„Der Herr der Ringe“ und ich

von | 09.09.2017 | Kreativlabor

Stadtbesucher Alexander erinnert sich an seine erste Leseerfahrung mit „Der Herr der Ringe“ des englischen Autors James Ronald Reuel Tolkien. Das Werk erschien 1954/55 zunächst in England und wurde Anfang dieses Jahrhunderts in drei Teilen von Peter Jackson verfilmt. Dieses Jahr wird Tolkiens 125. Geburtstag gefeiert.

Bedeutung des Buches für mich

Ich glaube nicht, dass es heute immer noch so ist, aber es gab einmal eine Zeit, in der ich als meine beiden bedeutendsten Leseerlebnisse die folgenden Bücher nannte: „Der Herr der Ringe“ von J. R. R. Tolkien und „Der Zauberberg“ von Thomas Mann. Das erinnert mich ein bisschen daran, dass ich einmal „Spiel mir das Lied vom Tod“ von Sergio Leone und „Excalibur“ von John Boorman als meine beiden Lieblingsfilme angegeben habe.

In beiden Fällen haben die Bücher beziehungsweise Filme nicht viel miteinander gemein und tatsächlich sind die Gründe für die Bedeutung, die sie für mich hatten, sehr unterschiedlich. War es beim „Zauberberg“ die literarische und philosophische Qualität des Werkes, die tatsächlich zum Teil auch mein Weltbild bis heute geprägt hat – also ein eher intellektueller Grund – so war es beim „Herr der Ringe“ die emotionale Berührung, ausgelöst durch die sehr detaillierte Schilderung der Fantasiewelt Mittelerdes.

Rückblickend dürfte wohl auch die damalige Lesesituation ihren Teil dazu beigetragen haben. Ich habe ziemlich lange dafür gebraucht, die drei Bände des „Herrn der Ringe“ durchzulesen und einen ziemlichen Fortschritt machte ich in einer Zeit, in der ich krankheitsbedingt eine Weile nicht in die Schule gehen konnte. Ich hatte eine starke Erkältung und war zwar körperlich schlapp, geistig aber kaum eingeschränkt und hatte auch keine Schmerzen. Ich glaube, dass dies eine Kombination ist, in der man sehr empfänglich für die Aufnahme literarischer Texte ist, da man sich einerseits geistig voll auf den Text konzentrieren kann, andererseits durch die gesundheitliche Einschränkung nicht durch die Alternative einer körperlichen Beschäftigung abgelenkt ist.

Ich las dabei gerade die wunderschöne Beschreibung von Lórien, die auch auf dessen Geschichte Bezug nimmt (ziemlich am Ende der „Gefährten“, des ersten Bands). Diese Periode des Lesens während der Krankheit erstreckte sich bis auf den Beginn des zweiten Bands, „Die zwei Türme“, wo nach dem Zerbrechen der Gemeinschaft Frodo und Sam versuchen, den Ring im Schicksalsberg zu vernichten, Merry und Pippin von Orks entführt worden sind und Aragorn, Legolas und Gimli wiederum die Entführer jagen. Hier ist also auch die Handlung sehr dazu angetan, viel Empathie zu entwickeln.

Wie ich zu dem Buch kam

Ich kam mit dem „Herrn der Ringe“ zum ersten Mal in Berührung, als meine Eltern nach einem „Urlaub“ (mein Vater, der Rechtsanwalt war, hatte einen Lehrgang an einem auch touristisch interessanten Ort und meine Mutter begleitete ihn, um richtigen Urlaub zu machen) wieder zu Hause waren. Dort hatten sie einen Mann kennengelernt, der ihnen von diesen Büchern vorgeschwärmt hatte. Daraufhin brachten sie die Trilogie aus dem Urlaub mit. Das muss Mitte der Siebziger gewesen sein.

Meine Mutter begann zu lesen, hörte aber bald auf, weil sie mit den vielen Namen durcheinander kam. Sie zeigte in der Folge auch keinerlei Interesse mehr an diesen Büchern. Stattdessen begann mein älterer Bruder damit, sie zu lesen. Als ich kurz danach die Bücher zur Hand nahm, hatte mein Bruder sich bereits die Vorgeschichte „Der kleine Hobbit“ gekauft.

