Der Osterhase

von | 13.04.2020 | Kreativlabor

„Mama!“ Felix‘ Ruf ist laut, doch seine Stimme bricht und der Vierzehnjährige fühlt sich nicht wenig von der Pubertät verarscht dafür, dass er nicht über Nacht zu einem Adonis wird. Er hat schon das Gefühl, dass er über Nacht in die Höhe geschossen ist wie der Schnittlauch im Garten seines Großvaters, den er gerade im Blick hat. Sein Körper verweigert es allerdings, ohne weitere Anstrengungen Muskelmasse anzusetzen. Adonis? Pah! Er fühlt sich eher wie ein Lauch.

Seine Mutter werkelt in der Küche, ihr fällt ein Gegenstand scheppernd zu Boden, aber sie reagiert nicht auf seinen Ruf. Sie hat ihn wohl nicht gehört. Er schaut auf die Kisten rund um sich, dann auf seinen Fund. Er holt erneut Luft. „Mamaaa“, ruft Felix nochmal. Es klingt absurd schrill in seinen Ohren. Er hört ein weiteres Scheppern und ein Geräusch, das seine Mutter immer macht, wenn sie flucht, aber sich im letzten Moment auf die Zunge beißt.

Dann taucht ihr blonder Kopf mit den kurzen, wuscheligen Haaren, die Felix auch hat, in der Tür auf. „Was ist?“

Felix beobachtet, wie sie den Blick durch den Raum schweifen lässt. „Schau mal, was ich gefunden habe“, er hält grinsend das Uralt-Nokia in die Höhe, das er in der Schublade der Wohnwand neben dem Fernseher gefunden hat, der mindestens doppelt so alt ist wie Felix. In seinem Bauch sitzt ein aufgeregtes Kribbeln. Er versucht, das Grinsen in seinen Mundwinkeln einzufangen, aber der Fund kommt einfach zu gelegen. Seine Mutter tritt zu ihm, die Arme verschränkt. „Und was ist damit?“

„Kann ich es haben?“, Felix verrenkt den Kopf, um zu seiner Mutter aufzusehen.

Sie zieht eine Augenbraue in die Höhe. „Wozu?“, erwidert sie. Felix weiß, dass gerade nicht der beste Moment ist, um diese Diskussion anzufangen. Egal.

„Weil… weil es mich an Opa erinnert?“, antwortet er schwach. „Oder eher weil du ein Handy willst?“, seine Mutter durchschaut die Lüge natürlich sofort. Sie nimmt ihm das Handy aus der Hand und eine Grünlilie vom Tisch, dann noch eine. Sie drückt ihm die Pflanzen in die Hand. „Nimm lieber das Parteigras mit runter zum Auto, und noch zwei Müllsäcke“, erklärt sie. „Wir müssen so langsam mal mit dem Ausräumen fertig werden.“

Felix öffnet den Mund und schließt ihn wieder. Sie hat ja recht. Er tut grummelnd, wie ihm geheißen, stellt die Grünlilie neben den Hasenstall seines Großvaters, wo der Mümmelmann, den sein Großvater kreativ „Oster“ genannt hat, hoppelt.

Seine Mutter ist gleich hinter ihm, Säcke für die Kleidersammlung in der Hand. Sie blickt zu Felix, dann zum Hasen. „Verfütterst du gerade die Grünlilie an den Osterhasen?“

Text: Wortklauberin Erika
Foto: pixabay.com

 

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