BUY LOCAL – Erlebe deine Stadt e.V. im Interview

von | 16.06.2020 | #BKUmwelt, Buchpranger, Im Interview, Specials, Stadtgespräch

„Lassen Sie uns daran mitwirken, dass die Stadtkerne pluralistische Orte bleiben, von denen man auch in hundert Jahren noch Geschichten liest. Geschichten, die mehr erzählen, als von hysterischen Black-Friday-Shoppern.“

Als Geschäftsführer von BUY LOCAL tritt Dennis Gladner (rechts) gemeinsam mit dem Initiator Michael Rietmüller (links) und vielen anderen für bunte Innenstädte ein. Im Interview hat er Worteweberin Annika verraten, was Städte so besonders macht, warum man seine Bücher nicht bei Amazon bestellen sollte und warum der Buchhandel auch etwas mit der Umwelt zu tun hat.

BK: Wie kam es zur Idee, BUY LOCAL nach Deutschland zu holen?

Dennis Gladner: In den USA gibt es das BUY LOCAL-Movement schon einige Jahre länger als in Deutschland. Die Begründung liegt vor allem in der schmerzhaften Erfahrung, dass die Innenstädte dort verödeten und zunehmend brach lagen. Dadurch wurde offenbar, welche Wirkungen und Auswirkungen ein funktionierender, in dem Fall nicht funktionierender, Einzelhandel auf die Genese einer Stadt hat. Und um diese positiven Auswirkungen geht es auch vielen engagierten Händler*innen in Deutschland. Wenn man nicht mehr weiß, ob man sich gerade in der Innenstadt Essens oder Erfurts befindet, dann ist es an der Zeit, sich auf ureigene Stärken zu besinnen und die Städte mit Leben und Individualität zu füllen. Aus dem Grund holten 2012 die Gründungsmitglieder BUY LOCALs die Idee der Imagekampagne für eine lebenswerte Stadt nach Deutschland.

BK: Und wieso fing das Projekt gerade im Buchhandel an?

DG: Diese Frage lässt sich relativ leicht beantworten. Die Idee zum Verein BUY LOCAL hatte Michael Riethmüller, Inhaber von RavensBuch in Ravensburg. Da er in der Buchhandelsbranche sehr gut vernetzt ist, fand er hier schnell viele Mitstreiter*innen. Darunter zum Beispiel Jan Orthey (Lünebuch) aus Lüneburg oder Dorothee Junck (Buchladen Neusser Straße) aus Köln. Zudem wurde die Buchhandelsbranche schon sehr schnell vor große Herausforderungen durch Amazon gestellt. Entsprechend war hier das Bewusstsein für die Notwendigkeit der Botschaft von BUY LOCAL schon vorhanden.

In der Textilbranche hieß es dagegen lange, dass sich Amazon & Co nicht durchsetzen werden, da Bekleidung immer vor Ort angefasst und anprobiert werden müsse. Dass diese Rechnung nicht ganz aufging, das wissen wir jetzt alle.

BK: Mal ganz naiv gefragt: Wo ist denn das Problem, wenn ich meine Buchbestellung bei Amazon mache? Oder bei der Filiale einer großen Buchhandlungskette?

DG: Das Problem beginnt mit der Frage: Wie will ich leben? Der reine Onliner weist monopolistische Tendenzen auf. Das ist in einer freien Marktwirtschaft legitim. Schaut man sich aber den Onliner und seine Geschäftszweige an, fällt auf, wie beängstigend die Marktmacht ist und zu welchen Szenarien dies führen kann. Beispielsweise folgt aus der Bestrebung heraus eine Homogenisierung des Angebots, was wiederum gerade auf dem Buchmarkt zu dem Phänomen führt, dass die gut verkäuflichen Bücher deutlich mehr angeboten und wahrgenommen werden. Gerade in der Literatur kommt es aber auch auf andere Aspekte und auf eine Vielfalt des Angebots an. Daneben neigen reine Onliner dazu, Steuervermeidungspraktiken anzuwenden, sodass von hohen Umsätzen – und selbst auf hohe Gewinne – kaum Steuern anfallen; dies macht sich bemerkbar im gesellschaftlichen Zusammenleben. Die Infrastruktur, die durch staatliche Mittel finanziert wird, nimmt man in Anspruch, ohne selbst etwas dazu beizutragen. Auch in puncto Arbeitsbedingungen unterstützt man mit der Bestellung beim Onliner Praktiken, die man so aus Zeiten der Industrialisierung kennt, die aber in Zeiten von Gewerkschaftsvertretungen der Vergangenheit angehören sollten.

