Die Analyse und wissenschaftliche Aufarbeitung der Bilder in Comics

von | 11.06.2019 | Buchpranger, Sach- und Fachbücher

In der Doktorarbeit „Die Bilder des Comics – Funktionsweisen aus kunst- und bildwissenschaftlicher Perspektive“ von Alexander Press wird umfangreich untersucht, wie die Bilder der Comics funktionieren, aufgebaut sind und rezipiert werden. Geschichtenzeichnerin Celina setzt sich mit der Dissertation auseinander.

Am Anfang der Dissertation steht die sechsseitige Einleitung, die Press in vier Abschnitte gliedert. Zuerst spricht er die bemerkenswerte Erzählweise der Comics und der darin enthaltenden Kombination von Wort, Schrift und angeordneten Bildreihen an. Im zweiten Punkt stellt er dar, wie schwer es ist, Comics genau zu definieren und einzuordnen, zumal diese auch andere Medien beinhalten. Um sich diese Komplexität besser zu erschließen, ist es erforderlich, nicht nur Literatur- und Bildwissenschaften einzubeziehen, sondern auch Medien-, Film- und Kommunikationswissenschaften, Philosophie, Historie, Phänologie und Narratologie. Damit stellt er sich „dem Ziel, die kunst- und bildwissenschaftlichen Dimensionen von Comics für den Diskurs zu erschließen.“ (S. 8)

Im dritten Abschnitt geht der Autor auf das Zusammenspiel von Bild und Schrift ein und was dieses beim Betrachtenden auslöst. Der vierte Aspekt stellt die Grundelemente des Comics vor. Da diese laut Press in zahlreichen Untersuchungen schon angeführt wurden, sind sie hier nur in drei Unterpunkten – Bilder, Induktion und Wörter – kurz erwähnt.

Die Einleitung beschreibt grundlegende Faktoren der Comics und möchte somit das Grundwissen vermitteln, auf dem diese Dissertation aufbaut, um den Lesenden abzuholen. Allerdings scheint es zunächst schwierig zu verstehen, wohin diese Dissertation führen soll. Wie oben erwähnt, wird zwar ein Ziel benannt, jedoch ist es ein weiter Begriff, wenn von „Dimensionen des Comics“ gesprochen wird.

Die Sprechblase

Das erste Kapitel widmet sich der Thematik der Sprechblase und welchem Bildverständnis diese zu Grunde liegt. Hier vergleicht Press Schriftbänder und Spruchbänder des Mittelalters mit Sprechblasen und kristallisiert Unterschiede zwischen diesen heraus. Weiterhin stellt er sich der Frage: „Gibt es ein comicspezifisches Bildverständnis?“

Stile der Kunst- und Bildgeschichte

Im zweiten Kapitel wird untersucht, was ein Comicstil ist und wie dieser die Entstehung seiner eigenen Bedeutsamkeit beeinflusst hat. Zur allgemeinen Stilthematik führt Press zwei Beispiele aus den Bildenden Künsten an und welche Eigenschaften diese Stile haben. Es werden naturdokumentarische Zeichnungen und Bilder Turners in Augenschein genommen und mit Comics verglichen. Press meint hier, dass „es bei den Pflanzenbildern um die Kommunikation von [realweltlicher] Beobachtung“ geht. Währenddessen bieten die Bilder des Comics „die Möglichkeit, andere Welten zu präsentieren.“ (S. 30)

Warum Press diesen offensichtlichen Vergleich anführt, ist nicht ganz klar. Es stellt sich außerdem die Frage, warum der Comic mit anderen Kunstgattungen verglichen wird und es nicht reicht, ihn als eigenständiges Medium ‚Comic‘ zu untersuchen.

Im Folgenden wird auf verschiedene Comicstile eingegangen, indem unter anderem Beispiele zu Bill Wattersons „Calvin & Hobbes“ und Mark Waids „Daredevil“ angeführt werden. Dabei wird auch auf die Wahrnehmung und die Lebenswelt der erzählenden Figur eingegangen und wie diese im Stil zum Ausdruck kommt. Auch Darstellungsarten wie die Stilmontage und der Piktogrammstil werden in diesem Abschnitt behandelt.

Integrationseffekt

Das dritte Kapitel wendet sich dem Integrationseffekt zu, bei dem andere Medien – wie etwa Fotografien – sowie Bilder aus anderen Kunstgattungen immersiv (das heißt: sich ins Darstellungsuniversum einfügend) adaptiert und in den Comic eingebettet werden.

Zu Ersterem wird Arthur Spiegelmann „Maus“ als Beispiel angeführt, bei dem Echtbildfotografien verwendet werden, um die biografische Vergangenheit zu belegen und authentischer zu wirken. Zweiteres unterstreicht Press mit einer Comicseite aus A. Doxiadis „Logicomics“, bei welcher die Ähnlichkeit zu C. D. Friedrich „Wanderer über dem Nebelmeer“ zu sehen ist. Mit Hinzunahme der Fachbegriffe Intertextualität, Intermedialität und Multimodalität stellt Press eine konkretere Definition des Integrationseffektes auf.

Der Diskurs ist eine interessante und auch wichtige Perspektive. Fraglich ist allerdings, ob der Künstler A. Doxiadis C. D. Friedrichs „Wanderer über dem Nebelmeer“ als Inspirationsquelle genutzt und ob er aus diesem Standpunkt heraus seine eigene, weitere Geschichte erzählt hat.

