und Blatt und verschwinden schließlich gänzlich. Manchmal entfallen uns Wörter aber auch nur, dann suchen wir und suchen – wie hieß das doch gleich? Mir fehlt da dieses Wort …

Auch das Wort, der Protagonist/die Protagonistin in diesem Buch, ist noch nicht verloren. Es begibt sich auf die Suche nach seinem Sinn und begegnet auf seiner Reise einer Reihe fantastischer Wesen, vielen anderen Wörtern, die einen „wichtiger“ als die anderen:

„Es gibt viele Worte, für die nicht die Qualität einer Geschichte entscheidend ist. Für sie zählt nur, wer sie erzählt. Die ach so wichtigen Worte, mit ach so viel Bedeutung. Hochmut. Beflissenheit. Facettenreichtum. Sie würden es nicht ertragen, ein Wort ohne Bedeutung gewinnen zu sehen.“ (S. 118)

Ums Gewinnen geht es bei den „Wortspielen“, bei denen Wörter gegeneinander antreten und versuchen, das Publikum mit dem Geschichtenerzählen zu überzeugen. Dabei geht es weniger darum, von Dingen zu erzählen, die bekannt sind, sondern vielmehr um die Fantasie: „Denke dir etwas Neues aus. Benutze die Fantasie. Dann ist es völlig egal, was du vergessen hast.“ (S. 113) Diesen Tipp erhält das Wort von der Echse, als es bei den Wortspielen antritt.

Vorpahl webt so manchen Gedanken über Sprachwandel, die Qualität von Texten beziehungsweise „große[n] Geschichten“ (S. 113) und die Hierarchie der Worte (manche sind „wichtiger“ als andere, wodurch sprachliche Abgrenzung stattfindet) in seiner Geschichte ein. Dabei setzt er das Wort in eine fantasievolle Welt, in der es Aufstrich und Unterstrich zum Frühstück gibt, Umlautarbeiten stattfinden und kostenlose i- und ü-Tüpfelchen von Typografen vergeben werden. Die Welt, in der das Wort sich bewegt, heißt Sprachen und ist voller Geschichten, Wortspiele und –rätsel. Aber auch Gefahren lauern hier.

„In einem ganz anderen Teil der Welt der Sprache hatten zwei Wesen Witterung aufgenommen, ihr neues Opfer zu jagen. Dieses Opfer war ein Wort ohne jegliche Bedeutung.“ (S. 35)

Vorpahl hat mit „Der Wortschatz“ nicht einfach nur eine Hommage an das geschriebene Wort verfasst, sondern auch so manchen intertextuellen Verweis eingebaut. So erinnert das Kapitel „Die verrückte Teeparty“ an „Alice im Wunderland“, die Wortspiele an Walter Moers‘ „Die Stadt der Träumenden Bücher“ und der fiktive Schriftsteller, der sich als Erzähler zu erkennen gibt, an Cornelia Funkes „Tintenherz“. Trotz dieser Einflüsse bewahrt sich „Der Wortschatz“ die Individualität. Es ist eine Mischung aus vielen kleinen Geschichten und vielen spannenden Gedanken rund um die Sprache, vor allem aber ist „Der Wortschatz“ eine Geschichte über ein Wort, das um das Überleben kämpft.

Spannend sind darüber hinaus die Metaebenen. Das Buch beginnt mit einem Prolog: „Der alte Mann griff nach seiner Feder. Er ahnte nun, wie die Geschichte beginnen musste.“ Und dann schreibt dieser Mann, der fortan als Erzähler der Geschichte fungiert, genau den gleichen Satz: „Der alte Mann griff nach seiner Feder …“ Später, als das Wort ihm begegnet und ihn fragt, wozu die ganze Reise, bezieht er die Lesenden mit ein:

„Wärst du direkt zu mir gekommen, […] klopftest an die Tür und fragtest: ›Wie ist das nochmal mit der Welt der Sprache?‹ Wer hätte sich die Mühe gemacht, das zu lesen? Wer hätte es geglaubt? Er ist bei uns. Jetzt gerade liest er jede Zeile und ich bete, dass er bis zum Ende liest.“ (S. 152)

Erwähnenswert sind neben der liebevollen Gestaltung des Romans von Lena Stadler die unaufdringlichen, den Text unterstützenden Illustrationen von Julia Stolba, die sowohl zu Beginn eines Kapitels (als illustrierte Initiale) als auch innerhalb dessen zu finden sind.

„Der Wortschatz“ überzeugt mit viel Liebe zum Detail: Die Aufmachung des Buches ist ansprechend, die Geschichte etwas für Kopf und Herz. Es bereitet Freude, das Wort auf seiner Reise zu begleiten, dabei so manches Unterhaltsames über die Welt der Sprache zu erfahren und sich an die Wichtigkeit der Wörter zu erinnern. Ein großer Buchtipp für alle, die gerne fantastische, märchenhafte Geschichten lesen.

Der Wortschatz. Elias Vorpahl. Illustration: Julia Stolba. Gestaltung: Lena Stadler. Buchblatt. 2018.

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

1 Kommentar

  1. Avatar

    Wow! Vielen Dank für diese wunderbare Rezension. Mir fehlen die Worte.

    Wie es der Zufall will, wurde der Wortschatz gerade heute in die Shortlist des LovelyBooks Leserpreises 2018 gewählt, was mich sehr glücklich macht. Jetzt kann jede Leserin und jeder Leser noch bis zum 27.11.2018 für „Der Wortschatz“ abstimmen:

    Ich freue mich über jede Stimme! 🙂

    Liebe Grüße an das ganze Team vom Bücherstadt Kurier und noch einmal vielen Dank!
    Elias Vorpahl

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