Bücher für die Insel

von | 18.08.2021 | Belletristik, Buchpranger

Sommerzeit ist Reisezeit – und Lesezeit! Worteweberin Annika hat drei literarische Reisen unternommen und stellt Romane vor, in denen es (auch) um das Reisen geht. Kommt ihr mit?

Station eins: die Auenlandschaft

Jana Volkmanns Roman „Auwald“ erzählt sprachgewandt von der Tischlerin Judith, die zu einer Flusskreuzfahrt nach Bratislava aufbricht, aber nie wirklich zurückkehrt. Schon immer konnte Judith gut neu anfangen, Altes loslassen. Als in Bratislava ihr Rucksack mit der Rückfahrkarte nach Wien gestohlen wird, ist sie eher neugierig als erbost. Zu Fuß bricht sie auf in die Auenlandschaft, hält Ausschau nach dem Schiff, auf dem sie eigentlich hätte fahren sollen, um zu ihrer Freundin Lin und ihrer Arbeit zurückzukehren. In den Auen lässt sie ihr Wiener Leben und ihren Namen zurück.

Jana Volkmanns Roman besteht aus zwei Teilen. Insbesondere der erste hat mir gut gefallen. Darin lernen wir Judith und ihre Vergangenheit kennen, ihren Drang, Bindungen zu kappen und ihre Einsamkeit. Der zweite Teil zeigt Judiths Rückweg durch die Auenlandschaft nach Wien, ebenfalls gut erzählt, doch für meinen Geschmack hätte die darin beschriebene Loslösung vom Namen subtiler gezeigt werden können. Trotzdem ist Jana Volkmanns Roman, der mit dem Förderpreis zum Bremer Literaturpreis 2021 ausgezeichnet wurde, ein schönes Stück Literatur.

Station zwei: Neapel

„Meine geniale Freundin“ ist nicht hauptsächlich ein Roman über eine Reise, aber eine Reise hat mich an diesem Roman am meisten beeindruckt. Es ist schon eine kleine Weile her, da war alle Welt im Ferrante-Fieber. Ich habe erst kürzlich den ersten Teil der Neapolitanischen Saga in einem Bücherschrank entdeckt und damit meine erste Ferrante gelesen. Mit diesem Buch bin ich also nach Neapel gereist und meine Erwartungen waren natürlich groß.

 „Meine geniale Freundin“ erzählt von den Jugendjahren der Mädchen Lila und Elena, die im Stadtviertel Rione in Neapel aufwachsen. Gewalt, harte Arbeit, raue Sprüche und eine klare Rollenverteilung prägen das Leben dort. Doch Lila und Elena sind klug und scheinen nicht ganz in diese Welt zu passen. Elena lernt fleißig, während ihre eigentlich geniale Freundin Lila in die Familienschusterei einsteigt und die Männerherzen im Viertel erobert. Elena schildert viele Jahre später, nach Lilas Verschwinden, die ersten Jahre dieser Freundschaft, den Wunsch nach Bildung, die Sehnsucht nach Liebe und die verschiedenen Konflikte zwischen den Familien im Viertel.

Das wirkte auf mich auf den ersten 200 Seiten ziemlich belanglos und langatmig – immer wieder habe ich überlegt, das Buch beiseitezulegen oder am besten gleich zurück in den Bücherschrank zu stellen. Doch dann hat mich der Ehrgeiz gepackt und ich habe durchgehalten. Wurde ich belohnt? Irgendwie schon. Nach einer Weile hat mich die Geschichte dieser Mädchen interessiert, ich habe die bildlichen Darstellungen des Viertels genossen und mitgefiebert. Insbesondere Elenas Sommerurlaub auf der Insel Ischia, das erste Mal am Strand und weg von ihrer Familie, wird mir in Erinnerung bleiben. Allerdings hat mich „Meine geniale Freundin“ dann doch nicht so sehr begeistert, dass ich direkt auch die anderen Bände lesen werde – trotz Cliffhanger am Ende. Aber vielleicht irgendwann später?

Station drei: die Insel B. in Frankreich

Sophie van der Lindens Roman „Eine Nacht, ein Leben“ habe ich eher zufällig entdeckt und dann nach einer Leseflaute fast in einem Rutsch weg gelesen (gut, er hat auch nur knapp 100 Seiten, aber dennoch!). Wir begleiten darin Henri, der im Jahr 1914 für eine Sommernacht zur Insel B. reist. Dort will er Youna fragen, warum sie seine Briefe nicht mehr beantwortet, ob zwischen ihnen wirklich alles vorbei ist. Auf der Insel kostet Henri den Geschmack der Freiheit, streift durch die Natur und macht erstaunliche Begegnungen.

„Getrieben vom Rückenwind glitt das Boot träge durch die sanften, gedämpften Farben. Blau ist, im Gegensatz zu Grün, nicht greifbar. Ich kann ein Blatt vom Baum zupfen, einen Grashalm pflücken, sie in meiner hohlen Hand zerdrücken, meine Finger mit ihrem Saft einfärben. Doch das Blau des Himmels oder das des Meeres entziehen sich einem stets.“ (S. 10)

Sophie van der Linden schildert die Natur und die Emotionen, die sie in Henri auslöst, eindringlich, wenn auch (zumindest in der Übersetzung von Valerie Schneider) teils pathetisch. Trotzdem hatte ich das Gefühl, mit über die Insel zu wandern und Henris Gedanken und Gefühle zu teilen. „Eine Nacht, ein Leben“ ist ein schöner Sommerroman, kurz und entschleunigt.

  • Auwald. Jana Volkmann. Verbrecher Verlag. 2020.
  • Meine geniale Freundin. Elena Ferrante. Aus dem Italienischen von Karin Krieger. Suhrkamp. 2016.
  • Eine Nacht, ein Leben. Sophie van der Linden. Aus dem Französischen von Valerie Schneider. Mare. 2018.
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