Bei den großen Buchhandlungsketten sieht es ein wenig anders aus. Aus unserer Sicht führt die Filialisierung ebenfalls zu einem homogenen, massenkompatiblen Angebot. Außerdem sind es die kleinen individuellen Geschäfte und deren Inhaber*innen, die eine Innenstadt charmant und einzigartig machen. Die immergleichen Ketten führen dazu, dass Städte ihren Charakter verlieren und uns triste Konsummeilen bescheren. Auch hier muss jede und jeder für sich entscheiden, wie ihre oder seine Stadt in Zukunft aussehen soll; das haben wir alle jeden Tag in der Hand.

BK: Wie kann man Kunden denn wieder an den lokalen Einzelhandel heranführen?

DG: Absolute Serviceorientierung! Der Kauf im Geschäft muss mit einem Erlebnis verknüpft sein. Das Erlebnis kann ein Espresso zum Empfang sein oder ein Produkt, das man nicht suchte, aber das unverhofft ins Blickfeld gerät. Die Geschäfte vor Ort müssen sehr gut kuratiert sein und trotzdem Luft für die individuellen Wünsche der Kund*innen lassen. Zudem ist es wichtig, dass man auf allen zur Verfügung stehenden Kanälen kommuniziert, anbietet und bei Fragen zur Verfügung steht.

BK: Hat meine Kaufentscheidung auch Einfluss auf die Umwelt?

DG: Natürlich ist der Kauf vor Ort, ob online oder offline, auch umweltfreundlicher, da weite Transportwege reduziert werden. Außerdem wirtschaften Händler*innen in und für ihre Region, weshalb viele Unternehmer*innen vor Ort engagiert sind, wenn es um Begrünungen der Innenstädte und ähnliches geht.

BK: Was bedeutet es konkret für eine Buchhandlung, Mitglied von BUY LOCAL zu sein?

DG: BUY LOCAL bietet Argumente, Vorlagen, Nutzung der Wort- und Bildmarke und Ideen an, die Mitgliedsunternehmen nutzen können. BUY LOCAL muss aber in erster Linie aktiv gelebt werden. Es hat keinen Sinn, wenn das Logo nur auf die Türe geklebt wird. Dann wird sich wenig ändern. Wenn man aber den Gedanken aktiv lebt, auf unsere Erfahrungen zurückgreift und BUY LOCAL in die eigene Kommunikation einbindet, dann wirkt BUY LOCAL. BUY LOCAL ist, was man daraus macht. Der Verein ist sehr agil und viele Ideen können gebündelt und ausprobiert werden.

BK: Und wie erreicht man es, die bunten Innenstädte am Leben zu halten?

DG: Die Frage lässt sich nicht pauschal und auch nicht in wenige Sätzen beantworten. Sicher ist nur eins: Alleine geht es nicht. Es müssen Händler*innen, Gastronomen, die Stadtverwaltung, Verkehrsbetriebe etc. zusammenarbeiten. Wichtig ist auch, dass man sich von Konkurrenzdenken verabschiedet. Wenn es der Stadt insgesamt gut geht, dann geht es auch meistens den Buchhändler*innen gut. Man muss vom Einzel- zum Gemeinschaftshändler werden.

BK: Arbeiten Sie da auch mit der Politik zusammen?

DG: Ja, natürlich. Dies ist ganz unterschiedlich. Wir versuchen bundesweit Einfluss zu nehmen. Einerseits durch gezielt Gespräche mit Politiker*innen und andererseits mit Lobbyarbeit. Derzeit greifen wir beispielsweise das Thema auf, dass kostenfreie Lieferungen nach sozialen, ökonomischen und ökologischen Gründen eigentlich nicht zu rechtfertigen sind.

