Der Preacher predigt wieder – und sein Wille geschehe

von | 05.07.2016 | Filmtheater, Serien

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1995 schickt Garth Ennis in seiner Comicreihe „Preacher“ den Prediger Jesse Custer auf eine etwas andere Pilgerreise. Zusammen mit seiner schießwütigen Ex-Freundin Tulip O’Hare und dem irischen Vampir Proinsias Cassidy, macht dieser sich auf die Suche nach Gott. Jedoch nicht, um den Sinn des Lebens zu ergründen, sondern um diesem gehörig in den Arsch zu treten. Was es mit dieser komplett seltsamen Geschichte auf sich hat und ob die gerade angelaufene, gleichnamige Serie mit den Comics mithalten kann, werde ich euch hier verraten. – Von Geschichtenerzähler Adrian

Was tust du, wenn sich ein allmächtiges Wesen in deinem Körper eingenistet hat und dir die Macht verleiht, mit Worten anderen deinen Willen aufzuzwingen? Genau vor dieser Frage steht der desillusionierte, texanische Kleinstadtprediger Jesse Custer aus Annville.
Nachdem das Geschöpf Genesis, das Ergebnis einer verbotenen Verbindung zwischen Engel und Dämon aus dem Himmel entkommen und in ihn gefahren ist, verwandelte es die komplette Gemeinde von Jesse Custer in einen Haufen aus Trümmern und Gebeinen. In eben diesem Knochenhaufen findet ihn seine Ex-Freundin Tulip O’Hare, welche noch einige Stunden zuvor einen Auftragsmord vermasselt hat und in das Auto des Vampirs Cassidy floh. Zu dritt machen sie sich auf den Weg, um das Geheimnis um Genesis zu ergründen.

Der Ausbruch von Genesis bleibt jedoch nicht lange ohne Folgen, denn schnell wird dem Himmel klar, was für eine Macht sich in Menschenhand befindet. Die Adephim, ein Teil der himmlischen Heerscharen, die eigentlich damit betraut waren, auf Genesis aufzupassen, werden von den Seraphim gezwungen zu handeln. Mit leichten Zweifeln erwecken sie den Heiligen der Killer, eine unaufhaltsame Killermaschine, gekleidet in Staubmantel und Cowboyhut. Dieser jagt seinem Befreier sogleich eine Kugel in den Kopf, was das himmlische Wesen nicht davon abhält, ihm noch den Auftrag zu geben, Jesse Custer zur Strecke zu bringen und Genesis zurück in den Himmel zu bringen.
Als es jedoch zum ersten Aufeinandertreffen zwischen dem „Heiligen der Killer“ und der irdischen Gewalt in Form des Sheriff-Departments unter der Führung des rassistischen Sheriff Root kommt, endet dies schnell in einem Massaker, welches nur der Sheriff selbst überlebt.

Den Adephim wird schnell klar, was für eine Naturgewalt sie dort freigelassen haben, und sie treten an Jesse Custer heran. Mit dessen Macht wäre der Prediger der einzige, der die Möglichkeit haben könnte, das alles hinzubiegen. Sie weihen ihn in das größte Geheimnis des Himmels ein: „Gott, unser Herr, hat’s geschmissen.“ Denn kurz nach der Zeugung von Genesis verließ Gott den Himmel und überließ seine Schöpfung sich selbst.
Mit dem Ziel, Gott wiederzufinden und ihn für sein Vergehen zur Rechenschaft zu ziehen, machen sich Jesse, Tulip und Cassidy auf zu einem Road-Trip quer durch die USA.
Jedoch müssen sie bald feststellen, dass keiner vor seiner Vergangenheit davonlaufen kann. Auf der Reise warten nicht nur alte Freunde der drei, sondern auch alte Feinde. Und als hätten sich davon nicht genug angesammelt, wird auch „Der Gral“ eine uralte und mächtige Geheimorganisation auf Jesse Custer und seine Fähigkeiten aufmerksam. Allen voran der machthungrige und skrupellose „Herr Star“.

Preacher3Wer kommt denn auf so eine Idee?

Nachdem Garth Ennis und Steve Dillon ihre Arbeit an „John Constantine: Hellblazer“ 1994 beendet hatte, war dies jedoch nicht das Ende der Zusammenarbeit zweier grandioser Comic-Künstler. So erschienen von 1995 bis ins Jahr 2000 insgesamt 66 Ausgaben des Comics um den namensgebenden Prediger. Hinzu kamen noch einige One-Shots und Kurzgeschichten, welche einen Blick in die Vergangenheit oder auf kleinere Abenteuer einzelner Charaktere werfen. In Deutschland ist „Preacher“ in neun Hard-Cover-Bänden zu erwerben.

Wie schon in „Hellblazer“ oder „Judge Dredd“ bleib der Ire Garth Ennis seinem Stil treu: Sehr schwarzer, beißender Humor, eine ausgiebige Gewaltdarstellung und recht harte Sprache. „Preacher“ zeichnet sich außerdem durch seine stark ausgearbeiteten Charaktere sowie einer anfangs zwar leicht konfusen, doch tiefgründigen und mitreißenden Geschichte aus. Was zuerst scheint wie eine Gewaltorgie aus Beleidigungen, Schlägereien und Schießereien entwickelt sich Stück für Stück zu einer Geschichte, welche die Figuren immer wieder vor die Frage stellt, was sie eigentlich antreibt; warum tun sie das alles eigentlich, oder für wen?

Figuren mit Charakter

Eine der prägnantesten Figuren aus den Preacher-Comics tritt erst nur als Nebencharakter auf und trägt den eher unglücklichen Namen „Arseface“ (zu Deutsch „Arschgesicht“). Aufgewachsen als Sohn von Sheriff Root, eiferte er seinem großen Idol Kurt Cubain nach und versucht sich ebenfalls mit einer Waffe den Kopf wegzuschießen. Der Versuch scheitert und lässt „Arseface“ entstellt zurück. Nach den Ereignissen im ersten Teil der Comicreihe begibt er sich auf einen Rachefeldzug, wird schließlich Musiker und zum Idol einer ganzen Generation, gerät an einen Tiefpunkt, doch findet schließlich sein Glück.

Ennis schafft es, dass jeder Charakter, mit mehr als einer Sprechblase eine Bedeutung für die Leser bekommt. Fast schon drängt sich die Frage „Warum er?“ auf, wenn der Unteroffizier stirbt, der vor wenigen Seiten seinen ersten Auftritt hatte. Figuren, mit denen man zuerst mitgefiebert hat, lernt man zu hassen und schließlich zu verstehen. Kein Bösewicht ist einfach nur böse (abgesehen von „Herr Starr“, denn der ist ein richtiger Dreckssack, aber ein verdammt guter) und keiner der „Guten“ ist ein Heiliger, sie sind sogar sehr weit davon entfernt.
In Steve Dillion scheint Ennis dabei einen sehr guten Verbündeten gefunden zu haben, denn zeichnerisch konzentriert sich Dillon sehr auf die Figuren. Wer malerische und hochdetaillierte Landschaften erwartet, wird bei „Preacher“ nicht wirklich fündig werden. Doch gerade das ist es, was „Preacher“ so lesenswert macht. Es bedarf keiner großen Panoramen, um die Geschichte zu erzählen, denn diese lebt durch ihre Charaktere, ihre Mimik, ihre Gestik und die Dialoge.

Preacher

Jetzt auch auf der kleinen Leinwand zu genießen

Seit dem 25. Mai 2016 wird auf dem amerikanischen Sender AMC, welcher schon mit „The Walking Dead“ einen großen Serienerfolg zu verzeichnen hat, eine gleichnamige Serie ausgestrahlt. In Deutschland kann sie seit dem 30. Mai auch auf Amazon-Prime mit deutscher Sprachausgabe angeschaut werden.
Die Serie folgt der Grundstory der Comics: Jesse Custer, gespielt von Dominic Cooper (Marvel’s Agent Carter, Abraham Lincoln: Vampirjäger), wird von Genesis auserwählt und begibt sich auf die Suche nach Gott. Jedoch scheint die Serie einen längeren Weg gehen zu wollen als die Comics, vermutlich, um der Suche nach Gott mehr als eine Staffel zu widmen.

