Alte Freunde auf Kneipentour Roddy Doyle: „Love. Alles was du liebst“

by Satzhüterin Pia

Ein Gespräch zwi­schen alten Freun­den über die Liebe in vie­len Facet­ten – so könnte man Roddy Doyles „Love. Alles was du liebst“ beschrei­ben und würde es den­noch nicht rich­tig tref­fen. Satz­hü­te­rin Pia hat sich mit Davy und Joe in die Kneipe(n) gesetzt und ihren Gesprä­chen gelauscht.

Cover LOVEDavy und Joe sind schon lange Freunde, die sich zuletzt nur noch sel­ten sehen – und zwar immer dann, wenn Davy, der vor vie­len Jah­ren nach Eng­land zog, sei­nen Vater in Irland besucht. Die bei­den Män­ner um die 60 gehen zusam­men etwas essen und ver­fal­len schließ­lich in alte Mus­ter, indem sie durch die Pubs von Dub­lin zie­hen, einen Pint nach dem ande­ren zechen und sich unter­hal­ten. Wäh­rend Davy zum Grund sei­nes Irland-Auf­ent­halts schweigt, hat Joe sei­nem alten Freund etwas Wich­ti­ges zu erzäh­len. Die rich­ti­gen Worte fin­det er nicht und so ver­ge­hen Stun­den, in denen er nicht so recht auf den Punkt kommt.

Ein Wie­der­se­hen mit Folgen

Joe traf nach fast 40 Jah­ren sei­nen und Davys alten Schwarm Jes­sica wie­der – auf einem Eltern­abend an der Schule sei­ner Toch­ter. Für Jes­sica ver­ließ er nun Frau und Kin­der … und damit trifft er bei Davy – selbst glück­lich ver­hei­ra­tet – auf Unver­ständ­nis. Die­ser ver­mu­tet schlicht sexu­elle Inten­tio­nen, aber Joe beteu­ert, dass es nicht darum ginge. Bei Jes­sica fühle er sich ange­kom­men, zu Hause, aber seine Frau Trish liebe er eigent­lich noch und obwohl er nicht 40 Jahre lang eine Lüge gelebt habe, habe er den­noch nicht das rich­tige Leben gelebt – und über­haupt ist es para­dox. Davy kann sei­nen ehe­mals guten Kum­pel nicht recht ver­ste­hen. So oft will er eigent­lich gehen, hat keine Lust mehr, bleibt aber den­noch. Das Gespräch ist nicht sel­ten ein Dis­put, ein Sich-gegen­sei­tig-Ange­hen, Flu­chen und Über­ein­an­der-Her­zie­hen. Und schließ­lich ein Resi­gnie­ren, Zurück­ru­dern, Noch-ein-Pint-Bestel­len, Weiterreden.

Im Bier­ne­bel am Nachbartisch

Als Leser:in hat man das Gefühl, am Nach­bar­tisch zu sit­zen, was den Charme der Geschichte aus­macht. Der Bier­ne­bel ist förm­lich zu spü­ren und zu rie­chen, so authen­tisch sind die Dia­loge gestal­tet und wird die Umge­bung gele­gent­lich geschil­dert. Die Beschrei­bun­gen von Umge­bung und Men­schen bleibt dabei spo­ra­disch. Es ist gerade genug, um die eige­nen Vor­stel­lun­gen der Leser:innen leben­dig zu halten.

Im Umkehr­schluss bedeu­tet diese Authen­ti­zi­tät aber auch, dass ein Gespräch zwi­schen lang­jäh­ri­gen Freun­den um die 60, bier­trin­kend im Pub, nicht immer strin­gent und logisch geführt wird. Spä­tes­tens ab der Hälfte des Buches kommt mehr und mehr das Gefühl auf, nicht zu wis­sen, wor­auf Roddy Doyle in sei­ner Geschichte eigent­lich hin­aus­will. Ewig wie­der­keh­rende Motive und Situa­tio­nen machen den Roman häu­fig repe­ti­tiv, was im Gesam­ten, aber auch im Spe­zi­el­len gilt – je „bier­las­ti­ger“ eine Gesprächs­se­quenz wird, desto mehr dre­hen die bei­den sich in ihrem Dia­log im Kreis. Es ist ein schma­ler Grat, aber irgend­wie schafft Doyle es immer wie­der, dass auch ich als Lese­rin doch noch nicht das Buch zuklappe, doch noch etwas wei­ter­lese – genau wie Davy, der eigent­lich gehen will, aber irgend­wie doch noch bei Joe sit­zen bleibt.

