Brauchtum und der Wandel der Zeit

von | 13.09.2015 | Belletristik, Buchpranger

Ein Land, das noch in seiner Tradition verhaftet ist, aber nach Neuerungen strebt, ist im Umbruch. Was aber, wenn der Umbruch herbei geführt wird, wenn dies gar nicht erwünscht ist? Galsan Tschinag, der Autor von „Gold und Staub“, entführt den Leser mit bildgewaltigen und intensiv-persönlichen Worten ins Herz der Mongolei.

Der Ich-Erzähler lebt einen Teil des Jahres in Städten, einen Teil reist er durch die Welt und einen dritten Teil des Jahres verlebt er in den traditionsreichen Jurten des Tuwa-Dorfes, seiner Heimat. Er ist ein alter Mann und jedes Mal, wenn er wieder kommt, findet er weniger von seinen Vertrauten vor. Nicht verwunderlich, dass er über die Grabstätten der Seinen nachdenkt, die in der eher trostlosen Erde der kargen mongolischen Landschaft ruhen.
Durch seine Reisen inspiriert, plant er, die Gräber neu zu richten und die trostlose Steppe zu begrünen. Für die Ahnen. Doch eine unerwartete Begegnung wirft erste Rätsel auf. Eine junge Frau, modern und selbstständig, dazu noch gut betucht, sucht seine Aufmerksamkeit. Durch Gespräche und gemeinsam verbrachte Stunden erkennen sie, dass sie sich so vertraut sind, als wären sie enge Geschwister. Bis im so wertvollen Gebiet der Tuwa Gold gefunden wird. Tradition und Brauchtum werden, genauso wie diejenigen, die noch dafür einstehen, auf eine harte Probe gestellt.

Mit großer Wortgewalt und sehr bildhaften Beschreibungen erzählt der Autor Galsan Tschinag eine Geschichte, bei welcher es nicht um Abenteuer geht, obwohl von einem Abenteuer erzählt wird. Mit großer Weisheit und der Klugheit eines Mannes, der schon viel gesehen und erlebt hat, erzählt der Autor über die Tradition seines Landes, seines Jurtendorfes. Er erklärt Brauchtum und dessen Entstehung und scheut sich nicht, Beziehungen und Verbundenheit in einem sehr emotionalen Rahmen zu beschreiben.
Weisheiten werden keineswegs in einem Satz abgehandelt und die Aussage „Es passiert so viel, obwohl nichts passiert“ kann treffender gar nicht sein. In unglaublicher Weise wendet er Worte so passend und treffend an, dass man als Leser immer wieder das Buch zur Seite legen kann, um über Aussagen nachzudenken oder diese wirken zu lassen. Er spricht über Schamanen und das Übersinnliche, das noch immer Teil des tuwinistischen Lebens ist, beschreibt das noch vorherrschende Misstrauen und gleichzeitig Faszination dem Neuen gegenüber, das manche aus den Städten kennen, aber nicht damit leben wollen.

Fast schon schockierend ergreifend wird man von dem Zwiespalt getroffen, der vorherrscht, als das Gold gefunden wird und die Menschen, ähnlich dem Goldrausch des Wilden Westens in den USA, auf vieles vergessen und den Reichtum vor sich sehen. Auch Konflikte und Zwiespalt greifen so tief in die eigene Gefühlswelt ein, dass es nicht möglich ist, zu lesen, ohne mitzufühlen, ergriffen oder belustigt zu sein, tief betrübt oder geschockt.
Der Leser wird scheinbar mitten in die Erzählung gestellt, anstatt nur der Beobachter zu sein. Und so ergreifen Zitate, Weisheiten und Aussagen auf tiefe Weise, denn so manches gilt nicht nur für das Tuwa-Volk, sondern betrifft Zwischenmenschlichkeit, Ethik eine weltweit ansprechende Sicht der Dinge. Ein grandioses Buch, für welches man sich Zeit nehmen muss. Es wird einen lange begleiten und viele Weisheiten bringen.

Elisabeth

Gold und Staub, Galsan Tschinag, Unionsverlag, 2012

Bücherstadt Magazin

Bücherstadt Magazin

Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

2 Kommentare

  1. Avatar

    Mich würde interessieren, wie du gerade auf dieses Buch aufmerksam geworden bist? Es hört sich interessant an, obwohl du relativ wenig über den Inhalt verrätst.

    Antworten
  2. Avatar

    Eigentlich bin ich darüber gestolpert. Ich finde es immer interessant, etwas von Autoren aus „exotischen“ Ländern zu lesen, zudem handelt dieses Buch auch in der Mongolei, was mich doppelt neugierig gemacht hat. Schlussendlich war es dann um mich geschehen, als ich mir Hintergründe über den Autor durchgelesen habe. Was dieser schon alles erlebt hat, wo er war, mit wem er sich unterhalten hat (Dalai Lama,…) bringt er alles in seine Erzählung hinein und das mit so gewaltigen Worten, dass ich nicht aufhören konnte zu lesen. Wobei, doch, konnte ich, immerhin ist es kein Buch, das man mit einem Mal durchliest. Man muss es immer wieder beiseite legen und ein wenig sacken lassen. Aber ich werde mir ganz bestimmt weitere Bücher von Galsan Tschinag zu Gemüte führen.

    Antworten

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Wir sind umgezogen!

Wir sind kürzlich umgezogen und müssen noch einige Kisten auspacken. Noch steht nicht alles an der richtigen Stelle. Solltet ihr etwas vermissen oder Fehler entdecken, freuen wir uns über eine Nachricht an mail@buecherstadtmagazin.de – vielen Dank!

Newsletter

Erhaltet einmal im Monat News aus Bücherstadt. Mehr Informationen zum Newsletter gibt es hier.

DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner