Das Schwanken der Welt

von | 21.04.2021 | Belletristik, Buchpranger

Katharina Köller hat mit ihrem Roman „Was ich im Wasser sah“ jüngst ein spannendes Debüt veröffentlicht. Eine Geschichte, die ungewöhnlich erzählt wird und über die es sich lohnt, intensiver nachzudenken, findet Satzhüterin Pia.

Sortieren wir einmal diesen komplexen Roman. Wir haben: Klarissa, eine junge Frau, die für das Filmstudium ihre Heimatinsel Ei verlassen und die den Kampf gegen den Brustkrebs gewonnen hat. Ohne Abschluss und ohne Brüste, aber dafür mit einem (krebsfressenden) Oktopus auf dem Brustkorb, kehrt sie zurück in die Heimat. Nicht alles ist mehr so, wie es war, als sie das letzte Mal auf der Insel war – ganz besonders sie selbst nicht. Sie habe sich in ein „androgynes Wesen“ verwandelt, meint Klarissa über sich selbst. Und die Insel? „Der Eroberer von Ei war kein Mensch, sondern eine Firma“: Überall finden sich inzwischen gläserne Windräder und einige Dinge, die Klarissa nicht ganz zuordnen kann. Dahinter stecken der Franchise-Konzern „SUNFISH“ und die Partnerfirma „STARFISH“.

„Aus dem Ei schlüpft ein gläsern-rotierender Seestern. Der Wind der Veränderung ist grün.“

Katharina Köller setzt maritime Bilder wie dieses wiederholt und sehr gekonnt ein. Angesprochen werden viele Themen – wichtige Themen –, Greenwashing ist nur eines davon. Die Umsetzung ist mal formscharf, mal eher schwankend und kommt dennoch oft einem erhobenen Zeigefinger gleich. Vielleicht durch die Menge an schwierigen Themen?

Die vornehmlich männlichen homo sapiens, die Klarissa weismachen wollen, sie würde sich bald schon wünschen, sich für die Implantate entschieden zu haben: ein Seitenhieb auf’s Patriarchat? Soziale Konstruktionen von Geschlechterrollen werden allemal in den Fokus gerückt. Köller greift weiter Themen wie den Klimawandel und seine Effekte (zum Beispiel: Landflucht, Stadtsterben), Konsum und Kapitalismus (auch: Gentrifizierung) und nicht zuletzt Migrationspolitik auf – immer wieder und auch verurteilend.

Stilistisch schafft die Autorin erstaunliche und bildstarke Sätze und Szenen, durch die die zahlreichen Themen miteinander verwoben werden. Alles hängt zusammen und steht doch für sich. Ob einzelnen Bereichen mehr Raum hätte gegeben werden können? Möglich. Auf die gesamte Strecke des Buches hätte ich mir als Leserin jedoch nicht eins der Themen weggewünscht.

„Das Beutetier wähnt sich lebendig, während es langsam zersetzt wird.“

Wie sehr alles zusammenhängt und wie pfiffig prophetisch und doch subtil einige Sätze und Gleichnisse sind, zeigt sich erst gegen Ende des Buches – liebend gern würde ich all diese rhetorischen Filetstücke hier ausbreiten, euch potenziell zukünftigen Leserinnen und Lesern des Buches damit aber jeglichen Spaß vorwegnehmen. Nach den ersten, vielleicht hundert Seiten findet man in den Roman und seine Sprache, aber die Geschichte, die braucht länger.

Das Verständnis des an sich bis zum Ende recht komplex wirkenden Romans wird erschwert durch die Parallelgeschichte, die dem Buch seinen Titel verleiht: „Was ich im Wasser sah“ erzählt einen … Traum? Klarissas, in dem sie ihre (Halb-)Schwester – eigentlich eher Adoptivschwester – Irina besuchen will. Die zehn kurzen Kapitel der kursiv gedruckten Geschichte ziehen sich über den gesamten Roman, was der Erzählung eine extra Zähheit verleiht. Zäh, wie das Waten durch das Wasser in der gefluteten Wohnung, ja, aber sicher nicht langweilig.

Das „fremde, wunderschöne Mädchen, das kein Mädchen und kein Mensch war“

Irina nimmt in dem Roman eine besondere Stellung ein. Sie ist die geliebte Schwester unserer Protagonistin, in ihr Leben getreten, als Klarissa als Kind einmal beinahe ertrunken wäre. Irina rettete sie, ein fremdes und wunderschönes Mädchen, das von da an Teil der Familie wurde und bei ihnen im Gasthaus zur „Schwankenden Weltkugel“ einzog. Mit der Figur Irina legt Köller den Finger in die Wunde der Flüchtlingspolitik. Immer wieder wird das Mädchen mit Begriffen wie „Flüchtlingskind“ charakterisiert – fremd, wunderschön, exotisch, geheimnisvoll. Denn woher sie genau kam, erfährt niemand.

Im Roman wird es so weit zugespitzt, dass Irina dem Text einen übernatürlichen und mystischen Charakter verleiht. Es wird suggeriert, sie sei vielmehr ein menschgewordenes Wesen des Meeres. Lange habe ich überlegt, warum das sein musste, warum es nicht gereicht hat, die Geschichte über die rhetorisch gelungene Sprache zu erzählen. Vielleicht dient dieses Element der beinahe schon satirisch überspitzten Darstellung von geflüchteten Menschen als Exoten? Ich bin mir nicht sicher.

„So blieb ich über der Reling hängen und sah, dass der Bug wie ein Skalpell die dunkelblaue Haut des Meeres aufritzte.“

Katharina Köllers Debüt „Was ich im Wasser sah“ hallt noch immer nach – diese Rezension musste warten, während die Gedanken noch beim Roman weilten. Der anfänglich holprige Weg, in die Geschichte einzutauchen, hat sich gelohnt (selbst wenn ich die Notwendigkeit des mystischen Elements in Frage stellen möchte) und ich bin gespannt auf weitere Romane der Autorin. Jetzt jedenfalls bin ich ein wenig verliebter in das Meer als noch zuvor.

Was ich im Wasser sah. Katharina Köller. Frankfurter Verlagsanstalt. 2020.

Bücherstadt Magazin

Bücherstadt Magazin

Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Wir sind umgezogen!

Wir sind kürzlich umgezogen und müssen noch einige Kisten auspacken. Noch steht nicht alles an der richtigen Stelle. Solltet ihr etwas vermissen oder Fehler entdecken, freuen wir uns über eine Nachricht an mail@buecherstadtmagazin.de – vielen Dank!

Newsletter

Erhaltet einmal im Monat News aus Bücherstadt. Mehr Informationen zum Newsletter gibt es hier.

DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner