Alles eine Frage des Glaubens

von | 05.10.2016 | Belletristik, Buchpranger

In „Loney“ begleiten wir eine kleine Londoner Gemeinde auf einer Pilgerreise nach The Loney, eine christliche Kultstätte mit heilender Wirkung an der Küste Englands. Autor Andrew Micheal Hurley stellt in diesem Roman die Frage: Wie ähnlich sind sich Glaube und Aberglaube und was lässt einen Gläubigen vom Glauben abfallen? Geschichtenerzähler Adrian Leonardo hat sich mit diesem Roman auseinandergesetzt.

Die Geschichte beginnt in der Gegenwart, mit der Erzählung des Protagonisten „Tonto“ über die Leiche eines Babys, welches bei The Loney bei einem Erdrutsch freigelegt wurde. Von da an folgen wir seinen Erinnerungen zurück: Als er mit 13 Jahren zusammen mit seiner Familie und dem Rest der kleinen Glaubensgemeinde über die Karwoche nach The Loney pilgert. Dort wollen sie auch für eine Wunderheilung für „Tontos“ stummen Bruder Andrew beten.
Als die beiden Brüder eines Abends auf ein junges, schwangeres Mädchen im Rollstuhl treffen, kratzen sie damit an einem dunklen Mysterium, welches diesen von Gott verlassenen Ort durchstreift. Denn The Loney birgt noch mehr Geheimnisse als der Geheimraum in ihrer Unterkunft oder das Rätsel um den Tod des ehemaligen Pfarrers Father Wilfred.

loneyDie Schönheit der Tristesse

„Loney“ ist von der Erzählart ein sehr graues Buch und spiegelt damit gut das englische Wetter wider. Mit einer beinahe schon melancholischen Schönheit beschreibt Andrew Micheal Hurley diese Tristesse und schnell findet man sich gedanklich an einem Fenster wieder, an denen man die Wassertropfen beim Hinunterlaufen beobachtet.
Mit „Loney“ hat Hurley ein sprachliches Landschaftsgemälde von einer englischen Küste geschaffen. Allgemein ist die Bildsprache in diesem Buch sehr detailreich und es fällt nicht schwer, sich in Situationen hineinzudenken oder zusammen mit dem Protagonisten „Tonto“ durch The Loney zu wandern.

… und die Tristesse der fehlenden Spannung

Wie schön und detailreich Andrew Micheal Hurley seinen Roman „Loney“ schmückt, so scheint er einen anderen wichtigen Teil zu vernachlässigen: Die Geschichte. Zwar lebt diese auch durch ihre düstere Atmosphäre, dümpelt jedoch eher schwach vor sich hin und jegliches Aufkommen von Spannung verläuft sich recht schnell im Sande der englischen Küste. Erst gegen Ende nehmen die Ereignisse rund um das Geheimnis in The Loney etwas Fahrt auf, was jedoch reichlich spät erscheint.

Namen, Zeitsprünge und anderer Wirrwarr

Wahrscheinlich gerade durch seine ruhige Geschichte schafft „Loney“ einen sehr angenehmen Lesefluss, der einen beständig durch das Buch führt. Wären da nicht die Holpersteine in Form von verwirrenden Namen und Bezeichnungen, sowie plötzlichen Zeitsprüngen. So wird der Gemeindepfarrer nicht in ‚Vater‘ übersetzt, sondern beim englischen ‚Father‘ belassen, was sich mit dem Spitznamen von „Tontos“ Vater ‚Farther‘ beißt und somit immer wieder für eine kurze Lesepause sorgt, um sich klar zu machen, wer jetzt gemeint ist. Auch die Zeitsprünge zwischen den Vergangenheiten kommen immer wieder überraschend und erst anhand von Namen – etwa durch den verstorbenen Father Wilfred – erkennt man, in welcher Zeitlinie man sich befindet.

(K)ein Gottesgeschenk?

Ich persönlich bin ziemlich hin- und hergerissen was ich nun mit „Loney“ anfangen soll. Immer wieder hatte ich das Bedürfnis, es aus der Hand zu legen und es einige Tage ruhen zu lassen. Als ich es mir dann aber wieder vornahm, geriet ich in einen Lesefluss, welcher mich ein bis zwei Kapitel am Stück lesen ließ. „Loney“ lebt, wie schon erwähnt, durch seine Bildsprache und die träumerischen Landschaften, verschenkt jedoch viel Potential in der Geschichte. Dies ist sehr schade, da sie doch einige Möglichkeiten bot, zu einem ziemlich düsteren Thriller zu werden.
Trotz all seiner verschenkten Chancen ist „Loney“ eine Empfehlung. All jene, die an einer ruhigen aber stimmungsvollen Geschichte Interesse haben, könnten mit „Loney“ einige angenehme Stunden haben. Auch ist es als Reiseroman, für lange Zug- oder Busfahrten ebenfalls gut geeignet.

Loney. Andrew Micheal Hurley. Übersetzung aus dem Englischen: Yasemin Dincer. Ullstein. 2016.

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