Biografische Nachkriegsliteratur

von | 08.04.2015 | Belletristik, Buchpranger

Susanne Schädlich beschreibt in ihrem Roman „Herr Hübner und die sibirische Nachtigall“ das Schicksal zweier Menschen – nach wahrer Begebenheit.

Dietrich Hübner ist 21 Jahre alt und Mitglied der Liberaldemokratischen Partei, die 43 jährige Mara Jakisch ist Operettensängerin und Filmschauspielerin. Beide werden wegen Spionage für die westlichen Besatzungsmächte zu 25 Jahren Arbeitslager verurteilt. Die Handlung beginnt im Jahre 1948 in Dresden, die Verurteilten kommen ins Gefängnis der Sowjetischen Militäradministration und kommunizieren über Klopfzeichen durch die Zellenwand. Während Mara sich die Zeit mit Gesang vertreibt, beginnt Dietrich Gedichte zu schreiben. Dafür nutzt er die feuchte Platte des Klapptisches und ein Stück Holz. Sobald er sie niedergeschrieben hat, wischt er sie wieder weg. Ein sehr beeindruckendes findet sich auf Seite 55:
Kennst du das Haus, das auf dem Felsen steht, dort, wo die Freiheit hinter Gittern geht und Liebe schweigt, vom Hass besiegt.
Kennst du das Haus, das dort im Schatten liegt, wo jeder Morgen freudlos tagt, und nachts die Eule nach den Toten fragt. […]

Ihre Lage erscheint hoffnungslos. Dietrich wird nach Bautzen geschickt, dann nach Brandenburg-Görden, Mara in den Gulag nach Sibirien. Was sie ermuntert, ist die Hoffnung auf bessere Zeiten und die wenigen Briefe, die sie von ihren Familien erhalten. Zwischenzeitlich erfährt man von den erfolglosen Versuchen Dietrichs Mutter, ihren Sohn aus dem Gefängnis zu holen. Überzeugend werden hier zwei Lebensgeschichten erzählt, gespickt mit russischen Vokabeln, die anfangs noch recht häufig in den Text eingebaut werden, aber so, dass man versteht, was gemeint ist, sobald man weiterliest. Zum Ende hin nimmt die russische Sprache ab, die Schwerpunkte werden mehr auf Gefühle und Erinnerungen gelegt als auf Eindrücke und Beobachtungen.

Während die Geschichte mit Tiefe und Authentizität überzeugt und einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt, fasziniert der Schreibstil eher weniger. Dieser liest sich holprig, teils mit sehr kurzen Sätzen, oftmals mit Gedanken ohne weitere Satzzeichen. Ein Stil, an den man sich im Laufe der Geschichte zu gewöhnen versucht. Man könnte sagen, es sei Kunst und doch ist es ebendiese, die einen von der eigentlichen Geschichte ablenkt.
Wenn die Arbeit vorbei war, wenn er auf die Zelle zurückging, fuhr er in den Urlaub. Immer ging es in Richtung Norden. Er fragte sich, wie es wohl am Meer sei. Wie es sich anfühle. Die Farben kannte er von Gemälden. Er dachte, Wenn ich draußen bin, reise ich um die Welt. (S. 120)

„Herr Hübner und die sibirische Nachtigall“ ist ein Stück Literatur, das durch die Tatsache glänzt, dass hier eine Geschichte nach wahren Begebenheiten erzählt wird und Gedichte und Verse von Dietrich Hübner und Mara Jakisch beinhaltet.

Alexa

Herr Hübner und die sibirische Nachtigall, Susanne Schädlich, Droemer Verlag, 2014
www.susanneschaedlich.de

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  1. Wunsch nach Freiheit | Bücherstadt Kurier - […] zu schreiben. Dieses Phänomen begegnete mir bereits in “Die Schlaflosen” und “Die sibirische Nachtigall“, und nun auch in diesem…

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