Dass dies die Vorgeschichte war, wusste ich zunächst nicht. Erst als ich bereits anfangen wollte, den Herrn der Ringe zu lesen, bekam ich mit, dass er auf dem kleinen Hobbit beruhte und begann meine Reise nach Mittelerde mit diesem vergleichsweise dünnen Buch. Das war bereits ein sehr starkes Leseerlebnis für mich, allein schon die erste Szene, als ein Zwerg nach dem anderen zu Bilbo in seine Höhle kommt, fand ich sehr beeindruckend und sie erinnerte mich an nichts, was ich bisher gelesen hatte.

Der Herr der Ringe

Dann kam aber der „Herr der Ringe“. Am faszinierendsten finde ich die zugrundeliegende Fantasiewelt, die sich Tolkien ausgedacht hat. Wobei ich erst viel später durch die Lektüre des „Silmarillion“ erfuhr, wie er diese Welt von der Gründung durch die „Götter“ beziehungsweise Eru Ilúvatar und die Ainur über die verschiedenen Zeitalter, die auch eine physische Veränderung der Welt mit sich brachten, bis zur fiktiven „Gegenwart“ Mittelerdes entworfen hat. Wie er sich unzählige Sprachen ausdachte, die wiederum von ihrer „Sprachphilosophie“ her zu denjenigen passen sollen, die sie verwenden. Noch später, nach dem Lesen einer Biographie über Tolkien, habe ich erfahren, dass er sich erst diese Sprachen ausgedacht und dann eine Welt erfunden hat, die zu diesen Sprachen passte. Er war ja auch eigentlich Sprachwissenschaftler von Beruf.

Alles das muss man nicht wissen, um den „Herrn der Ringe“ mit Vergnügen lesen zu können. Diese Hintergründe machen aber klar, auf welch hohem Niveau diese Bücher im Vergleich zur Fantasy-Durchschnittsliteratur anzusiedeln sind. Auch wenn man die genaue historische Einbettung der Handlung im „Herrn der Ringe“ in die gesamte Entwicklung Mittelerdes nicht kennt, spürt man sie meiner Meinung nach durch die Konsistenz aller erwähnten historischen Begebenheiten und die daraus entstehende mythische Kraft. Insofern ist der „Herr der Ringe“ mythischen Romanen, die auf der Erde spielen wie „Die Nebel von Avalon“ vielleicht sogar verwandter als einschlägiger Fantasy-Literatur.

Als Fazit würde ich sagen, dass der „Herr der Ringe“ sowohl durch die Kraft seiner Sprache als auch durch den Hintergrund einer detailgetreu ausgearbeiteten fantastischen, in sich aber konsistenten Welt und durch die Vielzahl der darin vorkommenden Lebewesen ein sehr unterhaltsames Lesevergnügen verspricht. Man muss sich aber auch darauf einlassen wollen und die beiliegenden Landkarten immer wieder zur Ortsbestimmung heranziehen.

Man sollte meiner Meinung nach auch die Lektüre mit „Der kleine Hobbit“ beginnen. Schließlich wird hier der Ring gefunden, mit dem alles seinen Anfang nimmt. Sicherlich tragen auch die Verfilmungen des „Herrn der Ringe“ und des „kleinen Hobbits“ durch Peter Jackson dazu bei, die Empfindungen während des Lesens wieder hervorzurufen oder, wie bei mir, zum Wiederlesen anzuregen, auch wenn es einige Unterschiede zwischen der Buch- und der Filmhandlung gibt. Diese sind allerdings nicht so groß, wie es bei Literaturverfilmungen sonst üblich ist.

Illustration: Seitenkünstler Aaron

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1 Kommentar

  1. Avatar

    Ein schöner Text, der irgendwie Lust macht, den Herrn der Ringe wieder zur Hand zu nehmen! Ich habe das Buch auch gelesen. „Das Buch“, weil ich eine Ausgabe mit allen drei Teilen zusammen besitze. Ein irrer Schinken, mit dünnen Seiten, wie man sie sonst aus der Bibel kennt. Vielleicht sind die drei Teile für sich ein bisschen motivierender, denn so viele Seiten auf einmal machen müde Arme und den kaum sichtbaren Fortschritt über lange Zeiten, hilft auch kaum. Ich habe es aber nichts desto trotz sehr gerne gelesen und bin auch sehr beeindruckt, was Tolkien da eigentlich geschaffen hat! Irgendwann nehme ich es sicherlich wieder zu Hand…

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