Unge­wöhn­li­che Dar­stel­lung der Liebe

„Love“ han­delt von der Liebe, aber auf unge­wöhn­li­che Weise. Das liegt zum Groß­teil an der Dar­stel­lungs­form: In ers­ter Linie füh­ren Davy und Joe näm­lich sei­ten­weise einen Dia­log. Dabei wird die wört­li­che Rede nicht klas­sisch mit Anfüh­rungs­zei­chen dar­ge­stellt, son­dern über Gedan­ken­stri­che in ein­zel­nen Zei­len. Durch gele­gent­li­che Nen­nung der Vor­na­men oder andere Hin­weise auf die Per­son schafft man es als Leser:in meis­tens gut fol­gen zu kön­nen. Gele­gent­lich muss man aber noch mal genauer lesen oder aber man geht dar­über hin­weg und fin­det sich damit ab, nicht zu wis­sen, wer genau was gesagt hat, weil die Pas­sage inhalt­lich wenig rele­vant für die Hand­lung ist. Anfangs habe ich mich mit die­ser Dar­stel­lungs­form schwer­ge­tan, durch die Masse an Dia­log­zei­len aber schnell Ver­ständ­nis dafür gewon­nen. Den Lese­fluss hät­ten zusätz­li­che Satz­zei­chen deut­lich unterbrochen.

Über den Dia­log sowie die gele­gent­li­chen gemein­sa­men Rück­bli­cke oder per­sön­li­chen Erin­ne­run­gen Davys lernt man die bei­den Män­ner und die Men­schen, die sie lie­ben, ken­nen. Über­wie­gend bleibt das jedoch ober­fläch­lich. Ein wenig mehr erfah­ren wir über Davy und seine Frau Faye, schon deut­lich weni­ger über Joe, seine (Ex-)Frau Trish sowie die alte-neue Liebe Jes­sica. Gene­rell ist es ver­wun­der­lich, wie wenig man über diese omi­nöse Per­son erfährt, die doch der Anlass für die­ses aus­schwei­fende Gespräch ist. Wirft man einen genaue­ren Blick dar­auf, geht es aber eigent­lich um sehr viel mehr: eine Freund­schaft im Wan­del der Zeit, die Liebe zwi­schen Vater und Kind und vom Kind zum Vater, die Liebe zwi­schen Ehepartner:innen, die roman­ti­sche Liebe oder auch die Nächstenliebe.

Wenn „alte, weiße Män­ner“ Bier trinken …

Gut, so viel bis­sige Über­spit­zung ver­dient das Buch nicht, aber den­noch fin­den sich Situa­tio­nen, die ich aus mei­ner Sicht als (junge) Frau unan­ge­nehm finde. Wäh­rend es eben­falls Text­pas­sa­gen und Aus­sa­gen gibt, die ich für einen Autor die­ser Gene­ra­tion schon wie­der ange­nehm fort­schritt­lich finde, sto­ßen ein Satz wie „Sie redete wie ein Mann, als hätte sie Anspruch dar­auf zu reden.“ (S. 72) deut­lich sau­rer auf, selbst wenn es im Kon­text abge­schwächt wird. Immer wie­der blit­zen Aus­sa­gen her­vor, die zei­gen, dass sich hier zwei „alte, weiße Män­ner“ bei einer Menge Bier unter­hal­ten. Ich muss Doyle zugu­te­hal­ten, dass es ins­ge­samt sehr über­schau­bar bleibt und nicht zu unan­ge­nehm wird, als junge Femi­nis­tin ihren Gesprä­chen und Gedan­ken zu lauschen.

Doyle führt seine Leser:innen sprach­lich über­wie­gend sehr geschickt durch die Erzäh­lung – oder viel­mehr durch den Knei­pen­abend. Der Dia­log, der eigent­lich nur einen Abend lang dau­ert, zieht sich. Aber nur zum Teil, weil die bei­den Män­ner gefühlt ewig um die eigent­lich benö­tig­ten Wör­ter her­um­druck­sen. Vor allem zieht aber ein gan­zes Leben an uns vor­bei. Wir sehen die Män­ner im Pub sit­zen und durch Dub­lin lau­fen, aber wir sehen (vor­nehm­lich Davy) auch mit Anfang 20 im Pub, in sei­nem Eltern­haus, mit der ers­ten Freun­din und erle­ben, wie er erwach­sen wird.

Als über­mä­ßig anspruchs­voll emp­fand ich die Lek­türe nicht, obwohl sie ein gewis­ses Mit­den­ken erfor­derte. „Nur fix ein Kapi­tel lesen“ funk­tio­niert hier nicht, gibt es doch kaum Unter­bre­chun­gen im Fluss der Wör­ter, Zei­len und Sei­ten. Dank des berüh­ren­den Endes bin ich froh, dass ich dran­ge­blie­ben bin. Noch ein­mal lesen werde ich das Buch jedoch eher nicht.

LOVE. Alles was du liebst. Roddy Doyle. Über­set­zung: Sabine Längs­feld. GOYA. 2021.

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