Das Land als Leinwand: „Der perfekte Kreis“

by Worteweberin Annika

Korn­kreise sind so etwas, über das Worte­we­be­rin Annika noch nie nach­ge­dacht hat – bis sie Ben­ja­min Myers zwei­ten Roman „Der per­fekte Kreis“ gele­sen hat, eine Lie­bes­er­klä­rung an die eng­li­sche Land­schaft. Ein Buchtipp.

Cover Der perfekte KreisGleich zu Anfang sollte ich wohl erwäh­nen, dass nicht nur Korn­kreise für mich bis­her weiße Fle­cken auf der inne­ren Land­karte waren, auch in Eng­land bin ich noch nie gewe­sen. Doch wenn ich lese, wie Ben­ja­min Myers die­ses Land mit Wor­ten strei­chelt, ist das auch gar nicht nötig:

„Und in einer stil­len Som­mer­nacht drau­ßen auf den Fel­dern, wo der Him­mel ein umge­dreh­ter Spie­gel ist und die jun­gen Pflan­zen ganze Orches­ter von Geschöp­fen ber­gen, die auf die alles umfas­sende Unter­wei­sung des Mon­des war­ten, erhebt sich ein leich­ter Wind, der ein Meer von Pla­tin­na­deln zum Flim­mern bringt, und selt­same Dinge gesche­hen.“ (S. 8)

Die Lein­wand

In sei­nem Roman „Der per­fekte Kreis“ geht es um zwei Män­ner, die man viel­leicht als Freunde bezeich­nen könnte. Cal­vert und Red­bone sind zwei Ein­zel­gän­ger, die eine große Lei­den­schaft tei­len. Cal­vert war lange Berufs­sol­dat – jetzt pla­gen ihn unaus­sprech­li­che Erin­ne­run­gen und Trau­mata. Red­bone hin­ge­gen ist ein Träu­mer, lebt nach einer Tren­nung in einem muf­fi­gen Bulli und trinkt gerne einen über den Durst.

Der Kern ihrer Bezie­hung sind die Korn­kreise, die sie akri­bisch pla­nen und im Jahr 1989 den Som­mer über in Nacht-und-Nebel-Aktio­nen in die Fel­der drü­cken. So ent­ste­hen die White-Whattle-Schüs­sel, das Trap­ping-St-Edmunds-Son­nen­wen­den­pen­del oder der High-Bas­sett-But­ter-Bar­rel-Whirl­pool, kom­plexe For­men, die Schlag­zei­len machen. Wäh­rend in den Medien gerät­selt wird, ob Spin­ner oder Außer­ir­di­sche hin­ter den Phä­no­me­nen ste­cken, bedeu­tet es für die Erschaf­fer deut­lich mehr, wenn sie „der Lein­wand des länd­li­chen Eng­lands ihren Stem­pel auf­drü­cken.“ (S. 68) Für Cal­vert und Red­bone sind die Korn­kreise der feste Halt im Leben:

„Der nächste Korn­kreis ist immer ein Leucht­turm, ein Licht der Hoff­nung in der selt­sa­men Geis­ter­land­schaft ihrer ein­sa­men Exis­ten­zen.“ (S. 166)

Korn­kreise und Nervenkitzel?

„Der per­fekte Kreis“ ist auch und vor allem ein Roman über diese bei­den unter­schied­li­chen Män­ner, die anecken und nur im Erschaf­fen einer neuen „Kar­to­gra­fie auf Zeit“ (S. 64) ihren Platz fin­den. Beson­ders inter­es­sant ist da Cal­verts nur ver­meint­lich pes­si­mis­ti­sche Sicht auf die Welt, den Kli­ma­wan­del und die moderne Gesell­schaft: Was ihn dazu ver­an­lasst, Boh­nen in Dosen zu hor­ten – Erd­rut­sche, Pan­de­mien, Dür­ren – ist heute, etwas mehr als 30 Jahre spä­ter, unsere Realität.

Diese rauen und doch fra­gi­len Män­ner sind es auch, die mich dazu gebracht haben, mit­zu­fie­bern. Auch wenn „Der per­fekte Kreis“ ruhig, teils schwel­ge­risch erzählt ist und Korn­kreise kein Thema sind, das außer­halb von Ver­schwö­rungs­theo­rien Ner­ven­kit­zel ver­spricht, gelingt es Myers, eine ange­nehme Span­nung auf­zu­bauen: Kön­nen Cal­vert und Red­bone den Som­mer mit einer nie dage­we­se­nen For­ma­tion krö­nen? Zer­bre­chen sie an klei­nen oder grö­ße­ren Rück­schlä­gen? Kann es nach die­sem Som­mer für sie wei­ter­ge­hen? Das bleibt am Ende wohl uns Leser*innen über­las­sen, so viel sei verraten.

Ben­ja­min Myers hat einen zar­ten Eng­land-Roman geschrie­ben, der mir wie auch sein Debüt „Offene See“ auf Grund der Natur­be­schrei­bun­gen, aber auch der Innen­schau in die Figu­ren gut gefal­len hat. Für rich­ti­gen Ner­ven­kit­zel sollte man zu einem ande­ren Buch grei­fen. Aber wer auf der Suche nach einer soli­den Geschichte und einem men­ta­len Eng­land-Urlaub ist, der wird mit Per­len wie die­sen belohnt:

„Lang­sam bricht der Mor­gen an wie eine süße, kleb­rige Flüs­sig­keit, die sich aus einer Fla­sche ergießt, die jemand hat fal­len las­sen, und noch rund eine Stunde lang malen die fer­nen Hügel ihre dun­kel­grauen Kleckse grob­kör­nig in den Him­mel aus Bunt­pa­pier. Der Him­mel hat einen Geruch. Er riecht nach Mög­lich­kei­ten.“ (S. 31)

Ben­ja­min Myers. Der per­fekte Kreis. Über­set­zung: Ulrike Wasel und Klaus Tim­mer­mann. Dumont. 2021.

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