Die Entlarvung

von | 26.06.2020 | #BKUmwelt, Kreativlabor

Isa Moreno saß an einem Tisch vor einem Café an der Plaza Mayor des Ortes Esperanza und schaute sich um. Die paar Leute auf der Plaza saßen im Schatten, die heiße Sonne an diesem frühen Nachmittag wurde gemieden.

Isa fühlte sich fremd, war aber fasziniert von den weißgekalkten Gebäuden und der südlichen Atmosphäre hier in Andalusien. Zwar war sie zum Teil spanischer Abstammung, aber ihr Großvater väterlicherseits stammte aus Galizien am Atlantik im Nordwesten Spaniens. Dort war es ganz anders als hier im sonnigen Süden, dachte Isa, oft regnerisch, an der Küste stürmisch und irgendwie nördlich. Doch auch hier gab es Grün, wie sie in den vergangenen Tagen festgestellt hatte.

Isa war Hamburgerin, Journalistin, Ende 20, mit brünettem Pferdeschwanz, auf Umweltthemen spezialisiert.

Drei Tage war sie hier in Andalusien gewandert, mit Luis, einem drahtigen Umweltaktivisten mit leicht ergrautem Stoppelbart. Längere Zeit hatten sie sich dabei in einen Korkeichenwald aufgehalten. Der Kork diente als Rohmaterial für Weinkorken und Bodenbeläge, seine Nutzung war aber umweltfreundlich. Der größte zusammenhängende Wald Südeuropas war das, davon hatte Isa vorher nicht gewusst. Auch Steineichen gab es, Farne, Blumen und Kräuter. Überhaupt wirkte vieles sehr naturbelassen hier in Südandalusien, selten waren Menschen zu sehen, auch außerhalb der Waldzone, wo es Landwirtschaft gab. Gestern waren sie einem Reiter begegnet, wie aus anderer Zeit: der Hut auf dem Kopf, einen langen hölzernen Stab mit sich führend wie eine Lanze. „Gegen die Stiere, die dort weiden. Sie sind nicht ungefährlich“, hatte Luis erläutert, und in der Tat hatten sie in einiger Entfernung die behörnten Tiere inmitten einer großen umzäunten Freifläche gesehen, auf die der Reiter zugeritten war. „Ich selber mag den Stierkampf auch nicht“, so Luis, „aber die Apologeten dieses uralten, aber grausamen Brauches verweisen darauf, dass die Stiere es, bevor sie in der Arena kämpfen, viel besser haben als die Rinder in der Massentierhaltung des Nordens, bevor sie geschlachtet werden.“

Später waren sie an einen kleinen wilden Fluss gekommen, wo Luis mit einem Schmunzeln angemerkt hatte, dass die Wirtschaftskrise Spaniens auch Positives mit sich brachte. Denn eigentlich hatte hier ein Staudamm entstehen sollen, aber durch die Krise war die Beeinträchtigung der intakten Natur verhindert worden. Das lebensnotwendige Wasser hätte man sonst zur Bewässerung von Golfplätzen verwendet, auf denen die Touristen aus dem Norden mit kleinen weißen Bällen gespielt hätten …

Nun aber wartete Isa bei ihrem Milchkaffee darauf, dass Luis von der Rezeption der kleinen Herberge nebenan den Schlüssel für das Zimmer brachte, das sie hier gebucht hatte. Er hingegen würde bei anderen Aktivisten übernachten.

Der Ort Esperanza war der Endpunkt ihrer Wanderung, wo Isa ihrer Arbeit nachgehen wollte, denn sie war dabei, eine Umweltreportage zu schreiben. Hier in der Nähe war Lithium entdeckt worden, ein wichtiger Rohstoff für Elektrobatterien und Mobiltelefone. Ein internationaler Konzern, die Deerman Mining Company, plante den Abbau. Gut fürs Geschäft, doch was würde mit den Rückständen geschehen? Der Verdacht lag nahe, dass Gift in die Umwelt gelangen würde, was auf das Geld fixierte Einheimische ebenso in Kauf nehmen würden wie die äußerst pragmatischen Unternehmer aus dem Ausland und ihre Angestellten. Es gab ja überall Präzedenzfälle von Umweltzerstörung – die Abläufe waren immer gleich!

