20. Türchen

von | 20.12.2014 | #litkalender, Kreativlabor

Die Seele Christel und der Holzfäller

Es lebte einmal vor langer Zeit eine ganz wundervolle Seele auf der Erde mit Namen Christel. Diese gute Seele wollte so gern, dass alle Menschen in Harmonie und Frieden miteinander lebten und sie tat dafür, was sie nur konnte.
Eines Tages ging die Seele, Christel, so vor sich hin und aß dabei von einem schönen Laib Brot. Da begegnete sie einem Holzfäller, der war gar grob und ungeschlacht. Der redete sie gleich an: „He da, Frau, ich sehe wie du von diesem Brote isst, während sich mir der Magen vor Hunger verkrampft, gib mir etwas von deinem Brot.“ Bei dieser Ansprache war Christel gleich sehr erschrocken und sie dachte bei sich: „Wie kann ich einfach hier von meinem Brot essen, während andere neben mir Hunger leiden?“ Sie brach ein großes Stück ihres Brotes ab und reichte es dem Mann und behielt für sich das kleinere Stück. Der Mann aß es hungrig auf und polterte dann erneut auf die gute Seele ein: „Du Frau, ich sehe, du hast neue Schuhe. Aber meine Frau besitzt gar keine Schuhe und ist vom barfuss Laufen krank geworden, dass sie im Bette liegen muss. Willst du ihr nicht deine Schuhe schenken?“ Das machte der guten Seele ein wenig Angst, denn sie dachte bei sich: „Aber ich brauche doch meine Schuhe“ Sogleich aber schämte sie sich dieses Gedankens und erinnerte sich daran, dass sie ja noch ein weiteres Paar Schuhe besaß. Da zog sie ihre neuen Schuhe aus und gab sie dem Mann. Der aber blickte sie verwundert an und sprach: „Du bist eine wahrhaft gute Seele, das erkenne ich jetzt. Ich glaube, dich hat der Himmel geschickt. Ich bin kein guter Mensch, aber deine Art beeindruckt mich. Willst du nicht mit mir kommen und eine Weile bei meiner Familie leben und mich lehren auch ein guter Mensch zu werden?“

Da wurde Christel ganz rot über dieses Kompliment, freute sich aber auch und beschloss mit dem Manne zu gehen und ihn zu lehren. Der Mann aber schritt so rüstig drauf los, dass die gute Seele kaum mit ihm Schritt halten konnte. Bald kamen sie an sein Häuschen tief im Walde. Da lebte er mit seiner kranken Frau und seinen drei Kindern. Als sie in seinem Hause angekommen waren, da wollte die gute Seele mit dem Unterricht beginnen, der Mann aber sagte: „Ich habe noch zu arbeiten. Willst du nicht für uns das Essen zubereiten. Die Kinder leiden Hunger.“ Er griff sich seine Axt und schritt in dem Wald. Christel aber dachte: „Am besten lernen die Menschen durch gutes Vorbild.“ Sie suchte sich alles zusammen und bereitete der Familie ein gutes Abendessen zu und weil es noch so viel Zeit gab, während die Suppe auf dem Herd köchelte, putzte und räumte sie und machte das ganze Häuschen sauber in der Zeit. Zum Abendessen kehrte der Mann zurück. Er aß mit der Familie und war des Lobes voll über die gute Seele. Dann aber sprach er: „Ich habe noch Geschäfte zu erledigen“, setzte seine Mütze auf und ging ins Dorf. Da war wieder keine Zeit für seinen Unterricht.

Die drei Kinder tollten im Hause herum und machen große Unordnung und dachten gar nicht daran, ins Bett zu gehen. „Niemand kümmert sich um sie“, dachte Christel und nahm sich der Kinder an, wusch ein jedes, kleidete es in sein Schlafgewand und brachte es in sein Bettchen. Dann ging sie zu der kranken Frau, zog ihr Bett ab, gab ihr ein frisches Bettlaken, kleidete auch sie in ein sauberes Gewand, reichte ihr die Medizin und fand freundliche Worte, bis die arme Frau eingeschlafen war. Dann wusch sie die ganze Wäsche und hängte sie zum Trocknen vor den Kamin. „Wir werden morgen mit dem Unterricht beginnen“, so sagte sie sich und schlief erschöpft ein. Aber am andern Tag war es auch nicht anders. Der Holzfäller hatte nie Zeit für seinen Unterricht. Immer gab es etwas zu tun und zu arbeiten. Er war stets des Lobes voll, aber Christel hatte viel Arbeit mit den Kindern, dem Haus und der kranken Frau. Und sie fühlte sich jeden Tag immer mehr erschöpft und müde und so manches Mal hätte sie sich am liebsten gleich neben die kranke Frau gelegt. Und so geschah es, dass die gute Seele eines Tages einfach keine Kraft mehr hatte, lieb und freundlich zu sein und als der Holzfäller sie wieder einmal über den grünen Klee lobte, da beschimpfte sie ihn: „Du dummer, egoistischer Grobian. Du sagtest, du wolltest lernen, ein guter Mensch zu sein, aber du lernst gar nichts. Du benutzt mich nur als Hauswirtschafterin und Erzieherin für deine Kinder, weil deine Frau krank ist und die Arbeit nicht selber tun kann. Du sprichst mir gute Worte, die aber nicht ehrlich sind. Du willst nur nicht, dass ich gehe und du deine Arbeit wieder selber tun musst. Es ist deine Arbeit, deine Aufgabe und deine Pflicht, dich um die deinen zu kümmern. Du fauler Lump.“

