„Die Katze und der General“

von | 19.02.2019 | Belletristik, Buchpranger

Niro Haratischwili hat mit ihrem aktuellen Roman „Die Katze und der General“ ein enormes Buch geschaffen – gehaltvoll und umfangreich. Über 750 Seiten umfasst der Roman, der mit Schuld und Sühne von Kriegsverbrechen des Tschetschenienkriegs aufwartet. Über die Quantität lässt sich nicht streiten, wohl aber über die Qualität, findet Satzhüterin Pia.

„Die Katze und der General“ startet mit einem starken Prolog, wird irgendwann jedoch zu viel und zu lang. Bereits nach 200 Seiten haben wir Leser mehr Informationen zu verarbeiten, als wir eventuell vermögen. Dabei macht der Roman lange Spaß – mir jedenfalls. In jedem Kapitel kommt eine Figur zu Wort, dabei werden die Erzählweisen gewechselt, die Einblicke gehen tief. Vielleicht zu tief? Der Roman ist stark konstruiert, anders könnten die vielen (Neben)Figuren nicht koexistieren. Die Verästelungen verlocken dazu, das Wollknäuel entwirren zu wollen, die vielen Stränge und mögliche Verbindungen zu den anderen Figuren zu erkennen und zu durchschauen. Doch nicht jede Vita einer jeden Nebenfigur braucht diese tiefen Einblicke und so wird der Eindruck von einfühlsamen Charakterentwicklungen ab einem gewissen Punkt zu unnötigen Lebensgeschichten. Man erkennt, dass die Autorin zu oft ihren eigenen Erzählfluss verlässt.

„Wie schmeckte das Glück andernorts? Wie schmeckte das westliche Glück?“ (S. 270)

Die Geschichte dabei auf ein Minimum zu reduzieren, fällt (mir) einigermaßen schwer. Erzählt wird aus sowjetischer wie russischer Geschichte zwischen den 1990er Jahren und 2016. Wir beginnen mit Nura, einer jugendlichen Tschetschenin, in deren Dorf der Krieg einzieht. Wir lernen Orlow kennen – wie er anfangs in die zu großen Fußstapfen seines Kriegshelden-Vaters treten muss und zum Einzug in den Krieg gezwungen wird – und wie er später, zum Oligarchen aufgestiegen, nur noch „der General“ genannt wird. Die Verbindung von Orlow zu Nura und später zum Journalisten Onno und der „Katze“, einer eigenwilligen Schauspielerin, führt schon zu weit in die Geschichte hinein.

Die Sprache ist einerseits wuchtig und metaphernreich, andererseits aber auch reich an Phrasen und holpert an der einen oder anderen Stelle. So „kullern“ die Tränen, Figuren agieren „wie ferngesteuert“, oder dichter Nebel „lullt“ sie ein. Die wechselnden Erzähler und Erzählerstimmen machen die Geschichte durchaus interessant und abwechslungsreich – ab einem gewissen Punkt kippt dies und die Geschichte wirkt überladen. Dabei hilft es nicht, dass die Figuren zwar tiefe Einblicke gewähren und durchaus wirkungsvoll gezeichnet werden, oft jedoch schablonenhaft wirken und ihnen ihre individuelle Vita irgendwie aufgedrückt scheint. Über die gesamte Länge funktioniert dieser Stil leider weniger gut.

Der Shortlist-Kandidat für den Deutschen Buchpreis 2018 ist nicht ganz unverdient auf der Liste gelandet, doch die ganze Distanz hält er wiederum zu Recht nicht durch. „Wie in einem Zauberwürfel drehen sich die Schicksale der Figuren ineinander, um eine verborgene Achse aus Liebe und Schuld. Sie alle sind Teil eines tödlichen Spiels, in dem sie mit der Wucht einer klassischen Tragödie aufeinanderprallen“, heißt es auf der Verlagsseite der Frankfurter Verlagsanstalt. Der Vergleich mit dem Rubik’s Cube, dem berühmt-berüchtigten Zauberwürfel, ist naheliegend und durchaus passend (auch weil er sowohl auf dem Cover abgebildet ist, als auch in der Geschichte am Rande vorkommt): Die Schicksale greifen ineinander, wie die Farben des Zauberwürfels am Ende ein aufgeräumtes Bild ergeben. Doch genauso frustrierend, wie es für die meisten Menschen wohl ist, die den Würfel ohne die Kenntnis der Algorithmen zu lösen versuchen, mag auch der Roman auf viele Leser zu ungeordnet und überladen wirken.

Die in Hamburg lebende Nino Haratischwili stammt selbst aus Georgien. Neben vielen Theaterstücken wurde sie besonders mit ihrem dritten Roman „Das achte Leben (für Brilka)“ (2014, Frankfurter Verlagsanstalt) in Deutschland bekannt. Auch hier hat sie die Geschichte der Versehrten aufgearbeitet.

Die Katze und der General. Niro Haratischwili. Frankfurter Verlagsanstalt. 2018.

 

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