Am übernächsten Tisch saß unter einem Sonnenschirm eine vielleicht dreißigjährige blonde Frau, geschäftsmäßig gekleidet, mit flachen Schuhen, schwarzem Rock und weißer Bluse. Vor ihr auf dem Tisch befand sich ein Laptop. Gerade als sie in englischer Sprache einen Kaffee bestellte, tauchte Luis auf und setzte sich zu Isa. Er reichte ihr den Schlüssel und hatte außerdem für sich ein Bier und für die Journalistin ein Wasser dabei. Da überquerte ein bebrillter Mittvierziger mit Halbglatze und Bart die Plaza, nachdem er sein Auto gegenüber geparkt hatte. Trotz der Sonne trug er ein Sakko über Hemd und Krawatte. „Das ist Buknatz, einer der Bosse von Deerman“, erklärte Isa mit leiser Stimme, fast flüsternd. Sie und Luis beobachteten aus den Augenwinkeln, während sie nur auf die Plaza zu schauen schienen, wie Buknatz, Prototyp des Biedermanns, sich zu der Blonden setzte. Auf Englisch fragte er: „Die Präsentation steht, Miss Jones?“ Die Blonde nickte und entnahm ihrer kleinen Handtasche einen gängigen USB-Stick. Sie klappte den Laptop auf, startete ihn und schloss den Stick an. Isa und Luis verfolgten das verstohlen, während sie taten, als ob sie das Geschehen am Tisch der beiden anderen nichts anginge. Zudem konnten sie den Monitor des Laptops nicht sehen. Doch Isa hatte schon genug registriert. Morgen sollte eine Veranstaltung in der Casa de Cultura von Esperanza stattfinden. Dort wollte die Deerman Company für positive Stimmung sorgen. Dem sollte wohl die Präsentation auf dem USB-Stick dienen, die Buknatz eben erwähnt hatte. Sehr interessant, dachte Isa, während sie einen Schluck Wasser trank.

Ein paar Minuten schauten die Jones und Buknatz konzentriert auf den Monitor, bis die Bedienung den Kaffee für die Frau brachte. Da verabschiedete Buknatz sich und machte sich zu seinem Wagen auf, Miss Jones blieb mit dem Laptop und dem Stick zurück. Die trank in Ruhe ihren Kaffee und ging schließlich nach dem Bezahlen hinüber zur Herberge, wo sie offenbar auch abgestiegen war.

Isa und Luis hingeben blieben noch sitzen, dies und jenes beredend. Doch als die Schatten immer länger wurden, suchte die Journalistin ebenfalls die Herberge auf und der Umweltaktivist machte sich auf den Weg zu seinen Freunden. Abends wollten sie zusammen dort essen.

Kurz nach 23 Uhr. Isa strebte wieder ihrer Unterkunft entgegen. Obwohl es ein schöner lauer Abend war, gab es diese Unruhe in ihr, auch weil zwangsläufig in den Gesprächen mit den Umweltaktivisten immer wieder der morgige Tag und die Pressekonferenz eine Rolle gespielt hatten.

Jetzt blickte Isa zu ihrer Herberge hinüber. Sie hatte mitgekriegt, dass die Mitarbeiterin von Buknatz das Zimmer neben ihr bewohnte, während er wohl irgendwo anders untergebracht war. Auf einmal stutzte sie. Gerade verließ Miss Jones die Herberge und ging zu dem Café. Was sie dort wohl wollte? Isa war neugierig. Ah, die blonde Frau setzte sich allein an einen Tisch, mit einem Glas Rotwein, wollte wohl entspannen.

Das brachte Isa zum Handeln. Die ganze Zeit hatte sie das mit dem Stick in ihrem Kopf mit sich herumgetragen. Jetzt eilte sie in die Herberge, auf ihr Zimmer, und zu ihrem Rucksack. Dort hatte sie zwei Sticks, den einen hatte sie eigentlich für die Umweltaktivisten gedacht und die Dateien des anderen darauf kopiert. Schnell nahm sie das Duplikat mit den Deerberg-Umweltsünden und blickte zu ihrem kleinen Balkon. Der befand sich an der Rückseite der Herberge, zur anderen Seite der Plaza gewandt, im Halbdunkel. Erneut schaute Isa sich den Stick an, wieder wanderte ihr Blick zur geöffneten Balkontür. Dann stand sie auf und trat hinaus. Der Nachbarbalkon war vielleicht einen Meter entfernt …

Unten auf der Plaza trank Miss Jones währenddessen ihren Rotwein aus und zahlte.

