Das Ticket ins Glück

von | 12.12.2018 | Buchpranger, Kinder- und Jugendbücher

Achtung, Achtung, auf Gleis zwei hat Einfahrt der Weltenexpress! Was in dieser ganz und gar nicht normalen fahrenden Schule voller Geheimnisse und Magie vor sich geht, verrät Anca Sturms „Der Weltenexpress“. Worteweberin Annika hat einen Sitzplatz ergattert.

Flinn Nachtigalls Leben ist nicht gerade leicht: Vor zwei Jahren verschwand ihr geliebter Bruder Jonte praktisch spurlos, die Familie ist arm und Flinn muss viele Aufgaben im Haushalt übernehmen. In der Schule ergeht es ihr auch nicht viel besser: Sie hat keine Freunde und wird gehänselt, weil sie nicht wie ein typisches Mädchen aussieht. Eines Nachts, Flinn sitz gerade am Bahnsteig, von dem Jonte verschwand, taucht plötzlich ein nebelhaftes Wesen auf und kurz darauf ein wundervoller Zug, den Flinn von der einzigen Postkarte von Jonte kennt. Sie steigt ein – doch ein Ticket hat sie nicht.

Damit wird Flinn zum ersten blinden Passagier an Bord. Bis der Zug wieder in der Nähe von Flinns Zuhause hält, soll sie zwei Wochen gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern, den sogenannten Pfauen, verbringen. Unter ihnen findet Flinn in Pegs und Kasim Freunde, in Fedor einen Jungen, der ihr Herz zum Rasen bringt, aber auch Feinde. Trotzdem wünscht sie sich nichts sehnlicher, als hier zu bleiben, wo sie sich endlich zu Hause fühlt. Und wo sie Spuren auf den verschwundenen Jonte findet. Gelingt es Flinn, ihn an Bord zu finden? Kann aus ihr vielleicht doch noch ein Pfau werden? Und was hat es mit der schemenhaften Nebelgestalt auf sich, die Flinn immer wieder sieht?

„Harry Potter“ trifft auf „Goldener Kompass“?

„Der Weltenexpress“ ist der Debüt-Roman von Anca Sturm, die schon seit ihrem elften Lebensjahr Geschichten schreibt. Dass der Titel vom Verlag mit „Harry Potter“ und „Der goldene Kompass“ verglichen wird, zeigt die Hoffnungen, die in den Roman gesetzt werden – und die dadurch natürlich bei den Leserinnen und Lesern auch geschürt werden. Kann „Der Weltenexpress“ dem gerecht werden?

Anca Sturm zeichnet eine fantastische Welt voller zauberhafter Details. Wie in den „Harry Potter“-Büchern verbirgt sich diese Welt in der ganz normalen Welt, doch die meisten Menschen sind nicht in der Lage, sie wahrzunehmen. Nur besondere Menschen mit einer Aussicht auf eine große Zukunft können den Zug sehen. So sind auch die Schüler des Weltenexpress allesamt Kinder und Jugendliche, die später die Welt verändern sollen – Zukunftsträger, die in Fächern wie „Heldentum“, „Strategie & Zuversicht“ oder „Benehmen“ statt Mathe unterrichtet werden. Das Setting erinnert sicherlich an J.K. Rowlings Zauberschule Hogwarts, grenzt sich aber auch durch viele Einfälle davon ab. Diese Weltenkonzeption hat Potenzial und verspricht eine spannende Geschichte mit Suchtfaktor.

Figurenzeichnung

Besonders sind an Sturms Romanwelt auch die Figuren. Nicht nur Flinns Name ist nicht eindeutig männlich oder weiblich, auch sie selbst will nicht so sein wie viele andere Mädchen:

„Aber Flinn wollte keine Isabelle oder Laura sein. ‚Isabelles mögen Pferde und alles, was rosa ist‘, sagte sie dann, ‚und Lauras gehen immer zu zweit aufs Klo.‘ Es schien nur diese zwei Möglichkeiten zu geben für ein Mädchen in ihrem Alter. Es gehörte sicher nicht dazu, altertümliche Wörterbücher zu lesen oder Bumerangs zu benutzen.“ (S. 9)

Aber genau das macht Flinn in ihrer Freizeit am liebsten. An Bord des Weltenexpress‘ beginnt sie daher damit, Wörter wie „heimelig“ zu sammeln, die die ganz besondere Atmosphäre des Zuges beschreiben. Auch ihre neuen Freunde an Bord sind alles andere als normal: Pegs liebt es, sich bunte Kleidung zu nähen und damit ihre Schuluniform aufzupeppen, während Kasim zum Ärger mancher Lehrer seine Haare bunt färbt und ständig zu spät kommt. Doch beide haben eine Vergangenheit, die ihr rebellisches Verhalten motiviert. Und dann ist da auch noch Fedor, der Kohlenjunge, dem Flinn als erstes an Bord begegnet und zu dem sie sich direkt hingezogen fühlt. Die Schüler hingegen können mit Fedor wenig anfangen. Und auch er hat ein Geheimnis. Die zarte Liebesgeschichte zwischen den beiden steht nie im Vordergrund der Handlung, ergänzt die spannende, magische Geschichte genretypisch aber auf unaufdringliche Weise.

„Der Weltenexpress“ bietet spannende Unterhaltung für junge, aber auch ältere LeserInnen, gleichzeitig eine sehr durchdachte Geschichte in einer fantastischen Welt und noch dazu ungewöhnliche Charaktere. Auch Anca Strums bildreicher Schreibstil überzeugt mit ungewöhnlichen Metaphern und Vergleichen und einer trotzdem leicht verständlichen Sprache. Im Herbst 2019 geht es weiter mit dem zweiten Band der Trilogie um den Weltenexpress.

Der Weltenexpress. Anca Sturm. Carlsen. 2018.

 

Bücherstadt Magazin

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

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