Da war der Holzfäller sehr erschrocken und sagte: „Aber so spricht doch keine gute Seele. Habe ich mich in dir getäuscht?“
Das war zuviel. Die gute Seele Christel konnte dies nicht mehr tragen. Sie gab dem Holzfäller eine schallende Ohrfeige, drehte sich um und verließ das Haus, nicht ohne auch die Tür so heftig zuzuknallen, dass das ganze Häuschen in seinen Grundfesten wackelte.
Nachdem aber ihre Wut verraucht war, da war die gute Seele sehr traurig. Ihr Herz wurde ihr so schwer und sie weinte viele Tränen über sich selbst. Voll tiefstem Kummer setzte sie sich unter einen Baum und sprach mit Gott: „Lieber Gott, es tut mir so leid. Ich verstehe jetzt, warum diese Welt kein besserer Ort ist, warum es hier so viel Leid und Kummer gibt. Wir Menschen können einfach nicht friedlich miteinander leben. Der Mann war in großer Not, ich aber habe nur mich und meine Probleme gesehen. Ich dachte nur an mich und behandelte ihn schlecht. Ich fühle mich so elend deswegen. Wie konnte ich nur so schlecht sein?“

Schließlich fiel sie in einen sehr tiefen, erschöpften Schlaf. Im Traum erschien ihr ein Engel und fragte, warum sie so traurig sei. Sie beschrieb ihm ihre Taten und ließ nichts aus. „Dieser Mann wird nie ein besserer Mensch werden, weil ich ihn im Stich gelassen habe“, sagte sie. Der Engel schüttelte ein ums andere Mal verwundert den Kopf. Als sie geendet hatte, da sprach er: „Aber du irrst dich so sehr! Lass es mich dir zeigen.“ Er ergriff ihre Seele und führte sie zu dem Häuschen. Dort konnte sie den Holzfäller und seine Familie sehen, aber sie wurde nicht gesehen. Der Holzfäller weinte bittere Tränen. Er bat seine Frau um Vergebung. Und die Frau lächelte und schien auf einmal nicht mehr so krank. Dann sah sie, wie der Holzfäller seine Kinder badete, mit ihnen fröhlich spielte und sie ins Bett brachte. Dort erzählte er ihnen noch eine Geschichte und die Kinder schliefen glücklich ein. Dann bereitete der Mann alles für das kommende Frühstück vor und legte sich schließlich zu seiner Frau. „Ich will kein solch schlechter Mann mehr sein“, sagte er zu ihr. Ich will meine Pflicht an euch erfüllen und meine Arbeit tun. Die Ohrfeige hat mich aufgeweckt. Nun werde ich wach bleiben, das verspreche ich“.

Über die Autorin:
Mein Name ist Kim Barkmann. Ich arbeite und lebe unter der Bezeichnung De Wise Fru sehr erfolgreich als weise Frau und Schamanin in Altensalzwedel in Sachsen-Anhalt. Ich habe bereits einige Sachbücher veröffentlicht, aber keine von meinen Geschichten. Ich wurde 1957 in Hamburg geboren, studierte Germanistik, Philosophie und Erziehungswissenschaften und absolvierte beide Staatsexamina mit Auszeichnung. Später machte ich eine dreieinhalb jährige Ausbildung zur weisen Frau bei einem aus Heidelberg stammenden Schamanen. Mittlerweile lebe ich in einem kleinen Dorf in Sachsen-Anhalt, wo ich ein Seminarhaus besitze und die „Akademie für Schamanen und weise Frauen“ gegründet habe und leite. Hier geht es zu meinem Blog.

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

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