Bernhard Hennen

von | 07.11.2013 | Buchpranger, Im Interview, Stadtgespräch

Es gibt Bücher, die konsumiert man einmal und stellt sie dann für immer weg und andere Bücher, in die man sich verliebt.

Im Herbst treiben sich Blätter in der Luft – und viele Besucher in Bücherstadt herum. So mancher lässt sich von einem guten Buch zu Gesprächsrunden mitreißen. Autor der Elfen-Bücher Bernhard Hennen stellte sich in einer solchen Gesprächsrunde den Fragen der Bücherstädter Diungo, Daniela und Elisabeth, die sich von seinen Büchern mitreißen ließen.

BK: Wie entstehen die Ideen und die Geschichte für ein neues Buch? Haben Sie einen kompletten roten Faden im Kopf oder wie kann man sich den Prozess vorstellen?

BH: Ich habe gewisse Eckpunkte, was geschehen soll. Einige Handlungsverläufe habe ich im Kopf und einige entstehen beim Schreiben. Es ist eine Sache, wenn man ein Exposé entwirft, und eine ganz andere, wenn man dann acht, neun Monate an dem Buch schreibt. Es kommen einem immer neue Ideen, und sich diesen zu verweigern und sich sklavisch am Exposé festzuklammern, halte ich für den schlechteren Weg. Baut man die ursprüngliche Struktur des Buches im Schreibprozess um, muss man sehr darauf achten, den roten Faden nicht zu verlieren. Bei mir ist es regelmäßig so, dass ich durch das Einbauen weiterer Ideen oder gar ganzer Handlungsstränge, wesentlich mehr Seiten schreibe, als ich ursprünglich geplant hatte.

BK: Sie haben ihren ersten Elfenroman gemeinsam mit James Sullivan geschrieben. Wie sieht so eine Zusammenarbeit im Detail aus?

BH: Es ist das A und O, das man sich im Vorfeld genau abspricht. Gleich zu Anfang haben wir uns darauf geeinigt, wer aus der Perspektive welcher Hauptfiguren erzählt. Danach wurden Abfolge und Inhalt der Kapitel genau strukturiert und wir begannen zu schreiben. Etwa einmal wöchentlich haben wir uns von da an getroffen und unsere Texte miteinander abgeglichen. Schlussendlich war diese Zusammenarbeit gleichermaßen produktiv wie zeitintensiv.

BK: Bevorzugen Sie es am Abend zu schreiben? Und werden Sie dabei von Musik begleitet oder wie kann man sich ihre Arbeitszeit vorstellen?

BH: Grundsätzlich arbeite ich am Abend oder nachts effektiver, allein schon, weil es kaum noch Störungen durch Telefonate oder Mails gibt. Wie sich so eine Arbeitsnacht gestaltet, hängt von meiner jeweiligen Stimmung ab. Oft mag ich es ganz still. Allerdings kann die richtige Musik gelegentlich auch helfen, noch tiefer in die Stimmung einer Szene, an der ich arbeite, einzutauchen. In der Regel höre ich instrumentale Stücke, meist Filmmusik. Eine Ausnahme ist die Musik von Maite Itoiz, die auch eigene Stücke zu den Drachenelfen-Romanen geschrieben hat. Diese Lieder kann ich immer hören. Ich kann nur empfehlen, einmal „Elfenthal“ zu googeln. Maites Musik sagt mehr, als meine Worte es könnten.

BK: Was passiert, wenn die Ideen nicht kommen wollen?

