Die Kurzgeschichten der Videospiele

von | 04.07.2016 | Digitale Spiele, Spielstraße

Videospiele für den PC werden nicht nur immer beliebter, sondern auch in Grafik und Gameplay stetig ausgefeilter. Neben den großen virtuellen Welten, die langen Romanen ähneln, gibt es seit jeher die kleineren Jump’n’Run-Spielchen – die Kurzgeschichten der Videospiele. Satzhüterin Pia stellt euch das Genre und ein paar lohnenswerte Spiele näher vor.

Zuerst einmal: Was ist eigentlich ein Jump’n’Run-Spiel? Der englische Begriff Jump’n’Run, zu Deutsch „spring und lauf“, bezeichnet sehr genau, um was für eine Art von Spiel es sich handelt. Der Blick auf die Spielfigur bleibt immer gleich, wenn man mit ihr bis auf wenige Ausnahmen von links nach rechts durch die meist zweidimensionale Welt läuft – und springt. Tatsächlich ist der Begriff Jump’n’Run im Englischen unüblich und die Spiele werden dort „Platform game“ genannt – springt und läuft die Spielfigur doch auf verschiedenen Plattformen. Auch in Deutschland finden sich die Spiele hin und wieder unter dem abgekürzten Begriff „Platformer“.

Anfänge…

Angefangen hat alles mit „Donkey Kong“. Als 1981 das Arcade-Spiel – also Spielhallenautomatenspiel – erschien, hat es zukünftigen Jump’n’Run-Spielen eine vollkommen neue Richtung gegeben und die Grundlage nach der heutigen Definition gelegt. Das Spiel um den bekannten Gorilla aus der Super-Mario-Reihe hat erstmals Hintergrundgeschichten und Filmsequenzen eingeführt, die das Spiel zu einer richtigen kleinen Geschichte machen. Einer Kurzgeschichte.

…und Anforderungen

Geschicklichkeit und eine gute Hand-Augen-Koordination sind gefragt, möchte man die jeweilige Spielfigur sicher durch die aufgabenreiche Landschaft manövrieren. Aber damit alleine ist es noch nicht getan, denn die Aufgaben und Rätsel, vor die die Spieler gestellt werden, fordern viel Hirnschmalz. So werden viele Jump’n’Run-Spiele zusätzlich mit dem Genre Denksport betitelt. Um sich in eine der vielen schönen interaktiven Kurzgeschichten fallen zu lassen, braucht man nicht den teuren Gaming-PC oder zwangsläufig eine der neueren Konsolen. Dank eines einfachen Koordinationssystems, was Objekten einen festen Platz zuschreibt, kann auch ein einfacher Computer genug Leistung erbringen. Übersetzt heißt das: Du läufst mit deiner Spielfigur in einer zweidimensionalen Welt von links nach rechts und erst, wenn ein bewegliches, spielrelevantes Objekt – zum Beispiel ein Gegner – ins Bild kommt, agiert dieser auch.

LittleBigPlanet

Gerade in den letzten Jahren sind Jump’n’Run-Spiele wieder beliebter geworden. 2008 kam für die Playstation der erste LittleBigPlanet (LBP)-Teil heraus, die Nachfolger erschienen 2011 und 2014. Spieler steuern hier kleine Avatare, die sogenannten „Sackboys“ beziehungsweise „Sackgirls“, und können diese, sowie auch andere Gegenstände, Häuser und Szenarien selbst gestalten und der gesamten Community zur Verfügung stellen. Sehr schön ist hier, dass man zusammen mit bis zu vier anderen Personen die mehr als 50 Level durchspielen kann – sofern die teilweise sehr kniffligen Rätsel und Hindernisse geknackt werden. Auch optisch macht das bunte und extra niedliche Spiel viel her.