Narration

Im vierten Kapitel werden Theorien zur Narration aufgezeigt. Darunter die Rezeptionstheorie, der Begriff der Leerstelle, das Konzept des narrativen Schemas und das Konzept der kognitiven Narratologie.

Das folgende Kapitel „Vom Bild zur Narration“ greift die Thematik weiter auf. Es werden Albrecht Dürers „Feldhase“ und Jasons anthropomorphe Tierfiguren gegenübergestellt. Dabei wird auf die Theorie der „Flüchtigkeit des ruhenden Augenblicks“ eingegangen und geschaut, wie diese in der Gegenüberstellung zum Ausdruck kommt. Daran schließt sich der Vergleich von werkästhetischer und rezeptionsästhetischer Sicht an, indem unter anderem der Begriff der Leerstellen erweitert und erklärt wird.

Dem folgend wird auf den Philosophen Hans Jonas und seine Theorie der „Funktionsweisen des menschlichen Bildermachens und Bilderverstehens“ und das „Konzept der Ähnlichkeit“ eingegangen. Um diese Theorie in Bezug zu Comics zu setzten, führt Press McClouds „Comics richtig lesen“ an und untermauert dessen Begriff der Induktion. Bei der Induktion werden einzelne, aufeinanderfolgende Sequenzen vom menschlichen Gehirn zu einem Ganzen zusammengefügt.

Comicgeschichte

Im sechsten Kapitel „Noch einmal: Die Geschichte des Comics“ geht Press auf den Autor und Journalisten Andreas C. Knigge ein, der sich intensiv mit der Thematik Comic auseinandergesetzt hat. Hinzu kommt seine Mit-Kuration an der Ausstellung „Comic, Mangas und Graphic Novels“, die 2017 in Bonn zu sehen war. Press bestärkt hier Knigge, welcher den Zeitungen eine fundamentale Rolle in der Entstehungsgeschichte des Comics zuschreibt.

Es wird aber auch auf andere Annahmen eingegangen, die sich als Entstehungsmythen entpuppt haben. Press greift die schon bekannten, vermeintlichen Vorläufer, wie es etwa die Höhlen- oder Vasenmalerei gewesen sein sollen, auf und widerlegt ausführlich diese Thesen.

Hier stellt sich die Frage: Wenn bereits bekannt ist, dass zum Beispiel Vasenmalerei kein Vorläufer des Comics ist, warum geht Press dann noch einmal darauf ein? Vielleicht um diese Erkenntnis zu bestärken und die Widersprüchlichkeiten konkreter aufzuzeigen?

Zeitungsstrips

Beim siebten Kapitel knüpft Press an das vorherige an. Er stellt dar, wie es zu diesen vermeintlichen wissenschaftlichen Annahmen kommen konnte. So heißt es auf Seite 157 etwa: „Da die formellen Eigenschaften, die sich der Comic mit anderen Bildformen teilt, im Laufe der reichhaltigen Kunst- und Bildgeschichte immer wieder auftauchen und somit einen trügerischen Anschein von Vertrautheit erwecken, laufen die Comicforscher_innen hier Gefahr, alle fremdartigen Elemente im blinden Fleck ihrer eigenen Forschungsperspektive zu sammeln.“ In diesem Zitat zeigt sich, wie kritisch Press gegenüber vorherigen irreführenden Forschungsergebnissen Stellung bezieht.

Im Folgenden führt er die belegbaren und wesentlichen Faktoren an, die zu der Entstehung der ersten Comics beitrugen. Darunter fallen unter anderen die Auswanderung nach Amerika und die Entstehung der Massenpresse sowie der ersten Satirezeitschriften.

Fazit

Das letzte Kapitel ist eine bemerkenswert knappe Zusammenfassung der wesentlichen Punkte des Prozesses, wie das Bildverständnis im Comic entsteht.

Alexander Press‘ Dissertation „Die Bilder des Comics“ greift vielerlei Theorien der Kunst- und Bildgeschichte auf und wendet sie auf den Comic an. Dabei werden verschiedene Kunstgattungen wie Malerei und Comic verglichen, was interessante Aspekte aufzeigt. Auch das Nochmal-von-vorne-Analysieren der Comichistorie ist reizvoll.

Interessant wäre allerdings weiterhin, wie die Funktionsweisen des Comics untereinander im Bezug stehen. Wie also Bildverständnisse oder Stile etc. im Vergleich von Comic zu Comic aussehen und welche Einflüsse untereinander bestehen. Zudem wäre es aufschlussreich, wie der Comic in Gegenüberstellung zu „verwandteren“ Künsten, also etwa der Illustration oder dem Film, zu sehen ist.

Die Doktorarbeit ist akademisch geschrieben und benötigt Vorwissen im Lesen von Fachtexten und Fachwörterkenntnis.

[tds_note]Alexander Press lehrt derzeit an der Universität Bremen im Fachbereich Kunstwissenschaften. Weitere Informationen gibt es hier.[/tds_note]

Die Bilder des Comics – Funktionsweisen aus kunst- und bildwissenschaftlicher Perspektive. Alexander Press. Transcript. 2018.

 

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