BH: Dann hab ich Feierabend (lacht). Ich kann das Schreiben erzwingen. Sollte es einmal nicht klappen, ist es klüger eine Pause zu machen. Versuche ich dennoch zu schreiben, bin ich meist schon am nächsten Tag mit den Resultaten so unzufrieden, dass ich einen großen Teil der Texte lösche. Allerdings muss ich eingestehen, dass ich sehr gut unter Stress funktioniere. Obwohl ich zu Beginn meiner Arbeit immer einen Plan aufstelle, wie viele Seiten ich monatlich schaffen muss, überholt mich jedes Mal die Wirklichkeit. Man bekommt unplangemäß eine Grippe, die Fußballmannschaft des Sohns spielt besser als erwartet und plötzlich gibt es mehr und weitere Fahrten… Das Schicksal hat jedes Mal mehr Phantasie, als ich sie habe, wenn ich meinen Arbeitsplan aufstelle. So geschieht es mir immer wieder, dass in den letzten Monaten vor Romanabgabe alle Wochenenden durchgearbeitet werden müssen und jegliche Freizeit ausfällt, um die Abgabefrist einhalten zu können.

BK: Man hegt ja gewisse Gefühle für die Charaktere, nicht nur als Leser, sondern auch als Autor. Kommen Sie da nicht manchmal in einen Zwiespalt, weil der Charakter auf eine bestimmte Weise handeln müsste?

BH: Ja, solche Probleme gibt es gelegentlich, wobei ich jedoch stets versuche, die Logik der Charaktere nicht zu zerstören. Nehmen wir als Beispiel Kolja, einen der Helden aus den Drachenelfen-Romanen. Er war von Anfang an so angelegt, dass er ein sehr lockeres Verhältnis zu moralischem Handeln hat. Diese Ambivalenz machte es möglich, ihn in zwei grundverschiedene Richtungen zu führen und der Weg, den er nun nimmt, hat sich erst im Laufe der Bücher als Konsequenz seiner Handlungen ergeben. Er wird eher eine düstere Figur, auch um ihn deutlich von seinem ähnlich moralisch ambivalenten Freund Volodi abzugrenzen.

BK: Ist Ihnen denn schon jemals ein Charakter sprichwörtlich aus dem Ruder gelaufen?

BH: Ja, das passiert gelegentlich. Mir geschieht das vor allem mit meinen Schurken, die mir immer wieder mehr ans Herz wachsen, als geplant war. Manchmal erobern sich so Charaktere, die ursprünglich nur als Nebenfiguren geplant waren, im Laufe eines Romanzyklus eine Hauptrolle. Zum Glück geschieht mir das nur selten, denn auch das sprengt den ursprünglichen Arbeitsplan und sorgt dafür, dass Romane deutlich dicker werden, als es einmal vorgesehen war.

BK: Wenn man einen Charakter, wie zum Beispiel Emerelle, so detailverliebt ausfeilt, wird dieser dann irgendwann richtig real?

BH: Emerelle begleitet mich inzwischen seit fast einem Jahrzehnt. Sie ist in meiner Vorstellung tatsächlich sehr lebendig. Immer wieder trete ich in Gedanken mit ihr ins Zwiegespräch. Der einzige Haken dabei ist, dass ich fast immer weiß, was sie antworten wird.

BK: Verständlich ist, warum Sie der Herr der Elfen genannt werden. Woher kam der Drang, nun ausgerechnet in die Rolle einiger Zwerge zu schlüpfen?

BH: Der Reiz an den Zwergen besteht für mich darin, dass sie in nahezu jeder Hinsicht ein Gegenentwurf zu den Elfen sind. Sie sind nicht schön anzusehen, keinesfalls elegant und nur selten eloquent. Sie versuchen, Probleme auf dem technischen Weg zu lösen, sie bauen Aale (U-Boote) und geben diese versponnene Idee einfach nicht auf, obwohl die Hälfte der Aale mit Mann und Maus sinkt. Auch sind sie rebellischer als die Mehrzahl der Elfen. Sie wollen die ultimative Waffe gegen die Himmelsschlangen erfinden und einsetzen, und sich so von der Tyrannei er Drachen befreien.

BK: Sie haben gerade die ultimative Waffe angesprochen. Ihre Bücher wirken immer erwachsener und realistischer, Kämpfe zum Beispiel werden genauer beschrieben. Warum?

