Adieu Rollenklischees … oder doch nicht?

von | 07.09.2021 | Bilderbücher, Buchpranger

Der Australier Scott Stuart schrieb „Mein Schatten ist pink“ für seinen Sohn, der leidenschaftlicher Elsa-Fan ist und dessen Umfeld ihm schnell klar gemacht hat: Das ist was für Mädchen! Stuart hat daraufhin ein Buch geschaffen, das Mut machen soll, sein eigenes Selbst auch zu leben. Satzhüterin Pia hat eine entscheidende Sache daran dennoch gestört.

Die Schatten des Papas, des Opas und der Brüder sind groß und blau. Nur der vom kleinen Jungen nicht – sein Schatten ist pink und trägt gerne Kleider. Der kleine Junge weiß darum und er möchte es eigentlich gar nicht, aber er kann auch nichts dagegen machen. Das Bilderbuch erzählt aus seiner Sicht:

„Ich möchte so gern wie die anderen sein,
nur mein Schatten und ich, wir passen nicht rein.“

Es steht der erste Schultag an und auch wenn er sich nicht vollends sicher ist, folgt der kleine Junge dem Hinweis auf dem Zettel, was er für diesen ersten Tag braucht und zieht sich sein Lieblingsoutfit an: ein Kleid! Als er die Klasse betritt, wünscht er sich Mut. Doch als ihn alle nur anstarren, flieht er sofort zurück nach Hause und in sein Zimmer. Sein Papa – vorher noch besorgt ob der Vorlieben seines Sohnes – eilt ihm unterstützend hinterher: im Kleid und mit ermutigenden Worten. So bekommt sein kleiner Sohn ausreichend Zuversicht, denn: „Ich trage mein Kleid jetzt stolz und froh. Sie werden begreifen: Ich mag mich so.“

Die Illustrationen sind kraftvoll, sowohl durch den Zeichenstil als auch durch die deckenden und intensiven Farben. Es macht Freude, sie zu betrachten, zu sehen, wie jeder seinen Schatten bei sich trägt und wie sehr sie sich oftmals von den nach außen getragenen Rollen der Personen unterscheiden. Der finster dreinblickende Mann im Anzug, dessen Schatten die Kunst und Malerei liebt. Oder das tanzende Cheerleader-Mädchen, dessen Schatten viel lieber Autos inspiziert. Auch der Papa in dem Buch macht es deutlich: Wir sind unsere Schatten und diese sind genau richtig für uns.

Die Rosa-Hellblau-Falle

Beim ersten Lesen war da nur ein Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmig ist. Dann kam ich endlich dahinter: Die Farben passen nicht. „Mein Schatten ist pink“ möchte Geschlechterrollen aufbrechen und Diversität zelebrieren. Und dennoch sind die Schatten der männlich gelesenen Figuren allesamt blau (mit Ausnahme des Protagonisten), die der weiblich gelesenen pink. Im Klappentext heißt es: „Ein Junge, der gern Kleider trägt und mit ‚Mädchensachen‘ spielt, ist für manche Menschen ‚anders‘. Aber wer bestimmt eigentlich, was ‚normal‘ oder ‚anders‘ ist?“ Ich würde noch hinzufügen, wer denn bestimmt, was „Mädchensachen“ sind und das so unterschreiben. Im Buch selbst wird aber genau in diesen Schubladen gelabelt: pink für die Mädchen, blau für die Jungen.

„Vielleicht bin ich anders, doch anders ist gut!“

Kleidung und Farben sind für alle da. Ein Satz, der sich sehr einfach sagt und in der Realität viel zu selten gelebt wird. Mein Kind zum Beispiel wird überwiegend als Junge angesprochen – außer es trägt ein Kleid oder die Farbe Rosa. Im „echten Leben“ sind wir ganz offensichtlich noch weit davon entfernt, frei von festen Geschlechterrollen sowie Farben und Spielzeugen für Jungen oder für Mädchen zu sein (ich meine, ernsthaft, lasst es euch auf der Zunge zergehen! Spielzeuge haben keine Geschlechter). Besonders im Erwachsenenalter zeigt sich, dass Gleichberechtigung noch lange nicht überall gelebt wird und das beginnt schon bei den Kleinsten, denn mit den Geschlechtern werden auch Attribute zugeordnet: Der wilde Junge und das verträumte Mädchen. Aber gut, ich schweife ab.

Durch die Farbgebung mit genau diesen Kategorien – blau und pink – macht das Buch viel von dem kaputt, was es eigentlich richtig machen will. Und auch tut. Denn zum Glück bleiben die Schatten in ihren Farben, auch wenn das Mädchen am Auto schraubt. Oder der Schatten des Gewichthebers tanzt. Einzig auf der Doppelseite mit den verschiedenen Personen wird die Zuordnung von „Mädchenkram und pink“ und „Jungenkram und blau“ aufgebrochen. Problematisch bleibt damit aber weiterhin die unterschwellige Kategorisierung in „Mädchensachen“ und „Jungensachen“. Und: Wir haben mehr als zwei Farben: Warum ist Vielfalt hier nicht bunt?

Simpel und emotional

Dass ich ein großer Fan von (Kinder-)Literatur bin, die gesellschaftlich vorgegebene Geschlechterrollen sprengt und mutmachend Diversität feiert, dürfte regelmäßigen Leserinnen und Lesern hier vielleicht schon aufgefallen sein. Ob es die empfehlenswerten Bücher um Julian sind oder die angenehm unaufdringliche Geschichte um „Emi und den Süßigkeitenräuber“ (mit der Autorin Sara Mrozek habe ich auch ein inspirierendes Gespräch über Geschlechterklischees und Frauenpower geführt), ich sammle so ziemlich alles an, was das Bücherregal meiner Tochter diverser und offener gestaltet.

Die Geschichte von „Mein Schatten ist pink“ hat mich dabei durchaus berührt – besonders die letzte Doppelseite mit Fotos der Familie Stuart und einem strahlenden Colin im Elsa-Kleid stimmen mich glücklich. Schade nur, dass Stuart mit seinem Bilderbuch selbst in die Rosa-Hellblau-Falle getappt ist. Damit bietet sich das Buch für kritisch hinterfragende Gespräche zu genau diesem Thema an und darf auch in unserem Regal stehen bleiben.

Mein Schatten ist pink. Scott Stuart. Übersetzung: Kristina Schaefer. Coppenrath. 2021. BK-Altersempfehlung: ab 5 Jahren.

Bücherstadt Magazin

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

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