LBP_Sony Computer Entertainment Europe

Limbo

Auf Listen der besten Jump’n’Run-Spiele, wie zum Beispiel von der Seite gamespilot , ist Limbo stets weit oben zu finden: ein kleines, sehr feines Indie-Spiel. Im Gegensatz zu dem bunten LBP ist Limbo sehr viel düsterer – nicht nur wegen der schwarz-weiß-grauen Optik und der dazu passend unterlegten Musik. In der katholischen Theologie bezeichnet Limbus, worauf der Titel des Spiels verweist, zwei Orte am Rande der Hölle, an dem Seelen hängen bleiben, die unverschuldet dem Himmel fern bleiben müssen. Aber auch ohne diesen Verweis wird schnell deutlich, dass Limbo mit dem kleinen Jungen zwar niedlich ist, aber eine gruselige Atmosphäre hat. Die Errungenschaft „Überlebenskampf“, für die man weniger als fünf Mal im Verlauf des Spiels sterben darf, scheint schnell utopisch.

Es gibt keine Vorgeschichte, man erwacht einfach als kleiner, namenloser Junge – als schwarze Silhouette und mit leuchtend weißen Augen – in einem dunklen Wald und läuft los ins Abenteuer. Die Steuerung ist hierbei denkbar einfach: Laufen, Springen, Greifen. Und dennoch kommen Spieler schnell an ihre Grenzen, denn auch hier sind Geschicklichkeit, schnelle Reaktionen, flinke Finger und ein wacher Verstand gefragt. Bärenfallen und Gegner wie Spinnen sind oft versteckt und die Sterbeszenen als Silhouette, weiterhin in Graustufen, durchweg grausam dargestellt. Die Auflösung der Geschichte versöhnt aber mit dem harten Weg, den der kleine Junge gehen musste, und lässt dennoch Raum für Interpretationen – mehr soll an dieser Stelle nicht verraten sein.

Limbo_Playdead Studios_Screenshot Pia

Max – the Curse of Brotherhood

Wieder deutlich bunter, aber vielleicht sogar noch kniffliger ist das Spiel „Max – the Curse of Brotherood“. Hier spielt man den kleinen Jungen Max, der von seinem Bruder genervt wünscht, dieser würde einfach verschwinden. Also sucht er einen Zauber im Internet heraus – der wider Erwarten funktioniert. Erschrocken über sich selbst und die gruselige Monstergestalt, die seinen Bruder durch ein Portal zieht, springt er kurzentschlossen hinterher und los geht das Abenteuer.

Auch hier ist das Spiel unkompliziert zu steuern – auf den ersten Blick. In den sieben Kapiteln mit zusammen 20 Leveln hat Max‘ Zauberstift – aus dem ersten Teil „Max and the Magic Marker“ schon bekannt – unterschiedliche Kräfte. Er kann Säulen aus dem Boden erheben, Seile entstehen oder Äste wachsen lassen und Wasserstrudel zeichnen. Dabei ist lange nicht so klar, was als nächstes gemacht werden muss, wie es jetzt vielleicht klingen mag. Zusätzlich gibt es zeitkritische Momente, in denen die Szene in Zeitlupe gezeigt wird und Spieler schnellstmöglich oder aber im genau richtigen Moment eine Liane oder ähnliches zeichnen müssen, um nicht zu sterben oder um einfach nur weiterzukommen. Die verschiedenen Umgebungen in den einzelnen Kapiteln bieten viele optische Highlights. Ob Max seinen kleinen Bruder retten kann?

Max-the curse of brotherhood_Press Play --Microsoft Studios_screenshot Pia

Unravel

Erst in diesem Jahr erschien das Spiel „Unravel“ – zu Deutsch entwirren oder entknoten. Spielerisch ähnelt es Limbo, optisch eher LBP. Hier spielt man Yarny, eine Figur aus roter Wolle, die entsteht, als eine alte, verbittert wirkende Frau ihr Wollknäuel fallen lässt. Nun macht Yarny sich auf, die Erinnerungen der alten Frau wiederzufinden. Im Gegensatz zu Limbo und Max sind die einzelnen Kapitel hier über ein interaktives Menü zu erreichen und nicht fortlaufend in einer Geschichte erzählt. Eine weitere Besonderheit ist, dass Yarny in seiner Eigenschaft als personifiziertes Wollknäuel die Substanz ausgeht. So müssen Spieler zusätzlich zu den Aufgaben und Rätseln darauf achten, dass sie einen Wollfaden hinter sich herziehen und rechtzeitig ein neues Wollknäuel finden, um Yarny wieder aufzufüllen.

