Konsum gegen die innere Leere – für Kinder?

von | 04.11.2021 | Bilderbücher, Buchpranger

Die Autorin Rachel Bright und der Illustrator Jim Field bilden seit einiger Zeit ein erfolgreiches Duo. Nach Büchern wie „Die Streithörnchen“ oder „Der Löwe in dir“ kam diesen Sommer ein weiterer tierischer Titel in die Buchläden: „Der Wal, der immer mehr wollte“. Satzhüterin Pia kann das wunderschöne Bilderbuch nicht unbedingt für Kleinkinder empfehlen.

Wir tauchen ab, in eine dunkle, blaugrüne, von tanzenden Sonnenstrahlen durchnetzte Unterwasserwelt, und treffen auf einen sanften Riesen: den Wal Wendelin. So weit, so normal. Doch Wendelin schleppt sehr viele Dinge mit sich herum, scheint einen ausgeprägten Sammeldrang zu haben. Sein einsames und rastloses Umherschwimmen und Anhäufen eines nutzlosen Sammelsuriums sind in der Meereswelt scheinbar wohlbekannt. Als er nämlich zu einem in allen Farben des Regenbogens schimmernden Riff kommt, bemerkt ihn die scharfsinnige Krabbe Krissy und warnt die Fische: „Schaut hin und gebt acht! Der Wal, der immer mehr will, die Runde hier macht!“

Die Riff-Bewohner:innen jedoch bemerken in ihrem Zank um Platz auf engem Raum weder den Wal noch die Warnung und die Krabbe allein stellt sich dem bedrohlich wirkenden Wal entgegen. Sie erkennt das Unglück Wendelins und schafft es, ihn mit einem eindringlichen Rat zum Nachdenken zu bewegen. Diese schnelle Therapierunde genügt, um Wendelin seine wahren Wünsche erkennen zu lassen. Das Lied, das ihm hilft, reicht auch aus, um alle Lebewesen des Riffs das Verständnis und die Liebe wieder spüren zu lassen, was für das harmonische Zusammenleben auf so engem Raum wichtig ist.

Kindgerecht?

Das Thema scheint nicht vollends kindgerecht geraten zu sein. Die innere Leere durch das Sammeln nutzloser Konsumgüter füllen zu wollen, ist doch eher ein Thema für den einen oder anderen Erwachsenen und so wirkt die Aufarbeitung arg konstruiert. Eventuell durch die anderen Titel der Reihe – vielleicht sollte „Der Wal, der immer mehr wollte“ zwingend hierzu passen? Jedenfalls scheint es kein Buch zu sein, mit dem man gut über das Anhäufen von Spielsachen bei (Klein)Kindern sprechen kann. Der Verlag empfiehlt das Buch ab 3 Jahren, was ich bei den Themen für unrealistisch halte. Es scheint weiterhin fraglich, ob Kleinkinder über dieses Buch die Freude am Geben entwickeln können oder verstehen, bei zu engem Raum Verständnis und Liebe für die Mitbewohner:innen zu entwickeln.

Holterdiepolter, alle glücklich

Am Ende wirkt auch die schnelle Auflösung und platte „Moral von der Geschicht‘“ stark konstruiert – deswegen ist sie sicherlich nicht weniger wahr, aber zumindest könnte das galanter gestaltet sein, als so holterdiepolter über eine schnelle Erkenntnis und ein Lied aufgelöst zu werden. Und, um zu einem letzten Kritikpunkt zu kommen: Wo ist der Zusammenhang, die Überleitung beider Themen? Auf der einen Seite haben wir einen einsamen, rastlosen Wal, der sich erfüllt und glücklich fühlen möchte, dies über das Ansammeln von nutzlosem Kram aber nicht erreicht. Auf der anderen Seite haben wir ein Riff mit vielen Bewohner:innen, die sich des begrenztem Raumes wegen in den Schuppen (oder Zangen und Tentakeln) liegen. Der Zusammenhang dürfte das Lied sein, das Wendelin einst von seiner Mutter lernte, das er der Einsamkeit wegen selbst aber nicht weitergeben konnte. Indem er das Lied den Riff-Fischen schenkt, kann er Erfüllung und Glück finden und die Riff-Bewohner:innen wieder Verständnis und Liebe empfinden. Auch hier wieder eine Verbindung, die künstlich wirkt, eher weit hergeholt als stimmig.

Farben, Lichter, Perspektiven: fantastisch illustriert

Die wunderschönen Bilder einer mal dunklen, mal bunten Unterwasserwelt sind großartig. Die überwiegend großflächigen Illustrationen wirken, im Gegensatz zu dem vollbepackten Wal Wendelin, nicht überladen und entfalten eine starke Bildkraft. Die Farbwirkung ist sehr gelungen mit den schillernden Blau- und Grüntönen und den dunklen Grau- und Schwarztönen, durch die die Sonnenstrahlen tanzen. Kontrastreich leuchten die herrlichen Farben des Regenbogens hervor, wenn das Riff dargestellt wird.

Besonders beeindruckend sind auch die unterschiedlichen Perspektiven: Den Wal als Bedrohung wahrzunehmen, funktioniert sehr gut, wenn er als riesiger dunkler Schatten über das Riff gleitet, das von der Sonne abgeschirmt nun eine schwarze Silhouette bildet. Von der Seite, von hinten, mit ihm hinabschauend, zu ihm hochblickend oder im close-up sein tränenerfülltes Auge betrachtend – es ist stets der Wal, der einen dynamischen Mittelpunkt bildet. Über Lichtspiele bekommen die Bilder im Buch eine besondere Bewegung und die gesamte Darstellung eine stimmungsvolle Atmosphäre.

Emotionen werden über die Gesichter transportiert und das funktioniert auch sehr kindgerecht. Das Unglück und die Verzweiflung des einsamen Wals sind ihm anzusehen, der Unmut der Riff-Bewohner:innen diesen deutlich ins Gesicht geschrieben.

Und mein Fazit?

Das Buch aufgrund meiner Kritikpunkte als „misslungen“ abzustempeln, würde zu kurz greifen. Die Moral ist wichtig und richtig, die Umsetzung wirkt lediglich konstruiert und nicht zwingend stimmig, was bei Kinderbüchern aber durchaus häufiger vorkommt. Wichtiger scheint mir zu sein, dass die Themen nicht unbedingt kleinkindgerecht sind, aber auch hier kommt es wohl auf die Kinder an. Dafür sind die Illustrationen großartig und bezaubernd. Auch hier eher etwas für ältere Kinder als die Verlagsempfehlung, denn manchmal wirken der dunkle Schatten und der böse Blick des unglücklichen Wals durchaus bedrohlich und sind somit möglicherweise nicht für jedes Kleinkind etwas.

Das Buch stellt damit das wohl schwächste des Duos Bright und Field dar, ist aber immer noch ein besseres Bilderbuch für Kinder als so manche anderen Titel.

Der Wal, der immer mehr wollte. Rachel Bright. Illustrationen: Jim Field. Magellan. Übersetzung: Pia Jüngert. 2021. BK-Altersempfehlung: Ab 5 Jahren.

Pia Zarsteck

Pia Zarsteck

Pias Liebe zur Literatur hat sie vor Jahren an die Uni Bremen geführt, wo sie bis zum Masterabschluss Germanistik studierte. Heute ist sie Vorsitzende im Bücherstadt e.V., Mama einer Vierjährigen und beruflich ganz woanders unterwegs - aber immer noch vernarrt in Bücher und Spiele. Ein Leben ohne die Bücherstadt kann sie sich nicht vorstellen.

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