BH: Auch wenn es sich im ersten Moment paradox anhören mag, versuche ich, Gewalt deshalb so realistisch darzustellen, um keine gewaltverherrlichenden Bücher zu schreiben. Wie viele Fantasyromane drehen sich um Helden, die oft unter Anwendung von Gewalt, die absurdesten Gefahren meistern und am Ende fast unversehrt aus ihren Abenteuern hervorgehen? Solche Romanfiguren werden sie bei mir nicht finden. Wer Gewalt als seinen Weg wählt, der wird dadurch körperlich und/oder seelisch deformiert werden. Zu glauben, dass einen die Anwendung von Gewalt nicht verändert, ist ein tragischer Trugschluss.

BK: Ist die Wiedergeburt bei Elfen dann eine romantische Vorstellung nochmal auf den geraden Weg zu kommen?

BH: Das könnte man so sehen, man kann das aber auch negativ deuten. Etwa so, dass die Elfen gerade durch die Wiedergeburt die unfreisten unter allen Geschöpfen Albenmarks sind, denn dieses vermeintliche Geschenk ist ja mit einem vorherbestimmten Schicksal verbunden. Sie werden so lange wiedergeboren, bis sie einen Weg, der lange vor ihrer ersten Fleischwerdung festgelegt wurde, bis zu seinem Ende gegangen sind. Erst dann gehen sie ins Mondlicht und finden die Erlösung von ihrer fleischlichen Existenz. Versuchen sie diesem Schicksal zu entgehen, führt dies nur zu einer endlosen Schleife von Wiedergeburten. Verglichen damit, sind alle Albenkinder, die nicht wiedergeboren werden, unglaublich frei. Sie haben nur ein Leben und dies läuft nicht auf ein fremdbestimmtes Ziel zu.

BK: Der gleichen Detailverliebtheit wie beim Thema der Wiedergeburt, begegnen wir in all Ihren Werken. Streuen Sie diese Details einfach in die Geschichten ein und greifen Sie diese dann später wieder auf oder wissen Sie schon am Anfang ganz genau, wohin all dies führen soll?

BH: Letztlich ist beides wahr. So spielt zum Beispiel im Roman „Elfenkönigin“ ein Dolch eine bedeutende Rolle und ich hatte von Anfang an den Plan, später einmal etwas über den Ursprung dieser Waffe zu schreiben. Das geschah dann zwei Jahre später im ersten Drachenelfen-Roman. Andere wichtige Gegenstände, wie etwa die Silberschale, tauchen seit zehn Jahren immer wieder in den Geschichten auf. Dies ist ein Mittel, den beschriebenen Welten mehr Bildhaftigkeit zu verleihen. Viele Leser mögen dies. In anderen Fällen greife ich Erzählmotive wieder auf, weil es einfach passend ist, ohne dass vorher ein ausgefeilter Plan existiert hätte. Unabdingbar für ein Romanprojekt, das solche Ausmaße wie die Elfen-Saga angenommen hat, ist eine umfassende Datensammlung. So verfüge ich über ein privates Glossar zu den Romanen, das inzwischen mehrere hundert Seiten umfasst.

BK: Welche Frage wollten Sie schon immer in einem Interview gestellt bekommen haben und wie wäre die Antwort darauf?

BH: Das ist schwierig zu beantworten. Mir wurden in vielen Interviews schon viele verschiedene Fragen gestellt… Ich könnte ja etwas zu weiteren Romanplänen erzählen. Ich möchte gern in näherer Zukunft noch einmal etwas anderes als ein Elfenbuch schreiben. Es macht sehr viel Spaß bei den Elfen, aber erzählerisch eine neue Richtung einzuschlagen wäre auch spannend. Dabei denke ich oft an einen Thriller. Schon jetzt verarbeite ich in meinen Fantasy-Romanen sehr gerne – leicht abstrahiert – Themen, die aus dem Hier und Jetzt kommen. Warum also nicht auch einmal ganz konkret über das Hier und Jetzt schreiben?

BK: Apropos Hier und Jetzt. Sie stellen eine Menge Recherchen an, um Ihren Geschichten Tiefe zu verleihen. Falls Sie eine Zeitreise machen könnten, in welche Epoche oder in welche Kultur würde es Sie verschlagen?

