Ambitioniertes Affentheater

von | 09.01.2017 | Belletristik, Buchpranger

Mit „Oh Schimmi“ hat sich die junge Wiener Autorin Teresa Präauer die Redewendung „Sich zum Affen machen“ zur Brust genommen und daraus mit großen Ambitionen ein Sprachtheater gezimmert. Was genau es damit auf sich hat, hat Worteweberin Annika nachgelesen.

Sprache statt Handlung

Schimmi Schamlos, eigentlich Jimmy, lebt mit seiner Mutter in einem Hochhaus an einem der vier Enden der großen Autobahn. Seine Zeit verbringt er vor dem Fernseher, wobei er einen großen Bogen um Vitamine macht und zwischen Tierdokumentationen und Erotiksendern hin und her zappt. Sein Herz verliert er dabei an Zindi, die sich auf der Mattscheibe räkelt, doch auch Nini aus dem Nagelstudio um die Ecke ist nicht zu verachten, findet Schimmi.

Viele aktuelle Themen werden in „Oh Schimmi“ in einem Spiel aus Komik und Tragik angesprochen: Die Rolle der Medien als Erfahrungsquelle, die Präsenz von Sexualität in moderner Gesellschaft, Neoliberalismuskritik, Oberflächlichkeiten, die Großstadt, Musik und Populärkultur. Trotzdem wird die Erwartung, es handle sich bei Präauers Roman um Popliteratur, nicht bestätigt.

Was so alles in Präauers Roman vor sich geht, ist abstrus: Da werden Nagelstudiomitarbeiterinnen unter dem Bett gefangen gehalten, Mütter verstecken sich tagelang in ihrem Schlafzimmer und ein verschwundener Vater taucht genau im richtigen Moment wieder auf, um seinen Sohn zu retten. Doch auf Plausibilität wird hier wenig Wert gelegt, denn weniger geht es in „Oh Schimmi“ um eine komplexe Handlung, als vielmehr um Sprache. Durchzogen ist der Roman von Anglizismen, aber auch von Verfremdungen und kuriosen Wortneuschöpfungen, die aus Schimmis Liebe zum Buchstaben I entstehen. Sehr nah ist die Sprache am gesprochenen Wort, Rhythmen und Klänge sind gezielt eingesetzt und erinnern so an Rap-Musik. Auch das Affenmotiv wird an vielen Stellen sprachlich ausgetragen, wenn aus Love „Laff“ wird, aus raffen „affen“, aus Effizienz „affizient“… Bei all den Sprachspielereien und der begrenzten Handlung schrammt Präauer teilweise nur knapp am sprachlichen Leerlauf vorbei.

Affentheater im Dschungel

Lange bleiben die Lesendenim Ungewissen, wie die Figur des Schimmis eigentlich einzuschätzen ist. Ist er erwachsen oder ein Kind? Mit der Ich-Erzählung aus Schimmis Sicht geht Unzuverlässigkeit einher. Erst spät kann man deswegen erkennen, dass es sich beim Erzähler um einen Jugendlichen mit Behinderung handelt. Die rührt daher, dass er als kleiner Junge beim Rodeo vom Schaf fiel. Ziel des Romans scheint es aber nicht zu sein, geistige Behinderung zu versprachlichen.

Wichtiger ist das Motiv des Affen, des Dschungels. Schon die Umschlaggestaltung ruft Dschungelassotiationen wach, und diese werden durch Affenkostüme, Schimmis Trommelklingelton und Anspielungen auf den Rumble in the Dschungle, einen Boxkampf zwischen Mohammed Ali und George Foreman, weitergeführt. Gerade Schimmi, der durch seine Behinderung ein Außenseiter der Gesellschaft ist, wird im Roman mit dem Affenmotiv verbunden. Das Motiv des Dschungels wird hier noch weiter durchexerziert, bis schließlich hin zur Anspielung auf den Dschungel von Calais, der nicht mehr so recht ins Bild zu passen scheint. Die Frage bleibt, ob es hier einfach darum ging, mit der Flüchtlingsthematik mehr Aktualität und Brisanz zu gewinnen, oder eine wirkliche Aussage getroffen wird.

Für ihre ersten beiden Romane, „Für den Herrscher aus Übersee“ und „Johnny und Jean“ erhielt die junge Wiener Autorin Präauer bereits einige Auszeichnungen. Auch „Oh Schimmi“ erlangte beim Ingeborg Bachmann Wettbewerb 2015 viel Aufmerksamkeit – mit einem Preis ausgezeichnet wurde der Roman jedoch nicht. Nun ist Präauer mit „Oh Schimmi“ bei der LiteraTour Nord im Rennen um eine Auszeichnung.

Doch wozu nun der Dschungel? Bleibt „Oh Schimmi“ bloßes Sprachspiel, ist es Gesellschaftskritik oder reines Affentheater? Vielleicht ist es von allem ein bisschen. Eines jedenfalls ist sicher: Präauer hat mit „Oh Schimmi“ einen sehr innovativen und aktuellen Roman geschrieben, der sich auch als vermeintliche „Hochliteratur“ selbst nicht zu ernst nimmt, jedoch auch einige Schönheitsfehler aufweist.

Oh Schimmi. Teresa Präauer. Wallstein Verlag. 2016.

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