Das Mosaik des Lebens

von | 07.12.2021 | Belletristik, Buchpranger

„Sternflüstern“ ist die „Geschichte eines Neuanfangs“, wie es im Titel des Romans der Autorin Paula Carlin (Pseudonym von Patricia Koelle) heißt. Der Tod ihres Freundes Lunis bringt die Frauen Irith, Sophie und Alix zusammen – ein bildstarker Roman mit kleinen und großen Schönheitsfehlern. – Von Satzhüterin Pia

Der Start in die Geschichte ist ruhig und die Sprache sehr bildstark: Die Mittfünfzigerin Irith trauert um ihren langjährigen Freund Lunis, einen eigenwilligen Künstler. Sie spürt den Verlust, erinnert sich an ihren Freund, an das Kennenlernen und ihre ungewöhnliche Beziehung zu ihm. Besonders aber erinnert sie sich an die Prozesse des (gemeinsamen) Kunstschaffens – denn mit einem von Irith gefertigten Mosaik aus zusammengekehrten Scherben der Glaskunstwerkstatt von Lunis nahm alles seinen Anfang.

Die Geschichte lässt sich inhaltlich grob in drei Teile unterteilen: Zuerst lernen wir Leser:innen die in einem Hotel arbeitende Irith sowie den verstorbenen Lunis kennen. Im weiteren Verlauf kommen erst Sophie und schließlich Alix hinzu. Sich kennenzulernen, gemeinsam zu arbeiten und sich anzufreunden sowie Lunis loszulassen, machen den Weg frei für ebenjenen Neuanfang, den der Titel des Buches schon ankündigt. Dieser dritte Teil ist der interessanteste … und der kürzeste. „Sternflüstern“ ist überwiegend keine Geschichte eines Neuanfangs, sondern über weite Strecken die Geschichte einer Trauerbewältigung – mit einem Neuanfang am Ende des Buches.

Sternflüstern! In diesem Moment vernahm ich es wieder. Dieses Knistern voller Wunder und Versprechen und Möglichkeiten, das sich für einen Augenblick auf alles um mich herum und in die neuen Tage legte.“ (S. 132)

Irith lenkt sich nach dem Tod von Lunis mit Arbeit ab und geht viel spazieren. Sie kommt bei einem dieser Spaziergänge an einem verlassenen Haus vorbei, das sie magisch anzuziehen scheint. Inmitten der überhitzten Stadt, der Bewältigung von Trauer oder der Erinnerungssequenzen zurück in die Zeit mit Lunis bildet besonders der verwilderte Garten des Hauses eine Oase der Ruhe. Immer wieder kehrt Irith an diesen Ort zurück: allein, mit Sophie, schließlich auch mit Alix. Am Ende ist ebenjener Garten mitsamt dem Haus elementarer Bestandteil des Neuanfangs.

Abschiednehmen

Den Prozess, den die Ich-Erzählerin Irith durchmacht, spiegelt der Verlauf der Geschichte wider. Sind es anfangs noch die kleinsten Anlässe, die einen Rückblick zu einer Lunis-Geschichte auslösen, wird es immer weniger. Zwar bleibt der verstorbene Künstler der wichtige gemeinsame Nenner der drei Frauen, aber schließlich verarbeitet Iriths den Verlust produktiv. Und eigentlich nicht nur das. Denn Lunis war alles andere als ein einfacher Mensch und so haben die drei im Prinzip mehr als nur den Verlust zu verarbeiten.

Sich die an und für sich gut greifbaren Figuren vorzustellen, fällt aus irgendeinem Grund schwer. Durch die Art des Erzählens und der Gedankengänge kam mir Irith immer viel jünger als eine 56-jährige Frau vor. Das hat auch das viele Schwelgen in Erinnerungen nicht so recht ändern können – oder es lag eben daran und hat das Bild der jüngeren Irith präsenter werden lassen. Dennoch ist die Protagonistin sympathisch und man fragt sich lediglich, wie sie so lange an einer Freundschaft und Beziehung mit dem wortkargen Lunis festhalten konnte. Sein eigenbrötlerischer Egoismus wird immer positiv dargestellt und bekommt stellenweise für mich schon fast etwas Toxisches. Die immer wieder gewahrte Distanz zu Irith, dass er ihr seine Vergangenheit verschwiegen und somit Vertrauen vorenthalten hat und nicht zuletzt sein rücksichtsloses Vergalten gegenüber anderen Menschen in seiner gesamten Lebensgestaltung stehen im Kontrast zu dem positiven Licht, in dem Irith den verstorbenen Freund sieht.