BH: Grundsätzlich fühle ich mich gut aufgehoben in unserer Zeit. Man bedenke nur die Vorzüge unserer Gesundheitsvorsorge. Durch mein Geschichtsstudium sind mir die Schattenseiten vieler Epochen sehr bewusst. Wir leben in einer in vielen Aspekten sehr angenehmen Zeit und was heute nicht gut ist, war früher tendenziell auch nicht besser. Aber eine Stippvisite im alten Rom, im Babylon Hamurapis oder im hellenistischen Alexandria würde mich schon reizen.

BK: Heutzutage gibt es das aufkommende Phänomen E-Book versus Papier – Wie stehen Sie zu dieser technischen Errungenschaft?

BH: Ich selbst besitze keinen E-Book-Reader, finde Reader aber durchaus praktisch. Auch sehe ich in der Entwicklung der Reader einen technologischen Schritt, der unumkehrbar ist. Manches macht mir Sorgen, aber ich würde niemals sagen, die E-Books lösen die Bücher ab. Die Taschenbücher werden ihnen wohl mittelfristig zum Opfer fallen, nicht aber die hochwertigeren Buchausgaben. Wenn man das Lesen als Genuss betrachtet, ist eine schöne Aufmachung des Buches ein Teil dieses Genusses. E-Books haben einige sehr praktische Eigenschaften, deshalb werden sie sich ihren Markt erobern und mehr sein als nur eine technische Spielerei. Für ältere Menschen ist es angenehm, dass der Text größer eingestellt werden kann. Außerdem kann man nachts im Bett lesen, ohne den Bettnachbarn zu stören, um nur zwei dieser Eigenarten zu nennen.
Ich glaube aber auch, dass aufwendig gestaltete Bücher einen neuen Markt bekommen. Es gibt Bücher, die konsumiert man einmal und stellt sie dann für immer weg und andere Bücher, in die man sich verliebt. Bücher, die man sich gerne als Kulturgut oder schönes Objekt ins Wohnzimmer stellt. Bücher, die dadurch, dass ich sie besitze und offensichtlich wertschätze, auch ein Statement über mich abgeben.

BK: Egal ob E-Book oder Papier – Viele Leser fragen sich, ob jeder ein Buch schreiben kann, daher die Frage: ist ein Buch zu schreiben eher Handwerk oder Kunst?

BH: Man kann mit Handwerk und Willen sehr weit kommen, aber es gibt ein letztes Stück, zu dem man Talent haben muss, da fließt die Kunst mit ein. Das ist unfair, denn aller Fleiß hilft hier nicht mehr weiter. Man kann es oder man kann es nicht.

BK: Wenn Sie ein Buch wären, welches wären Sie und warum?

BH: „Krieg und Frieden“, das ist einfach mein Thema.

BK: Unserem Buchfinken liegt noch eine Kleinigkeit auf dem Herzen. Er weiß, wie viele andere, die sich mit Ihren Arbeiten auseinandersetzen, dass Sie den Ruf haben, Charaktere aus Ihrem Umfeld oder aus anderen Situationen zu adaptieren und sie in ihren Büchern einzuflechten. Unser Buchfink ist davon überzeugt, dass der von Ihnen „erfundene“ Charakter Piep aus ihrem Roman „Drachenelfen“ nur auf ihn zurückzuführen ist! Kann das sein?

BH: (lacht) Da hat er vollkommen recht!

BK: Welche Botschaft haben Sie abschließend für unsere Leser?

BH: Dass man sich immer die Mühe machen sollte, so genau hinzuschauen, dass man sieht, dass die Welt selten nur schwarz und weiß ist.

Damit bedanken wir uns bei Herrn Hennen für dieses wirklich spannende und unterhaltsame Interview. Zum krönenden Abschluss haben wir eins seiner aktuellen Werke von ihm signiert bekommen, welches wir verlosen dürfen. Mehr zur Verlosung erfahrt ihr in der 10. Ausgabe!

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