Isa hingegen hatte sich langsam das Geländer des anderen Balkons hochgezogen. Ihr Atem raste, Schweiß lief ihr übers Gesicht. Sie betrat gerade das Zimmer, als sie den Schlüssel im Schloss hörte. Rasch unters Bett!

Da betrat Miss Jones den Raum, ging aber glücklicherweise ins Bad und schloss die Tür hinter sich. Blitzschnell kam Isa unter dem Bett hervor und ließ die Blicke schweifen. Während im Bad die Dusche anging, zog sie den Stick aus ihrer Jeanstasche …

Am nächsten Morgen, gegen elf Uhr, war die Sala de Cultura proppenvoll. Vorne sprach Buknatz mit Hilfe einer Spanierin, die für Deerman arbeitete, ein paar einleitende Worte. Weiter hinten im Saal versuchte Miss Jones indessen, alle Vorkehrungen zu treffen, um die Präsentation auf eine Leinwand projizieren zu können. Sie war spät dran, denn mehrere Umweltaktivisten waren ihr draußen im Weg gewesen, dann aber von Polizisten abgedrängt worden. So hatte sie keine Zeit gehabt, sich in Ruhe vorzubereiten. Die beiden Frauen mit dem entschlossenen Gesichtsausdruck hinter ihr nahm sie nicht wahr, als sie sich auf den bereitgestellten Bürostuhl setzte. Auch Luis und Isa entgingen ihr, die in der Nähe warteten. Vorne auf der Bühne wurde bereits begonnen, nachdem Buknatz einen genervten Blick in Richtung von Miss Jones geworfen hatte, die nichts hatte testen können. Jetzt führte sie den Stick ein, während die Beleuchtung wie im Kino ausging, was für ein schummeriges Halbdunkel sorgte … Da traten die beiden Frauen in Aktion und zogen die vollkommen überraschte Miss Jones auf dem Bürostuhl nach hinten, während sich eine Hand auf ihren Mund legte, um sie am Schreien zu hindern. Dann betätigte der Zeigefinger einer behandschuhten Hand die Entertaste, um die Präsentation zu starten …

Zur gleichen Zeit schien vorne alles ganz normal zu sein, doch schnell wurde klar, dass es sich bei den gezeigten Inhalten nicht um einen Werbefilm handelte. Stattdessen waren in schneller Folge Bilder von giftigen Rückständen an allen möglichen Standorten zu sehen, begleitet von einem Kommentar, der die Deerman Mining Company förmlich anklagte.

Dann brach die Hölle los: Geschrei, Gerangel, ein wahrer Tumult …

Eine Woche später. Isa Moreno war zurück im Hamburger Schmuddelwetter und telefonierte mit Luis. „Ach, wir leben doch nicht mehr zu Francos Zeiten. Außerdem sind Carla und Ana unerkannt entkommen, nachdem sie die Jones weggezogen haben. Die Anwälte können uns mal“, beruhigte Luis die Journalistin und lachte: „Das war ein Spaß! Schlechte Publicity für Deerman! Komm bald wieder, wir zahlen alles und feiern eine Woche!“ Da musste Isa schmunzeln. Vor ihrem inneren Auge tauchte auf einmal der Wald mit den Korkeichen auf, beschienen von der südlichen Sonne.

Text: Jürgen Rösch-Brassovan

[ads_color_box color_background=“#d6b78d“ color_text=“#444″]Jürgen Rösch-Brassovan
*1966, Studium Geschichte/Politik, verheiratet, ein Sohn
Veröffentlichungen im Internet (u.a.): Bücherstadt Kurier – Literarischer Advent 2016, 2017, 2018, 2019 // 1001buch – Literarischer Advent 2014 (Audioversion einer Kurzgeschichte)
Veröffentlichungen in gedruckter Form: Kurzgeschichten in diversen Anthologien (z.B. „Es geschah zu Halloween“, net-Verlag, erschienen 2019)
E-Mail: roesch-brass@gmx.de[/ads_color_box]

[tds_note]Ein Beitrag zum Special #BKUmwelt. Hier findet ihr alle Beiträge.

Foto: Pixaby // Illustration: Satzhüterin Pia[/tds_note]

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