Das Mittelalter in kleinen Happen

von | 01.03.2019 | Kreativlabor

Mittelalter: Ritter, Burgfräulein, Drachen, wilde Kämpfe und große Feste… Das alles ist heute bei jungen Leserinnen und Lesern sehr beliebt. Worteweberin Annika hat sich einige moderne Bearbeitungen von Texten aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit angeschaut, die sich besonders an Kinder richten.

„Das Nibelungenlied“, der „Iwein“ Hartmanns von Aue und „Ein kurtzweilig Lesen von Dil Ulenspiegel“ gehören wie viele andere überlieferte Texte aus dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit als Kulturgüter auch in unserer heutigen Zeit nicht nur in verstaubte Regale, sondern wecken zu Recht auch das Interesse eines heutigen Publikums. Nicht abwegig ist es da, dass auch Kinder und Jugendliche diese Texte kennenlernen und lesen sollen und/oder wollen. Ganz einfach, könnte man meinen, wenn man eine zeitgenössische Bearbeitung zur Hand nimmt. Allerdings hält nicht jede Bearbeitung auch das, was sie verspricht.

Gelesen oder gesungen

Eines gilt es bei alle dem natürlich schon vorweg zu beachten: Produktions- und Rezeptionsweisen und -angewohnheiten sind heute völlig andere als im Mittelalter. Während damals Literatur vor allem mündlich und im großen Kreis zum Beispiel am Hof vorgetragen wurde, wird Kinder- und Jugendliteratur (KJL) heute entweder still gelesen oder aber in einer Vorlesungssituation im kleineren Kreis rezipiert. Kinder sind heute zu einer eigenen Zielgruppe geworden, die nicht mehr nur als „kleine Erwachsene“ betrachtet werden. Die Verlagsprogramme für Kinder und Jugendliche sind umfangreich, und in anderen Medien, zum Beispiel im Fernsehen, wird auch jungen Menschen fast rund um die Uhr etwas erzählt. Die Erwartungen an eine Geschichte sind daher bei Kindern und Jugendlichen heute andere, was einige Veränderungen in modernen Bearbeitungen schnell erklären kann. Trotzdem geht es der KJL heute wie auch der Literatur im Mittelalter zumeist um Wertevermittlung durch Unterhaltung. Doch das gelingt nicht überall gleich gut…

Aus deftigem Schalk wird intelligente Rebellion

Soweit so gut. Was machen nun moderne Autoren mit dem mittelalterlichen Textmaterial? Erich Kästner macht in seinem „Till Eulenspiegel“ aus den 96 deftigen Geschichten um den umherziehenden Dill Ulenspiegel 12. Bei der Auswahl der Geschichten spart Kästner die ekelhaften aus und kombiniert andere so, dass Tills Streiche immer zu mehr oder minder nachvollziehbaren Reaktionen auf vorherige Taten werden. Dadurch wird sein Till deutlich sympathischer und lustiger, im Kern bleiben die frühneuzeitlichen Geschichten aber erhalten.

Hinzu kommt aber etwas anderes: Kästners Bearbeitung entstand 1938 im Deutschland vor dem Zweiten Weltkrieg. Zeitkritik und ein pädagogisches Konzept versteckt er in den Geschichten über einen Mann, der sich auf intelligente Art und Weise wehren kann, und die Leute, die sich so leicht hereinlegen lassen.

Etwas mehr Gefühl

Zeitgeist kann man auch aus der Bearbeitung des Nibelungenlieds von Auguste Lechner herauslesen. Den im Text dargestellten Untergang der Burgunden beendet sie mit den Worten: „Denn nun war es so, wie es sein musste, nach allem, was geschehen war.“ Ein Satz, der sich vom Zeitpunkt des Entstehens 1950 aus auch als Geschichtsdeutung nach dem Zweiten Weltkrieg lesen lässt.

Ansonsten ist Lechners Bearbeitung der Nibelungen recht eng. Das fehlende Vorwissen der heutigen Leserinnen und Leser gleicht Lechner dadurch aus, dass sie die Vorgeschichte von Siegfried auserzählt und so aus dem Nibelungenlied auch eine Coming of Age Story bastelt. Ansonsten verändert Lechner vor allem eines, nämlich, dass sie Emotionen in die Figuren legt, die dort im Mittelalter sicherlich noch nicht so gemeint waren. Aus heutiger Sicht funktioniert eine Geschichte mit Emotion aber einfach viel besser.

Vorsicht!

Eine sehr starke Veränderung erhält hingegen der „Iwein“ in Felizitas Hoppes Bearbeitung „Iwein Löwenritter“. Was auf dem Buchrücken als Nacherzählung ausgezeichnet wird, ist tatsächlich etwas ganz anderes. Eklatant ist hier zum Beispiel die Uminterpretation des Frauenbildes auf eine auch heute nicht zeitgemäße Weise. In Hoppes Bearbeitung sind Frauen entweder zickig und unqualifiziert, oder sie sind klug und deswegen aber leider komplett unbeliebt, denn schlaue Frauen finden leider, keine Freunde. Einziger Ausweg: Man lässt die Männer beim Schachspielen gewinnen, das merken sie ja doch nicht. Denn Iwein zum Beispiel ist bei Hoppe ein dummer Held, der draufhaut, wenn es sein muss – und eben kein selbstloser Ritter, der sich weiterentwickeln muss, um seiner Frau würdig zu werden.

Bei Hoppe sind es also einerseits die vermittelten Rollenbilder, vor denen man sich in Acht nehmen sollte, aber ins Gewicht fällt eben auch die Uminterpretation von Themen wie Rittertum, Gewalt oder auch der Löwenfigur, die von einer Außenprojektion des Iwein zu einem mit den Kindern verbündeten Kuscheltier wird. Während hier nur der Inhalt und Sinn der Geschichte verdreht wird, sollte man sich vor allem wegen der anderen Aussagen überlegen, ob man diese Bearbeitung seinen Kindern zumuten möchte.

Ja, mittelalterliche und frühneuzeitliche Texte können auch heute funktionieren, besonders mit einer Portion Zeitgeist versehen für Kinder. Was allerdings weder heute noch damals funktioniert, sind platte Rollenbilder oder ein Ton, der Leserinnen und Leser nicht ernstnimmt. Bei der Auswahl der Texte sollte man also die Augen aufhalten – wenn man es tut, machen alte Texte Kindern auch heute noch Spaß.

 

  • Till Eulenspiegel. Erich Kästner. Mit Illustrationen von Walter Trier. Mit einem Nachwort von Sybil Gräfin Schönfeldt. Cecilie Dressler Verlag. 8. Auflage 2011.
  • Die Nibelungen. Glanzzeit und Untergang eines mächtigen Volkes. Auguste Lechner. Neu überarbeitet und mit einem Glossar versehen von Friedrich Stephan. Arena. 9. Auflage 2013.
  • Iwein Löwenritter. Erzählt nach dem Roman von Hartmann von Aue. Felicitas Hoppe. Mit Illustrationen von Michael Sowa. Fischer Verlag. 2008.

Illustration: Worteweberin Annika

 

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