Fürs Auge… und für Herz und Seele

Besonders diese Jump’n’Run-Spiele sind nicht nur was fürs Auge, sondern auch – oder besonders – etwas für Herz und Seele. Max, der seinen Bruder retten möchte, der kleine Junge aus Limbo (dessen Auftrag hier nicht verraten werden kann, ohne das Ende vorweg zu nehmen), Yarny aus Unravel, der einer alten, gramvollen Frau die Erinnerungen wiederbringen möchte… Besonders Yarny ist eine Figur, die Spieler berührt und mit einer zauberhaften Botschaft überzeugt, und nicht mit einem revolutionären Gameplay. Wie viel Liebe zum Detail die schwedischen Entwickler Coldwood Interactive in ihren Protagonisten gesteckt haben, zeigt auch ein Video mit der Anleitung dazu, wie man sich seinen eigenen Yarny basteln kann.
Aber nicht nur die Geschichten, die Gameplays und die Optiken der Spiele wissen zu begeistern. Es wären keine Kurzgeschichten, wenn die Spiele nicht auch kurz wären. Für manche ein Manko, finde ich die spaßigen, begrenzten Stunden an Spielzeit angenehm. Bei Limbo sind es nur etwa drei Stunden, bis das Spiel durchgespielt ist, bei Max und Yarny immerhin um die sieben.

Wem Limbo so gut gefällt wie mir, kann sich auf eine baldige Veröffentlichung von „Inside“ freuen. Die Limbo Macher Playdead Studios bringen Anfang Juli diesen Jahres ihr zweites Spiel heraus, dessen erste Eindrücke stark an Limbo erinnern und doch laut bisheriger Rezensionen ein ganz eigenes Spiel darstellen dürfte. Diesmal auch mit etwas mehr Farbe, wenn auch immer noch düster, und deutlich mehr Krimi-Charakter.

Yarny selbstgemacht: Yarny schmückt auch jedes Bücherregal! (Foto: Pia)

LittleBigPlanet. Studio: Media Molecule, Sumo Digital (LBP 3). Publisher: Sony Computer Entertainment. Plattform/Systeme: PS4, PS3, PSP, PS Vita. Genre: Jump’n’Run. 2008. USK 6.
Limbo. Studio: Playdead Studios, Double Eleven. Publisher: Microsoft Game Studios (Xbox 360), Playdead Studios (PS3, PS4, iOS, Android, Linux), Merge Games (PC, Mac), Headup Games (PC, Mac). Plattform/Systeme: Xbox 360, Xbox One, PlayStation 3, Playstation 4, PlayStation Vita, Wii U, Windows, Mac OS X, Linux, iOS, Android. Genre: Denkspiel, Jump’n’Run. 2010. USK 16.
Max – the Curse of Brotherhood. Studio: Press Play. Publisher: Microsoft Studios. Plattformen/Systeme: Xbox One, Xbox 360, Windows. Genre: Jump’n’Run. 2013. USK 6.
Unravel. Studio: Coldwood Interactive. Publisher: Electronic Arts. Plattformen/Systeme: Windows, PS4, Xbox One. 2016. USK 6.

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  1. Game over! – Bücherstadt Kurier - […] un­se­re Spiel­stra­ße noch ganz am An­fang stand, schrieb ich et­was zu den Kurz­ge­schich­ten un­ter den Vi­deo­spie­len: Jump’n’Run-Spiele. „Lim­bo“, „Un­ra­vel“…
  2. Was sind Open World Games? – Bücherstadt Kurier - […] immer begrenzt – schon auf­grund ihrer pro­gram­ma­ti­schen Her­kunft. Im Gegen­satz zu Jump’n’Run-Spielen, die einen aus­schließ­li­chen Weg vor­ge­ben, wir­ken viele…

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