Zudem agieren unsere Mitglieder sehr oft vor Ort in unterschiedlichen Projekten. Sie bringen sich in ihren Städten ein, sitzen im Gemeinderat, sprechen ihre Bundestagsabgeordneten an und dergleichen mehr. Auch hier gilt, dass es nur zusammen geht und Eigeninitiative nötig ist. BUY LOCAL ist ein Verein, der ausschließlich durch die Mitglieder lebt und von ihrer Initiative getragen wird. Die Stärke des Vereins ist die gebündelte Kommunikation. Die traditionellen Interessensverbände übersehen manchmal die Vielfalt der inhabergeführten Unternehmen oder agieren nicht bundesweit, was zu einem kommunikativen Flickenteppich führt.

BK: In letzter Zeit wurde der lokale Einzelhandel ja ziemlich auf die Probe gestellt. Was hat es denn mit dem Konzept „Books against Corona“ auf sich?

DG: Das war eine spontane Idee von Bernhard Borovansky aus Österreich (Buchmedia & Braumüller Verlag) und Martin Riethmüller (RavensBuch). Beide leben den BUY LOCAL Gedanken schon lange. Es ging zu Beginn des Shutdowns darum, das Buch als ideale Begleitung für den Shutdown zu positionieren und als Branche geschlossen aufzutreten. Denn gerade der Buchhandel ist durch die Logistik und die Tatsache, dass viele Buchhandlungen gute Onlineshops haben, ideal für die Herausforderung in dieser Zeit aufgestellt. Es fehlt allerdings oft das Wissen der Kund*innen, dass man eben nicht bei anonymen Internetkonzernen bestellen muss, sondern dies einfach bei der Buchhandlung vor Ort machen kann.

Zudem hat diese Zeit viele Buchhändler*innen extrem gefordert. Deshalb lag es nahe Vorlagen zu erstellen, die schnell und einfach verwendet werden können, ohne viel Zeit in Anspruch zu nehmen.

BK: Jetzt kommen noch die zwei Fragen, denen sich jeder Besuch in der Bücherstadt stellen muss: Gibt es eine Frage, die Sie sich schon immer für ein Interview gewünscht haben? Und was ist Ihre Antwort darauf?

DG: Weshalb faszinieren Städte?

Städte sind der Innovationsmotor der Zivilisationen. Städte, wie wir sie kennen, nahmen im frühen Mittelalter ihren Ursprung. Nachnamen sind inspiriert durch die Herkunft aus Städten. Hymnen, Gedichte und Kriege wurden um und für Städte geführt. Städte sind Lebenswelten, die organisch gewachsen sind und unser soziales und wirtschaftliches Zusammenleben im Kleinen widerspiegeln. Wir wagen die These, dass sich ohne Urbanisierung das kulturelle Leben nicht in der Form entwickelt hätte, wie wir es heute kennen. Auch heute noch sind es die Städte und Metropolen, die den Takt vorgeben – dort spielt die Musik. Aus dem Grund wäre es schade, wenn wir diese Errungenschaft aufgeben und die Stadt nur noch als Konsumort definieren, weil wir ihn dazu gemacht haben. Im Stadtkern spielte sich seit Jahrhunderten das Leben ab, vom Markt über das verlängerte Wohnzimmer bis hin zu Gerichtsprozessen. Lassen Sie uns daran mitwirken, dass die Stadtkerne pluralistische Orte bleiben, von denen man auch in hundert Jahren noch Geschichten liest. Geschichten, die mehr erzählen, als von hysterischen Black-Friday-Shoppern.

BK: Wenn Sie selbst ein Buch wären, was für eines wäre das?

DG: Sicherlich wäre ich ein Erzählband mit vielen Facetten aus unterschiedlichen Genres. Mein roter Faden weist viele Knoten, Biegungen und Ausfransungen auf. Manchmal würde man auch die Übersicht verlieren, um später zu merken, dass jede einzelne Erzählung das Gesamtbild ausmacht.

BK: Vielen Dank für das Interview!

[tds_note]Ein Beitrag zum Special #BKUmwelt. Hier findet ihr alle Beiträge.

Foto: BUY LOCAL // Illustration: Satzhüterin Pia[/tds_note]

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