Auch hier wird der Prediger von Cassidy (Joseph Gilgun) und Tulip O’Hare begleitet, die von der äthiopisch-irischen Schauspielerin Ruth Negga gespielt wird. Dies sorgte bei Bekanntgabe für einige Verwunderung unter den Fans. Warum sollte eine eigentlich weiße Figur nun von einer dunkelhäutigen Frau gespielt werden? Auch ich stelle mir diese Frage, denn – bisher zumindest – sehe ich dafür keinen wirklichen Anlass; jedoch ist es auch kein Grund, sich darüber aufzuregen, da es der Rolle keinerlei Abbruch tut. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass ihre Besetzung in einer Hauptrolle den Rassismus, welcher in den Comics immer wieder thematisiert wird, noch mal einen prägnanteren Ausdruck verleiht. Gerade, da die USA heutzutage immer noch mit schweren Rassismus-Vorwürfen zu kämpfen hat.
Eher der erste Auftritt könnte bei Kennern der Figur für Stirnrunzeln sorgen. Verpatzt Tulip ihr Attentat im Comic aufgrund von Gewissensbissen, tötet sie in der Serie gleich in ihrer ersten Szene drei Männer in einem Auto und holt dann einen Hubschrauber mit einer aus Blechdosen und schwarzgebranntem Alkohol selbstgebauten Bazooka vom Himmel.

Auf den ersten Blick scheint die Serie einen etwas anderen Weg zu gehen als die Comics. Auch dadurch, dass die Macher die Serienhandlung ins 21. Jahrhundert versetzt haben, wo Tablets und Smartphones keine Seltenheit sind. Nichts davon würde ich jedoch als schlecht ansehen, denn ich fühlte mich allein von der Pilotfolge grandios unterhalten. Man könnte es eher als eine neue Interpretation der Grundgeschichte sehen, welche auf jeden Fall einen Blick wert ist.
Ich setze große Hoffnung in diese Serie, nicht zuletzt, da Garth Ennis persönlich an der Geschichte mitarbeitet. Zudem freut es mich, jemanden wie Seth Rogen in der Produzentenriege zu haben, der schon mit dem Film „The Interview“ zeigte, dass er nicht vor Kontroversen zurückschreckt.

Als Anmerkung sei noch gesagt: Wer die Serie im O-Ton Preacher4schauen will, sollte recht gute Englischkenntnisse haben, denn weder das texanischeSüdstaatenenglisch, noch das irische Englisch sind wirklich einsteigerfreundlich. Allen anderen können auch mit der deutschen Synchron-Fassung ihren Spaß haben.

Ist das etwas für mich?

Welches Genre „Preacher“ jetzt genau ist, ist schwer zu sagen, denn es beinhaltet Elemente aus vielen verschiedenen Stilen. Wie bei einem Road-Trip muss sich die Hauptfigur (hier: die Hauptfiguren) schließlich dem Ergebnis dessen stellen, was sie mit dem Antritt ihrer Reise immer weiter heraufbeschworen hat. Es ist eine Rachegeschichte, aber auch eine spirituelle Suche. Auch für Western-Fans hat der Comic einige Highlights zu bieten, unter anderem gegen Ende ein Duell im Morgengrauen.
Jedoch wirkt die Geschichte dadurch nicht überladen, ganz im Gegenteil, sie wird durch jedes Element weiter bereichert. Garth Ennis meistert diesen Genre-Mix mit Bravour und schöpft das ganze Potential aus, welches ihm der Vertigo-Verlag, der kleine aber erwachsenere Bruder von DC, ermöglicht.

Es ist verständlich, dass „Preacher“ nicht jedermanns Geschmack trifft. Allein die sehr brutale Bildsprache kann anfangs abschreckend wirken. Wer es schafft, die ersten Zweifel zu überwinden oder sich von so etwas gar nicht erst abhalten lässt, bekommt eine Geschichte voller ausgearbeiteter und einzigartiger Charaktere, sowie eine gut erzählte und packende Handlung. „Preacher“ ist etwa mit Schokolade zu vergleichen: Zwar ist es pure Sünde, doch wie kann Sündigen böse sein, wenn es so gut ist?

Preacher 1-9. Autor: Garth Ennis. Zeichner: Steve Dillon (Band 4: StevePugh, Carlos Esquerra, Richard Case; Band 6: Steve Dillon, Peter Snejbjerg). Übersetzung: Fred Fliege & The wild bunch (Band 6: Claudia Fliege). Erscheinungsjahr: 1995 – 2000 bei Vertigo.
Preacher (Serie). Idee: Seth Rogen, Evan Goldberg, Sam Catlin. Darsteller: Dominic Cooper, Ruth Negga, Joseph Gilgun. Sender: AMC (in Deutschland: Amazon-Prime). Erstausstrahlung: Mai 2016.

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