„Unwiderstehlich. So hatte Lunis meine Kreationen nie genannt. Er hatte immer etwas daran zu verbessern oder mindestens zu verändern gehabt.“ (S. 73)

Dafür, dass ihre Beziehung keine gesunde war, spricht auch ein weiterer Umstand, an dem ich mich gestört habe: Irith lernte nach dem Tod ihres Mannes vor vielen Jahren Lunis kennen und bekam so wieder Halt und einen Antrieb in ihrem Leben. Nach Lunis‘ Tod ist sie dann erneut sehr verloren und haltlos, bevor sie auf Sophie und schließlich Alix trifft. Die neue Freundschaft und das gemeinsame Loslassen ebnen den Weg für einen Neuanfang. Nur: Warum kann Irith nicht sich selbst genug sein und braucht offenbar immer wieder andere Menschen in ihrem Leben, um klarzukommen? Die Dynamik zwischen den drei Frauen ist immerhin eine gänzlich andere als die, die uns die Rückblicke in die Zeit mit Lunis vermitteln.

Kunstvolles Cover, bildstarke Sprache

Das Cover greift das Mosaik-Thema aus dem Roman auf und ist wirklich schön gestaltet. Das filigran-verspielte Muster passt zu der poetisch-bildstarken Sprache und durch kleine hervorgehobene Splitter wird eine interessante Haptik geschaffen. Ich gebe zu, ein bisschen war meine Wahl des Buchs auch eine Coverentscheidung, zumindest im ersten Schritt. Genau wie die Geschichte den titelgebenden Neuanfang nur teilweise hält, passt auch das Cover-Mosaik nicht zu den geschilderten Mosaiken der Künstlerin Irith. Aber vielleicht soll es das auch gar nicht …

Zur bildstarken Sprache fällt mir besonders das Adjektiv „aufgebauscht“ ein. Die vielen beschreibenden und kreativen Bilder, die teils einfache Handlungen „aufbauschen“, lassen das Buch umfangreicher werden, als es nötig wäre. Sicher ist es eine Stilfrage und während mir das manchmal zu viel wurde, können andere Leser:innen daran ihre Freude haben. Die Naturbeschreibungen von zum Beispiel dem Garten oder auch die Beschreibungen der Kunstentstehung sind lebhaft, bildlich und stimmungsvoll, lediglich in der Summe etwas überladen. (Und warum immer diese Hitze? Egal in welcher Zeit wir uns befinden, es ist irgendwie immer ein später Rekordsommer mit unsäglichen Temperaturen.)

„Sternflüstern“ ist kein Buch, das in meinem Regal stehen bleibt, aber immerhin eines, das ich gerne an zukünftige Leser:innen weitergeben werde. Selbst wenn es für mich kein neues Herzensbuch geworden ist, werden vielleicht andere Leser:innen ihre Freude daran haben.

Sternflüstern. Paula Carlin. Diederichs Verlag. 2021.

Pia Zarsteck

Pia Zarsteck

Pias Liebe zur Literatur hat sie vor Jahren an die Uni Bremen geführt, wo sie bis zum Masterabschluss Germanistik studierte. Heute ist sie Vorsitzende im Bücherstadt e.V., Mama einer Vierjährigen und beruflich ganz woanders unterwegs - aber immer noch vernarrt in Bücher und Spiele. Ein Leben ohne die Bücherstadt kann sie sich nicht vorstellen.

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Wir sind umgezogen!

Wir sind kürzlich umgezogen und müssen noch einige Kisten auspacken. Noch steht nicht alles an der richtigen Stelle. Solltet ihr etwas vermissen oder Fehler entdecken, freuen wir uns über eine Nachricht an mail@buecherstadtmagazin.de – vielen Dank!

Newsletter

Erhaltet einmal im Monat News aus Bücherstadt. Mehr Informationen zum Newsletter gibt es hier.

DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner